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Musikgesellschaften

Das «Ständli» wieder entdeckt

Die Blasmusik ist zurück. Viele Vereine haben dank Corona die alte Form der Platzkonzerte wiederbelebt. Längere Einschränkungen würden die Szene allerdings massiv schwächen.

Musizieren mit Abstand: Wie die Musikgesellschaft Lyss haben in den letzten Wochen viele Blasmusikvereine die Dorfbevölkerung erfreut. zvg

 

Nach mehrmonatiger Zwangspause nimmt das kulturelle Leben wieder Fahrt auf – mitunter auch in ungewohnter Form. Die kreative Energie blieb vielerorts auch während des Lockdowns ungebrochen. «Covid lernt uns, wie wichtig die Gruppe musikalisch, menschlich und sozial ist», sagt Blaise Héritier, Musikkommissions-Präsident des Schweizer Blasmusikverbands.
 

Von einer Minute auf die andere musste auf Live-Musik verzichtet werden. Die Seeländer Blasmusik ist wegen des Coronavirus komplett zum Stillstand gekommen. Unzählige Musikproben und Konzerte wurden abgesagt oder verschoben. Das habe die Ausübung des geliebten Hobbys stark erschwert, konstatiert Martin Scherer, Präsident des Seeländischen Musikverbands.

 

Viele Platzkonzerte
Inzwischen haben aber praktisch alle der 37 Sektionen den Probenbetrieb wieder aufgenommen. Was Scherer besonders freut: Platzkonzerte (auch «Ständli» genannt) haben aktuell Hochkonjunktur, nachdem die früher beliebte Form zuletzt etwas in Vergessenheit geraten ist. Die Blasmusik zeigt sich der Bevölkerung und dankt so auch ihren Gönnern (meistens Private und Gewerbe). Es ist Werbung in kleinem Rahmen – die sich allerdings dank Sozialen Medien multiplizieren lässt.

 

Die Musikgesellschaft Lyss beispielsweise begab sich auf eine Gartenkonzert-Tournee. Meinisberg veranstaltete eine Sonntags-Tournee durchs Dorf und andere Vereine wie Port, Safnern, Walperswil oder die Jugendmusik Aarberg veranstalteten in einzelnen Quartieren ein Platzkonzert. Vielleicht müsse diese Form mit kleinerem Publikum und eventuell auch kleineren Ensembles künftig wieder vermehrt gepflegt werden, meint Scherer. Er reagiert so auf die möglicherweise noch viele Monate dauernden Einschränkungen.

 

Vermisste Kontakte
Die Erleichterung, endlich wieder proben zu können, war allgemein spürbar. Vor allem die sozialen Kontakte haben gefehlt. Scherer erwähnt die Sehnsucht nach den Kolleginnen und Kollegen, die sonst an jeder Probe auf dem Nachbarstuhl sitzen und nun höchstens per Video zu sehen waren.

 

Viele Vereine haben den Probebetrieb trotz bevorstehender Sommerpause sofort wieder aufgenommen, um niemanden in Versuchung zu bringen. Auch der Präsident des Seeländischen Musikverbandes sorgt sich nämlich, dass einzelne Musikantinnen und Musikanten nach der Zwangspause ihr Instrument nicht mehr hervornehmen. Der Solothurner Blasmusikverband hat deswegen sogar einen Wettbewerb für Jugendmusiken organisiert, bei dem die einzelnen Übeminuten gezählt wurden.

 

Finanzielle Probleme
Sorgen macht den Vereinen zudem, dass weiterhin viele Anlässe ausfallen. So sind praktisch alle Bundesfeiern abgesagt worden, nur selten finden diese in kleinerem Rahmen statt. Die Musikgesellschaft Bargen muss auf ihr Gassenfest verzichten und laufend werden weitere Anlässe und Konzerte abgesagt. Der Bund entschädigt zwar die Kulturvereine für Auslagen und entgangene Gewinne. Aber die maximal 10'000 Franken sind rasch erreicht, wenn in den nächsten Monaten weiterhin keine Vereinsanlässe stattfinden können.

 

Grössere Anlässe sind wegen der Pflicht zur Bildung von Sektoren mit maximal 300 Personen sowieso praktisch unmöglich. Bei den von November bis März geplanten Jahreskonzerten befürchtet Scherer einen erneuten Mehraufwand für Schutzkonzepte, Namenslisten und Distanzregeln – vor allem aber ängstigt ihn die dadurch getrübte Ambiance.

 

Neue Probelokale
Auch bei den Proben sind Schutzkonzept und Hygieneregeln obligatorisch. Die Distanzvorschriften führen dazu, dass viele Musikgesellschaften momentan nicht in ihrem Vereinslokal proben können. Via Onlinetool oder Fotografie werden zudem die Anwesenden erfasst. So können die Vereine problemlos nachweisen, wer an den jeweiligen Proben dabei ist – eine Auflage des Bundes, um eine allfällige Ansteckungskette zu verfolgen.

 

Trotz Mehraufwand hat Corona aber auch einen Innovationsschub ausgelöst. Die Jubis, Baggwil-Lobsigen, Münchenbuchsee, Lyss und andere haben aktuelle Aufnahmen auf Youtube gestellt – beispielsweise indem jede Person an ihrem Wohnsitz sich selber aufgenommen hat. Die Stadtmusik Biel hat bei #cultureathome mitgewirkt, wo jeden Abend um 20 Uhr auf Youtube eine Premiere stattfand. Damit könnten insbesondere Jüngere motiviert werden, konstatiert Martin Scherer, der sich auch freut, dass die Urheberrechte bei solchen Plattformen nun klarer geregelt sind.

 

Das ist ganz im Sinne von Blaise Héritier, der sagt, der aktuelle Lernprozess sei kein Grund zur Frustration. Solange die Mitglieder wirklich zusammen proben und spielen wollen, werde die Blasmusik weiterleben. Theo Martin

 

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Musiktag erst 2022

Schon im März – noch vor den bundesrätlichen Weisungen – sind die Seeländischen Musiktage in Safnern für dieses Jahr mit grossem Bedauern abgesagt worden. Der musikalische Wettstreit und die Zusammenkunft über Vereinsgrenzen hinweg ist jeweils ein Höhepunkt im Verbandsjahr.

Der frühzeitige Entscheid habe die trotzdem anfallenden Kosten minimiert, sagt OK-Präsident Dieter Winkler. Inzwischen konnt das OK auch das neue Datum für die Durchführung der Seeländischen Musiktage bekanntgeben. Diese werden nun vom 20. bis 22. Mai 2022 in Safnern stattfinden. Für das Jubiläum 150 Jahre Musikgesellschaft Safnern wird noch eine Lösung gesucht.

2021 wird es wegen des Eidgenössischen Musikfests in Interlaken und 2024 wegen dem Kantonalen Musikfest nur ein Vorbereitungskonzert, aber keine Seeländischen Musiktage geben. Die ursprünglich für 2022 vorgesehene Harmonie Münchenbuchsee hat aufgrund der Situation vorläufig verzichtet. Sie wird den Musiktag zu einem späteren Zeitpunkt durchführen. tm.

 

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