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Gemeindefinanzen

Das vermeintlich paradoxe System

Der Kanton hat vor Kurzem die Zahlen des Finanzausgleichs für 2013 vorgelegt. Die Rangliste der Geldgeber und -nehmer im Seeland zeigt: Den Spitzenreitern geht es nicht zwangsläufig besser, den Letzten nicht unbedingt nur schlecht.

Der Finanzausgleich 2013 im Seeland. Grafik: Enrica Scire

Jacqueline Lipp

9,5 Millionen Franken erhalten die Seeländer Gemeinden unter dem Strich aus dem kantonalen Finanzausgleich (Filag). Mit diesem Instrument sollen im Kanton Bern – analog zum Finanzausgleich der Schweiz – die strukturellen Ungleichheiten abgefedert werden. Konkret: Gemeinden mit tiefen Steuereinnahmen erhalten Geld von den «Reichen».

Insgesamt wurden im ganzen Kanton so in diesem Jahr 96,5 Millionen Franken umverteilt. Grösste Zahlerin ist die Stadt Bern mit mehr als 41 Millionen Franken. Auch Muri, Köniz, Ittigen und Saanen zahlen siebenstellige Beträge. Am meisten Geld bezog die Stadt Biel: Für das Jahr 2013 erhielt sie 3,3 Millionen Franken. Dahinter folgen Burgdorf und Moutier mit knapp zwei Millionen.

Evilard zahlt, Epsach erhält
Ein Blick auf die Rangliste der Region zeigt: Von den 48 Gemeinden im Seeland sind 14 Geber und 34 Nehmer (siehe Grafik). Am meisten geschröpft wird die Gemeinde Evilard oberhalb Biels – 2013 zahlte sie über eine Million Franken in den Topf. Pro Einwohner sind das 538 Franken. Auch die weiteren Gebergemeinden sind als finanzkräftig bekannt: Mörigen oder Bellmund etwa steuern gemeinsam fast eine Million bei. Am anderen Ende der Liste liegt absolut gesehen Biel. Pro Kopf gerechnet bildet Epsach allerdings das Schlusslicht. Das lässt aufhorchen: Denn Epsach ist eine der wenigen Seeländer Gemeinden, die für 2014 kein Defizit, sondern einen ansehnlichen Gewinn budgetiert.

Auf den ersten Blick mag man an einen Systemfehler denken: Wie kann es sein, dass eine Gemeinde, der es so gut geht, am meisten Geld erhält? Erreicht Epsach auf Kosten der anderen ein ausgeglichenes Budget? Ein Blick hinter die Kulissen des Filag zeigt: So einfach ist es nicht.

Mit denselben Ellen messen
Denn in Epsach sorgt der Verkauf einer Baulandparzelle in der «Chlusmatte» für ein positives Budget. Die Gemeinde hat dadurch mehr Geld in der Kasse. Für den sogenannten Disparitätenabbau, eben jenen Finanzausgleich zwischen den Gemeinden, ist das irrelevant. Bei anderen Massnahmen im Filag allerdings könnte das zu Kürzungen führen.

Die Zuschüsse aus dem Finanzausgleich werden allein auf der Grundlage der Steuereinnahmen der letzten drei Jahre errechnet. Eine Gemeinde mit guten Steuerzahlern oder grossen Firmen muss also zahlen, solche mit tiefen Steuererträgen erhalten einen finanziellen Ausgleich. Das erklärt, warum die Stadt Biel, wo der durchschnittliche Bürger nur 2230 Franken Steuern bezahlt, so viel Geld bezieht. Die Steuereinnahmen werden allerdings so berechnet, als hätten alle Gemeinden denselben Steuerfuss, nämlich 1,65 Einheiten. So soll ausgeschlossen werden, dass Gemeinden mit einem tiefen Steuersatz automatisch mehr Geld erhalten. «Alle Gemeinden werden mit der gleichen Elle gemessen», sagt Beat Baumgartner, Leiter der Abteilung Finanzausgleich bei der kantonalen Finanzverwaltung. «Da die Berechnung unabhängig vom Steuerfuss erfolgt, ist die Gleichbehandlung aller Gemeinden sichergestellt.»

Nehmergemeinde senkt Steuern
Nebst Epsach findet sich Walperswil am unteren Rand der Rangliste. Pro Einwohner fliessen 250 Franken aus dem Finanzausgleich in die Gemeindekasse. Daraus ergibt sich in Walperswil ebenfalls ein scheinbarer Widerspruch: Die Gemeinde will 2014 die Steuern senken; von 1.8 auf 1.65 Einheiten. Walperswil hat derzeit ein Eigenkapital von 2,6 Millionen Franken. «Dieses Geld gehört eigentlich dem Steuerzahler», begründet Gemeindepräsident Christian Mathys die Steuersenkung. Er fügt aber hinzu: «Ich sehe den Widerspruch schon auch, der sich auf den ersten Blick ergibt.» Allerdings habe Walperswil mit 1.65 noch immer einen relativ hohen Steuerfuss, verglichen etwa mit Bellmund oder Mörigen, deren Steuersatz aktuell bei 1.31 beziehungsweise 1.3 liegt. Trotz dem Zustupf aus dem Ausgleichstopf findet Mathys die Position von Walperswil daher grundsätzlich nicht erstrebenswert. «Wir sind nicht unglücklich, wenn wir weniger Geld aus dem Finanzausgleich erhalten, denn das bedeutet ja, dass die Steuerkraft steigen würde.» Er gehe davon aus, dass Walperswil in Zukunft weniger Geld erhält, weil die Steuererträge zunehmen sollen.

Nicht alles ist paradox
Dass ein solches Szenario möglich ist, bestätigt Beat Baumgartner von der Finanzverwaltung. Es könne gut sein, dass durch tiefe Steuern mehr steuerkräftige Bürger an einen Ort ziehen. «Dadurch stiege die Steuerkraft dieser Gemeinde und sie bekäme weniger aus dem Finanzausgleich oder müsste gar zahlen.» Ansonsten ist sein Votum aber klar: «Wenn eine Gemeinde die Steueranlage senken will, ist das ihr autonomer Entscheid», sagt Baumgartner. Direkten Einfluss auf den Finanzausgleich hat das nicht, da der Steuerfuss dafür nicht relevant ist.

Obwohl es den Gemeinden am unteren Ende der Tabelle nicht schlecht geht, zeigt das Beispiel von Wengi, dass mehr Geld vom Kanton nicht automatisch positive Auswirkungen hat. Das 600-Seelen-Dorf bezog 2013 am drittmeisten Geld aus dem Finanzausgleich. Das sind insgesamt 20 000 Franken mehr als letztes Jahr, denn die Steuereinnahmen von Wengi sind gesunken. Das kann auch der höhere Beitrag aus dem Ausgleichstopf nicht wettmachen. Resultat: Wengi muss eine Steuererhöhung in Kauf nehmen. An der Gemeindeversamlung am Montag wird über eine Erhöhung von 1.75 auf 1.85 Einheiten entschieden.

Geber haben keine Freude
Besser geht es der Gemeinde Evilard. Sie hat so gute Steuerzahler im Dorf, dass sie mit Abstand am meisten in den Finanzausgleich bezahlt. Mit den Auswirkungen habe er manchmal allerdings «schon Mühe», sagt Gemeindepräsident Daniel Nussbaumer. Denn Evilard ist zwar seit Jahren der grösste Geldgeber, aber: Für 2014 budgetiert die Gemeinde ein Minus von über 800 000 Franken. Müsste Evilard den Beitrag an andere Gemeinden nicht ausrichten, wäre das Defizit mehr als gedeckt. «Angesichts dessen kann man die Zahlung in dieser Höhe schon in Frage stellen», sagt Nussbaumer.

Auch in Bellmund sieht die Zukunft trotz der grossen Steuerkraft nicht rosig aus. An der nächsten Gemeindeversammlung soll der Steuersatz um einen Zehntel auf 1.41 erhöht werden. Grund dafür sind – wie in den meisten Gemeinden – die höheren Kosten der Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen, die auf Änderungen von Gesetzen durch Bund oder Kanton zurückgehen und von den Gemeinden nicht direkt beeinflussbar sind.

Dazu kommen Steuersenkungen, die ebenfalls auf höherer Ebene beschlossen wurden und pro Einwohner über 100 Franken ausmachen. Mittelfristig könne dies nur durch höhere Steuern aufgefangen werden, argumentiert der Gemeinderat von Bellmund in der Botschaft. Gleichzeitig zahlte Bellmund 2013 über eine halbe Million Franken in den Finanzausgleich. Die Faust im Sack macht Gemeindepräsident Ivo Suter deshalb aber nicht. «Natürlich haben wir keine Freude daran, aber es ist ja genau das Ziel des Finanzausgleichs, dass die Unterschiede ausgeglichen werden.» 

 

Das Prinzip des Filag
Der Finanz- und Lastenausgleich (Filag) des Kantons besteht aus mehreren Elementen:
• Erstens zahlen die steuerkräftigen Gemeinden in einen Topf, aus dem die steuerschwachen Gemeinden Geld beziehen (Disparitätenabbau).
• Zweitens zahlt der Kanton aus seiner Kasse finanzschwachen Gemeinden weitere Beiträge.
• Drittens zahlt der Kanton Geld an besonders belastete Gemeinden, etwa jene mit einem hohen Ausländeranteil oder besonders wenigen Einwohnern.
• Viertens erhalten die Städte Bern, Biel und Thun eine pauschale Abgeltung für ihre Zentrumslasten.

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