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Lyss

Das unantastbare Sparschwein

Defizit budgetiert, Gewinn erzielt: Zu diesem Jahresergebnis kam so manche Seeländer Gemeinde im letzten Jahr, auch Lyss. Trotzdem gibt es Kritik am neuen Modell.

Lyss hat sich bereits mit dem Kanton an einen runden Tisch gesetzt, um über Anpassungen des neuen Rechnungsmodells zu diskutieren. copyright/Anita Vozza/a

Hannah Frei


2016 wendeten die Gemeinden im Kanton Bern bei ihrer Jahresrechnung erstmals das Harmonisierte Rechnungslegungsmodell 2 (HRM2) an. Es soll mehr Transparenz schaffen und den Vergleich unter den Gemeinden ermöglichen. Anfang Juli hatte das Amt für Gemeinden und Raumplanung eine positive Nachricht zu vermelden: Im Jahr 2017 gab es zum ersten Mal seit Beginn der Datenerhebung 1994 in keiner bernischen Gemeinde einen Bilanzfehlbetrag. Auch dort nicht, wo ein Defizit budgetiert war. Dies war auch bei der letzten Jahresrechnung 2018 vielerorts der Fall. Was hat sich seit der Umstellung in den Gemeinden verändert?


Lyss nutzt den Spielraum aus
In Lyss sei die Umstellung auf das HRM2 gut verlaufen, so Finanzverwalter Bruno Steiner. Dabei habe man darauf geachtet, so viel wie möglich selbst zu erledigen und nicht an Externe abzugeben. «So konnten wir uns gleich mit dem Modell vertraut machen und es dementsprechend an unsere Bedürfnisse anpassen», sagt Steiner. Denn in manchen Punkten bietet das neue Modell für die Gemeinden mehr Spielraum, beispielsweise bei den Bewertungsmöglichkeiten des Finanzvermögens, der Festlegung der Aktivierungsgrenze bei Investitionen oder der Anlagebuchhaltung. Laut Steiner sind dies für die Gemeinde Lyss durchaus erfreuliche Erneuerungen.


Grundsätzlich bewertet der Lysser Finanzverwalter das neue Modell positiv. Nur die sogenannten finanzpolitischen Reserven, eine Erneuerung des Modells, bezeichnet Steiner als Stolperstein für die Gemeinde. Damit sind die zusätzlichen Abschreibungen gemeint, die entstehen, wenn die Investitionen höher ausfallen als die effektiven Abschreibungen und die Gemeinde gleichzeitig einen Gewinn ausweist. Der Gewinn wird dann bis zur Höhe der Differenz in die Reserven eingelegt und darf nur angerührt werden, wenn die Gemeinde finanziell wieder schlechter dasteht. Konkret heisst dies: Solange die Gemeinde eine positive Bilanz erzielt, wandert ein Teil des Gewinns in die finanzpolitischen Reserven und friert ein. In Lyss waren dies im vergangenen Rechnungsjahr 3,6 Millionen Franken.


Dieser Umstand könnte, so befürchtet es die Fraktion SP/Grüne im Lysser Parlament, zu einem Wellenreiten beim Steuerfuss führen: Die Steuern werden gesenkt, um den Bilanzüberschuss niedrig zu halten und damit auf die Reserven zu greifen zu können. Sobald diese aufgebraucht sind, muss der Steuerfuss jedoch wieder erhöht werden.
Tatsächlich prüft die Gemeinde Lyss im kommenden Jahr eine Steuersenkung. Laut Bruno Steiner wird es jedoch nicht zu einem solchen Wellenreiten kommen. «Der Gemeinderat wird eine Steuervariante vorschlagen, die nachhaltig ist und über die Legislaturperiode hinaus gehalten werden kann.»


Rechnungsmodell anpassen
Trotzdem sucht die Gemeinde nach Lösungen, um die finanzpolitischen Reserven auch dann anzapfen zu dürfen, wenn die Gemeinde finanziell gut dasteht. Laut Bruno Steiner wäre eine Gesetzesänderung denkbar. Dazu habe bereits ein runder Tisch mit Vertretern des Amts für Gemeinden und Raumordnung, dem Verband Bernischer Gemeinden, der Gemeinde Lyss und einer Revisionsstelle stattgefunden. Und Steiner ist optimistisch, dass in den nächsten Jahren Anpassungen des neuen Rechnungsmodells vorgenommen werden.


Weshalb die Berner Gemeinden im Jahr 2017 finanziell so gut abgeschnitten haben, ist laut Bruno Steiner unter anderem auf das demokratische Verständnis zurückzuführen. «Wir Schweizer sind freiwillig bereit, in schwierigen Zeiten mehr Steuern zu bezahlen, und haushalten vorsichtig. Dies wäre in anderen Ländern mit einem anderen Demokratieverständnis undenkbar», sagt er. Und nun, da sich die Gemeinden in einer positiven Wirtschaftslage befinden, würden sie ihre Gelder vorsichtig einsetzen und wo möglich etwas zurücklegen.

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