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Tüscherz-Alfermée

Den Wein lernten sie in der Ferne lieben

Das junge Winzerpaar Manuel Tschanz und Maja Möckli übernimmt den Betrieb von Lukas Hasler. Ihre Erfahrungen aus dem Ausland sollen frischen Wind an den Bielersee bringen.

Manuel Tschanz und Maja Möckli ziehen ihr eigenes Ding durch. Bild: Yann Staffelbach

Carmen Stalder

Manuel Tschanz wurde im Weinbaubetrieb seines Vaters Theo Tschanz in Twann gross. Während seiner Kindheit und Jugend packte er in den Reben mit an, durchs ganze Jahr und bei jedem Wetter. Er habe immer helfen müssen, sagt er, und ja, es sei für ihn schon eher ein Müssen gewesen. Am Ende stand fest: Weinbauer will er ganz sicher nicht werden.

Maja Möckli wuchs auf einem Bauernhof im Zürcher Weinland auf. Zusammen mit ihren drei Schwestern half sie ihren Eltern beim Ackerbau, mit den Milchkühen und in den Reben. Letzteres war dem Mädchen ein besonderer Gräuel. Sie habe sich geschworen, nie selbst in der Landwirtschaft tätig zu sein – und ganz bestimmt niemals einen Bauern zu heiraten.

Heute sitzen die beiden 28-Jährigen auf ihrer Terrasse in Tüscherz-Alfermée. In der Hand ein Glas Weisswein, der Blick ruht auf dem von der Frühlingssonne glitzernden See. Um das Dorf herum wachsen knorrige Rebstöcke in langen Reihen den Hang hinauf. Schon bald sind sie selbst Herr und Herrin über tausende von Reben: Im Herbst übernehmen sie den Betrieb von Lukas Hasler, Winzer im knapp 100 Meter von ihrem Zuhause entfernten Weingut.

 

Leidenschaft kam in Portugal

Bevor die beiden ihre Meinungen über ihre jeweilige berufliche Zukunft derart geändert haben, ist einiges passiert. Manuel Tschanz hat eine Lehre zum Weintechnologen absolviert – zwar verwandt mit der Arbeit, die er aus dem elterlichen Betrieb kannte, jedoch fernab von den Strapazen im Rebberg. Während der Lehre lernt er seinen besten Freund kennen, dessen Vater das renommierte Weingut Niepoort in Portugal besitzt. 2010 verbringen die beiden Teenager zwei Wochen im portugiesischen Betrieb. Es ist eine Zeit, die sich für Tschanz rückblickend als augenöffnend erweist. «Ich habe dort meine Leidenschaft für den Wein entdeckt», sagt er.

Beim Degustieren der dortigen Tropfen sei ihm erstmals bewusst geworden, was die Weinwelt abseits des bekannten Bielersee-Chasselas noch so zu bieten hat. Der Twanner reist fortan immer wieder zurück nach Portugal. Die Begeisterung packt ihn derart, dass er direkt an seine erste Ausbildung eine Winzerlehre anhängt. «Ich wollte lernen, wie man zu einem guten Rohstoff kommt», sagt er. Denn ein guter Wein entstehe nicht im Keller, sondern draussen in den Rebbergen.

Die gleichaltrige Maja Möckli entscheidet sich derweil für eine Lehre zur Bäckerin-Konditorin. Daraufhin absolviert sie die Berufsmaturität und träumt davon, Lebensmitteltechnologie zu studieren. So richtig überzeugt davon, sich einem theoretischen Studium zuzuwenden, ist sie jedoch nicht. Als ihr ein Kollege vom Winzerberuf vorschwärmt, wird der Drang nach einer Tätigkeit draussen in der Natur zu gross – und sie entscheidet sich ebenfalls für die Winzerlehre.

 

Schwieriger Start in der Garage

Die nächsten Jahre verbringt Manuel Tschanz mehrheitlich auf Betrieben in Südafrika und Portugal. Dort kann er 2015 dank der bisher geknüpften Beziehungen einen Kleinbetrieb von Grund auf führen. «Ich wurde ins kalte Wasser geworfen», erinnert er sich. Ohne jegliche Portugiesischkenntnisse übernimmt er die Verantwortung über drei Mitarbeiter, der Weinkeller entpuppt sich als Garage, direkt daneben steht ein Hühnerstall. Eine schwierige, aber auch prägende Erfahrung.

Manuel Tschanz reist von Portugal nach Südafrika, zurück in die Schweiz, wo er beim Vater und bei Martin Hubacher in Twann arbeitet, und wieder zurück in den Süden. Er weiss mittlerweile genau, auf welche Art er seinen Wein herstellen will: Möglichst naturbelassen und teils mit Spontanvergärung, vielschichtig statt reintönig, wie es in der Schweiz verbreitet ist. «Mit meinen Ideen bin ich immer wieder angeeckt», sagt Tschanz. Er kommt zum Schluss, dass er längerfristig einen eigenen Betrieb führen will, denn nur so kann er seine Vorstellungen ohne Gegenwehr umsetzen.

Maja Möckli zieht es nach der Lehre ebenfalls in die Ferne. Sie arbeitet auf einem Weingut in Neuseeland, reist anschliessend durch Australien. Auch sie findet Gefallen an der Art und Weise, wie Wein in anderen Ländern hergestellt wird – irgendwie gleich wie zuhause, aber eben doch nicht ganz. Zurück in der Schweiz arbeitet sie auf einem Betrieb in Schaffhausen, wo sie die Leitung im Rebberg übernehmen könnte. Doch ihre Erwartungen passen nicht immer zu den Vorstellungen anderer.

 

Streben nach Unkonventionellem

2017 kreuzen sich die Wege der beiden. An der Höheren Fachschule in Wädenswil haben sie sich für den Studiengang Weinbautechniker/in eingeschrieben – und finden sich in derselben Klasse wieder. In den kommenden drei Jahren erwerben sie das nötige Rüstzeug, um dereinst einen eigenen Betrieb zu führen. Das Streben nach dem Unkonventionellen und die Lust aufs Neue vereint sie bald einmal nicht mehr nur auf der beruflichen Ebene.

Im vergangenen Sommer schliesst das Paar das Studium ab und zieht nach Tüscherz-Alfermée. Er arbeitet als Kellermeister im Räblus-Weinbau von Ruth Wysseier und Werner Schweizer, sie hat eine Stelle beim Ligerzer Winzer Stephan Martin ergattert. Dann meldet sich eines Tages Lukas Hasler mit einer Einladung zum Apéro. Bei ein paar Gläsern Wein erzählt der Winzer, dass er einen Nachfolger für seinen Betrieb suche. Und er fragt, ob nicht sie beide das Weingut übernehmen wollen.

Manuel Tschanz und Maja Möckli sind überrumpelt. Bis zu ihrer Entscheidung vergehen mehrere Monate. Tschanz hat damit geliebäugelt, nach Portugal auszuwandern. Sie sind unsicher, ob sie sich definitiv am Bielersee niederlassen wollen. Viele Kleinbetriebe stünden vor einer grossen Ungewissheit. Tschanz rechnet damit, dass es in den kommenden Jahren zu einer Konzentration kommt; weg von vielen kleinen hin zu wenigen grösseren Betrieben. «Es ist eigentlich traurig: Was vorherige Generationen aufgebaut haben, hat heute keine Zukunft mehr», sagt er.

 

Es geht Schlag auf Schlag

Im November 2020 fällt das Paar den Entschluss, sich auf die Übernahme einzulassen. Der Pachtbetrieb von Hasler gehört zu den grösseren am Bielersee, das entspricht ihnen. Sie sehen ein grosses Potenzial, in der Weinherstellung am Bielersee mit Konventionen zu brechen und aus den verschiedenen Rebparzellen das Beste herauszuholen. «Wir wollen bei der Weinherstellung so wenig wie möglich und gleichzeitig so viel wie nötig eingreifen», sagt Möckli.

Tschanz arbeitet bereits in einem kleinen Pensum bei Hasler, um einen Einblick in den Betrieb zu erhalten. Im September soll dann die Übernahme stattfinden. Und im Frühling 2022 wollen sie ihren ersten Wein abfüllen. Während er sich vollumfänglich um den neuen Betrieb sowie die Räblus-Weine kümmern wird, wird sie vorerst ihre Stelle bei Mövenpick-Wein behalten. Unterstützt wird das Paar von den drei Angestellten des Hasler-Betriebs.

Derzeit tüfteln Manuel Tschanz und Maja Möckli am neuen Namen des Betriebs. «Es ist eine Herausforderung, das Marketing für Weine zu planen, die es noch gar nicht gibt», sagt er. Im ersten Jahr wollen sie jede Parzelle einzeln keltern, um die Unterschiede zwischen den verschiedenen Lagen in Twann, Ligerz und Le Landeron herauszuschmecken. Eine Art Versuchsbetrieb stellen sie sich vor, und den Anfang eines Entwicklungsprozesses, an dessen Ende sie ihren eigenen Weinstil gefunden haben

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