Sie sind hier

Abo

Gerichtsverhandlung

«Das Motiv wird wohl im Dunkeln bleiben»

Die Staatsanwältin möchte den Angeklagten, der in Suberg seine Eltern getötet hat, 20 Jahre im Gefängnis sehen. Er sei beim Doppelmord mit besonderer Skrupellosigkeit und hoher Brutalität vorgegangen.

Kaltblütig und entschlossen getötet: Laut der Staatsanwältin wusste der Beschuldigte genau, was er tat. Illustration: Res Zinniker

Deborah Balmer

Zweiter Verhandlungstag im Prozess um den Elternmord in Suberg: Weil der Psychiater krankheitshalber abwesend ist, bleibt etwas Zeit, um dem Beschuldigten nochmals Fragen zur Tat zu stellen. Wieso kam es am 14. November 2017 im beschaulichen Einfamilienhausquartier in Suberg zum schrecklichen Tötungsdelikt? Weshalb ermordet ein arbeitsloser 24-Jähriger seine Eltern mit einer 9,5 Kilogramm schweren Hantel?

Doch der Täter will nicht mehr reden. Er wolle nicht mehr aussagen. «Es fällt mir immer schwerer, über das alles zu sprechen. Ich leide unter Albträumen, weiss nicht mehr, was wahr ist und was ich träumte», sagt er. Als beschuldigte Person steht es ihm zu, die Aussage vor Gericht zu verweigern. Zwölf Mal ist er in den letzten drei Jahren bereits befragt worden. Dabei machte er teilweise widersprüchliche Aussagen. Ein genaues Tatmotiv bleibt bis heute im Dunkeln. Sicher ist: Es gibt keine Hinweise auf grosse Konflikte zwischen den Eltern und ihrem Sohn.

 

20 Jahre Gefängnis

«Wir werden wohl nie genau erfahren, wie es zu dieser Tat kam», sagte die Staatsanwältin gestern in ihrem zweistündigen Parteivortrag. 20 Jahre soll der Beschuldigte ins Gefängnis, die drei Jahre Untersuchungshaft angerechnet. Schuldig sei er wegen zweifachen Mordes an seinen Eltern, die er am Abend des 14. November mit einer Hantel erschlagen hat. «Er ist dabei skrupellos und mit hoher Brutalität vorgegangen, hat ohne ersichtlichen Grund getötet», sagte sie. Mit den Hanteln habe er ein äusserst brachiales Tatwerkzeug gegen die Familienmitglieder eingesetzt. «Die Hemmschwelle, so zu töten, ist gross.» Die Tötung der Mutter fällt dabei sogar noch etwas stärker ins Gewicht: Auch sie erschlug er mit roher Gewalt, direkt von vorne, sie musste ihn während der Tat angeschaut haben. Besonders schwer zu verstehen ist dabei, dass er immer betonte, dass er der Mutter nach ihrem Treppensturz doch eigentlich helfen wollte. Es sei dem Sohn eventuell nur darum gegangen, die Opfer ruhigzustellen, sagte ein Gutachter im Vorfeld.

Die Staatsanwältin sagte, wie emotionslos der Angeklagte nach der Tat doch gehandelt habe: Er habe den Mord gezielt verdecken wollen. Dafür riss er Schubladen auf, entwendete Gegenstände. Er sprach den Eltern, als sie bereits tot waren, auf den Anrufbeantworter. «Es sollte wie ein Raubmord aussehen.» Das Verhalten spreche dann auch gegen eine Affekttat. Die Staatsanwältin war damals als Pikettanwältin mit der Polizei am Tatort. Beide Leichname seien fast bis zu Unkenntlichkeit entstellt gewesen, der Sohn habe ein abscheuliches Blutbad angerichtet gehabt. Über den genauen Tatverlauf mache der Beschuldigte teilweise konstruierte Aussagen. «Er will sich nicht an alles erinnern, es geht dabei aber nicht um Erinnerungslücken, sondern um Ausblendungen.» Teilweise strafmildernd sei eine leicht beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit während der Tat. Laut dem Gutachter ist er während der Tötung in einen sogenannten emotionalen Rausch geraten. Auch das Teilgeständnis führt zu einer leichten Strafminderung. Ebenso, dass er alles bereut und sich schuldig fühlt. Weil nichts auf eine psychische Erkrankung hinweist, beantragt die Staatsanwaltschaft keine therapeutische Massnahme.

 

Doch kein eiskalter Mörder?

Die grosse Frage bleibt beim Ganzen: Ist der Beschuldigte ein eiskalter Mörder, der «Papi und Mami» brutal und ohne eigentlichen Grund erschlagen hat? Oder ist er in etwas hineingeraten, das er niemals gewollt hat, und hätten andere in einer ähnlichen Situation gleich gehandelt? Hörte man gestern die amtliche Verteidigerin reden, bekam man den Eindruck eines komplett anderen Täters. «Hier sitzt kein Mörder», sagte sie. Ihr Mandant habe den Tod seiner Eltern nicht gewollt, sei aber während der Tat nicht mehr in der Lage gewesen, sich vollständig zu steuern, habe sich in einer heftigen Gemütslage befunden. Sie sieht dann auch den Straftatbestand eines zweifachen Mordes und den einer vorsätzlichen Tötung nicht gegeben. Schuldig zu sprechen sei der 27-Jährige nur wegen zweifachen Totschlags. Fünf Jahre und acht Monate soll er dafür ins Gefängnis.

Im Vergleich zu den geforderten 20 Jahren Freiheitsstrafe der Staatsanwaltschaft ein frappanter Unterschied. Schon sehr bald sagte die Verteidigerin während des Plädoyers die Schlagworte: in dubio pro reo. Es sei zwar unbestritten, dass er für den Tod seiner Eltern verantwortlich sei, aber der Ablauf sei unklar. «Wären die Hanteln nicht in Griffnähe gewesen, wäre alles anders abgelaufen. Er handelte nicht aus einer gemeinen Gesinnung heraus.»

 

Nicht der biologische Vater

So bleibt auch dubios, welche Ereignisse sich vor der Tötung abgespielt haben. Laut der Verteidigung ist denkbar, dass es nach dem Pizzaessen zu einem Streit zwischen den Eltern gekommen ist, wie dies der Beschuldigte sagt. Es sei dabei nicht zum ersten Mal um ein neues Badezimmer gegangen. Der Sohn, der sich im Obergeschoss für den Ausgang bereit machte, habe seine Mutter schreien hören und sie dann auf dem Zwischenboden der Treppe blutend liegen sehen. Im Keller habe er Eis zum Kühlen geholt und die Mutter erneut schreien gehört. Oben an der Treppe habe ihm der Vater dann den Weg versperrt, weil dieser nicht wollte, dass der Sohn die Ambulanz ruft. Es kam zu einem Gerangel, bei dem der Vater die Treppe hinunter stürzte. Von da an eskalierte die Situation vollständig. Am Ende erschlug der Sohn beide Eltern.

Dass er das alles nicht geplant hatte, soll die Tatsache beweisen, dass er am Nachmittag gesehen wurde, wie er vom Bahnhof heim schlenderte. «Es machte nicht den Eindruck, als habe er gezielt etwas vor», so die Verteidigerin. Auch das Nachtatverhalten wirke nur vordergründig verstörend. «Er verdrängte, was passiert war.» So habe er bei den ersten Einvernahmen von den Eltern geredet, als wären sie am Leben. «Auch für den Beschuldigten gibt es ein Vorher und ein Nachher. Er hat alles verloren: die Eltern, seine Freundin, den besten Freund und ein Stück weit auch seine Zukunft.» Zudem habe er damit zurechtkommen müssen, dass sein Vater nicht sein biologischer Vater war, was er erst im Gefängnis nach einem DNA-Test erfuhr. Er habe den Eltern einen Brief geschrieben, in dem er sich für die Tat entschuldigt.

Der Angeklagte verzichtete gestern auf ein Schlusswort. Morgen wird das Urteil bekannt gegeben.

Nachrichten zu Seeland »