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Konzertpause

«An den Tagen, an denen ich unterrichte, 
spiele ich in den Pausen»

Mélusine Chappuis hat kürzlich ihren Masterabschluss an der Jazzhochschule gemacht und überlegt sich, welchen Weg sie in der Musik einschlagen will. Die junge Pianistin weiss: Von Konzerten kann sie nicht leben, im Moment erst recht nicht.

Konzerte strukturieren ein Musikerleben. Im moment sind sie in weite Ferne gerückt.

Aufgezeichnet: Mengia Spahr

In meinem Leben gibt es drei Arten von Tagen: Tage, an denen ich unterrichte, reine Musiktage ohne Verpflichtungen und Tage, an denen ein Konzert ansteht. An diesen mache ich sonst nichts, damit ich meine Energie für den Auftritt aufsparen kann. Ich versuche, die Konzerte im Jahr zu bündeln, sodass eine Zeitspanne entsteht, in der ich nur spiele, spiele, spiele. Diesen Zustand könnte ich nicht das ganze Jahr aushalten, und abgesehen davon wäre es mir auch aufgrund des unregelmässigen und unsicheren Einkommens nicht möglich, nur zu konzertieren. Dieses Jahr hatte ich mit meiner Band Chromatic Trio zwei Tourneen geplant, eine im Frühling und eine im Herbst – beide wurden abgesagt. Im Frühling hatte niemand damit gerechnet, da traf es uns hart. Doch irgendwie war die Absage im Herbst fast noch frustrierender, denn wir dachten, das kulturelle Programm würde schon irgendwie weiterlaufen.

Konzerte live zu übertragen kam für uns nie in Frage. Es ist ein riesiger Aufwand, den Umgang mit der gesamten Technik zu erlernen. Ich bewundere diejenigen, die das gemacht haben. Selber hatte ich keine Lust, so viel zu investieren, um dann nur wenig Wertschätzung zu erhalten. Wenn das Ganze andauert, werde ich vielleicht anders darüber denken, aber ich finde, dass man damit aufpassen muss: Musikerinnen leben auf einem schmalen Grat, und wenn wir immer mehr gratis Angebote in die Welt setzen, gerät in Vergessenheit, was für eine enorme Arbeit dahintersteckt. Dabei geht es nicht nur um Anerkennung, es geht auch um das Geld, dass wir mit der Musik nicht verdienen. Musikunterricht zu geben ist in meinem Beruf die einzige Möglichkeit, einen festen Lohn zu erhalten. Seit August unterrichte ich am Konservatorium für Musik in Neuenburg Jazzpiano, das sind etwa 40 Stellenprozent. Klar ist: Wenn ich keine Fixanstellung hätte, wäre ich jetzt nicht in der Lage, die guten Seiten dieser absurden Zeit zu sehen.

Mit meinen Bandmitgliedern spiele ich seit ungefähr vier Jahren. Das Trio entstand während des Studiums. Letztes Jahr haben wir ein erstes Album veröffentlicht, eigentlich wollten wir nun ein zweites aufnehmen. Doch als wir wegen der Pandemie an einem beliebigen Punkt in unserem Schaffen gestoppt wurden, merkte ich plötzlich, dass ich meine Energie lieber in etwas anderes stecken möchte. Also habe ich vor einigen Wochen beschlossen, mich in neue Projekte zu stürzen. Wenn ich jetzt nicht diese Entscheidung getroffen hätte, wäre wohl alles weitergelaufen. Denn ich presche immer vor und komme gar nie dazu, darüber nachzudenken, ob mir eine Sache noch entspricht. Das ist der positive Aspekt dieser vertrackten Zeit – plötzlich kann ich mir solche Gedanken machen.

Ich habe kürzlich mein Studium abgeschlossen. Es ist ein guter Moment, um innezuhalten, sodass ich meine Art des Musikmachens hinterfragen und mir überlegen kann, wo in der riesigen Musikwelt ich mich positioniere. Noch spüre ich keinen grossen Unterschied zu meinem Studentinnenleben, ich habe meine Routine beibehalten. Doch wenn ich mir vorstelle, dass ich möglicherweise in fünf Jahren genau so leben werde wie jetzt, ist das seltsam. Nun bin ich selber dafür zuständig, mir Ziele zu setzen und zu schauen, dass mir nicht langweilig wird. Ich will unbedingt Projekte aufgleisen, aber die Zukunft verschwimmt gerade in der Ferne. Es ist unmöglich abzuschätzen, was noch da sein wird, wenn das Leben zur Normalität zurückkehrt: Werden wir noch Subventionen beantragen können? Werden wir Geld erhalten, um CDs zu produzieren? Sorgen bereitet mir auch der gesellschaftliche Status der Kunst. Im Moment stehen wir zuunterst auf der Liste. Und wenn die Kulturveranstalter nicht überleben, wird das ohnehin beschränkte Angebot an Auftrittsmöglichkeiten noch kleiner.

Die Musik begleitet mich seit jeher. Mein Vater ist klassischer Gitarrist und auch meine drei Brüder haben Instrumente gespielt. Es ist nicht so, dass ich Druck verspürte, aber dieses Umfeld hat mir bestimmt Türen geöffnet. Ich bin in La Neuveville aufgewachsen. Als ich zur Schule ging, hatte ich alle möglichen Berufswünsche, ich wollte aber unbedingt etwas Kreatives machen. Während ich dann in Biel das Gymnasium besuchte, wurde mir klar, dass mich die Musik am stärksten berührt. Ich wollte Jazz studieren, weil in diesem Musikstil, in dem die Improvisation im Zentrum steht, die Kreativität so wichtig ist. Ausserdem spielt man fast immer in der Gruppe. Nebst der Musik sind mir in meinem Leben die sozialen Kontakte am wichtigsten. Ab 2014 besuchte ich die Hochschule für Musik in Bern und wohne noch heute in dieser Stadt. Ich bin froh, die Sprachbarriere überschritten zu haben, denn ich weiss: Hätte ich in der Romandie studiert, würde ich jetzt nur dort Konzerte geben, weil ich Hemmungen hätte, die Veranstalter auf Deutsch anzuschreiben.

Schon während des Studiums unterrichtete ich an einer privaten Musikschule in Lausanne. Diese Erfahrung kam mir wohl bei der Bewerbung in Neuenburg zugute. Meine Anstellung am dortigen Konservatorium für Musik ist ein Glückstreffer, denn solche Stellen sind rar.

Eigentlich habe ich gar keine Hobbys – die Musik nimmt allen Raum in meinem Kopf ein. Auch wenn ich andere Verpflichtungen habe, versuche ich mindestens zwei Stunden täglich zu spielen. Als ich studierte, spielte ich mehr – ich hatte auch mehr Druck. Jetzt versuche ich jeweils genau zu definieren, was ich übe, wie ich übe und warum ich es übe.

Am Sonntag aber mache ich frei. Als Musikerin hat man ohnehin einen seltsamen Tagesrhythmus – man muss alles selber einteilen und sich Ziele definieren. Niemand verordnet mir eine Kaffeepause oder ermahnt mich, eine Aufgabe zu erledigen. Deshalb ist mir die Trennung zwischen Arbeitstagen und Freizeit wichtig. Ich weiss, dass es Musiker gibt, die immerzu ihr Instrument spielen. Diesen Drang verspüre ich nicht. Ich kann auch problemlos Ferien machen, wenn es die Planung zulässt.

Reine Musiktage, an denen ich komponiere, spiele, aufnehme, mir Stücke anhöre und mich um Administratives kümmere, sind einsam. Deshalb gefällt mir das Unterrichten so gut: Da habe ich Kontakt mit der Aussenwelt und treffe auf verschiedenste Menschen, ausserdem

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