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Strafanstalt Witzwil

Der vermeintliche Fehlalarm

Er liess eine Ahle und einen Schraubenschlüssel mitgehen und zerschlug damit das Sicherheitsglas seiner Zelle in der Strafanstalt Witzwil. Auf grosse Hürden stiess der flüchtige Franzose bei seinem Ausbruch nicht.

Aus diesem zerbrochenen Fenster konnte der junge Franzose entkommen. Bild: Olivier Gresset

Audiobeitrag

Gefängnisdirektor Hans-Rudolf Schwarz zum Ausbruch in Witzwil. Beitrag von Canal 3.

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Parzival Meister

Hans-Rudolf Schwarz blickt nach oben. Rund zweieinhalb Meter über dem Boden liegt das Fenster mit der zerbrochenen Scheibe. Es ist Sicherheitsglas einer niedrigen Sicherheitsklasse. «Mit der Faust bringt man das nicht kaputt. Da braucht man Werkzeug», sagt der Direktor der Strafanstalt Witzwil.
Ausbruchwerkzeug, das hatte der 27-jährige Franzose, der am Sonntag aus der Strafanstalt fliehen konnte. Aus der Anstalts-Werkstatt, in der er tagsüber arbeitete, schmuggelte er einen Schraubenschlüssel und eine Ahle mit. In der Nacht auf Sonntag, kurz vor ein Uhr, schlug er damit die Scheibe seiner Zelle ein, sprang nach draussen, schlich zum zweieinhalb Meter hohen Zaun, überstieg diesen und verschwand in der Dunkelheit.

Erst am Sonntagmorgen um zirka acht Uhr bemerkten die Verantwortlichen der Strafanstalt die Flucht. Da war der junge Franzose aber wahrscheinlich schon über alle Berge. Vom Flüchtigen fehlt nach wie vor jede Spur.

Nicht gemeingefährlich

Doch wie konnte es überhaupt zur Flucht kommen? Wieso ist es möglich, dass ein Insasse Fluchtwerkzeug entwendet? Und vor allem: Weshalb blieb sein Verschwinden so lange unbemerkt?
Zuerst die Ausgangslage: Der 27-Jährige befand sich in der so genannten geschlossenen Wohngruppe. Das ist der Übergangsbereich vom geschlossenen zum offenen Vollzug. Strafgefangene mit Ausblick auf Vollzugsminderung werden in der Wohngruppe beobachtet, ob sie reif für den offenen Vollzug sind. Es handelt sich um Insassen, die als nicht gemeingefährlich eingestuft werden. So wie der flüchtige Franzose, der wegen bandenmässigen Diebstahls zu drei Jahren Haft verurteilt wurde und sich seit Ende Januar 2012 in der geschlossenen Wohngruppe befindet.

Hier sind die Sicherheitsbestimmungen gelockert. «Man hat nicht die Ausbruchssicherheit eines geschlossenen Vollzuges», sagt Anstaltsdirektor Hans-Rudolf Schwarz und ergänzt: «Mit krimineller Energie ist ein Ausbruch möglich – wie Sie hier sehen können.» Dieses Risikos sei man sich bewusst.
 
Nur Stichproben

Beim Ausgang der Anstalts-Werkstatt steht kein Metalldetektor, den die Insassen passieren müssen. Auch sind die Werkzeuge nicht so angeordnet, dass ein Diebstahl sofort auffallen würde. Die Gefangenen werden nur stichprobenmässig kontrolliert. Das Hinausschmuggeln der Werkzeuge stellte für den jungen Franzosen also kein grosses Problem dar.

Auch der zweieinhalb Meter hohe Zaun, der erst letztes Jahr fertig gebaut wurde, ist nicht wirklich eine grosse Hürde für einen Flüchtigen. Denn dieser ist nicht mit Stacheldraht gesichert. Es braucht keine besonderen sportlichen Fähigkeiten, um ihn zu überklettern. Auch Sicherheitsleute sind nicht fix postiert. Doch weder Stacheldraht noch Wachposten sind hier erwünscht. Das sei nicht das Wesen des offenen Vollzugs, der in Witzwil vollzogen wird, erklärt Anstaltsleiter Schwarz. Ja, für Aussenstehende sei das schwer nachzuvollziehen. Doch der offene Vollzug besteht eben nicht aus unüberwindbaren Zäunen. Er solle so realitätsnah sein wie möglich, und die Insassen müssten lernen, damit umzugehen, so Schwarz. Wenn man das ändern wolle, sei dies eine politische Frage: «Wie will man den offenen Vollzug machen?!»

Die Strafanstalt Witzwil stand in den letzten Jahren zwar wegen Drogenkonsums und -handels in der Kritik, erhielt in punkto Sicherheit aber ein gutes Zeugnis ausgestellt – das zeigte ein vor einem Jahr veröffentlichter Bericht. Die Strafanstalt setzte in den letzten Jahren ein Massnahmenpaket zur Erhöhung der Sicherheit für rund 2,3 Millionen Franken um. Dazu gehören die Schaffung des spezialisierten Sicherheitsdienstes sowie der neue Zaun.

Thema im Grossen Rat

Doch genau dieser neue Zaun hat nun versagt. Es wurde zwar Alarm ausgelöst, aber die Wärmebildkameras reagierten nicht, und die Wachleute konnten keinen Flüchtigen entdecken. Deshalb gingen sie davon aus, dass ein Fehlalarm ausgelöst wurde und bemerkten den Ausbruch erst am Morgen danach.
 
Dieser Defekt am Sicherheitszaun war dem Seeländer Grossrat Jakob Etter (BDP, Treiten) bereits zu Ohren gekommen. In der Fragestunde im Grossen Rat vom Februar konfrontierte er damit Polizei- und Militärdirektor Hans-Jürg Käser (das BT berichtete). Dieser gestand zwar ein, dass Mängel bestehen, sagte aber auch: «Die Sicherheit ist garantiert.» War Käser damit etwas zu optimistisch? «Ich stehe zu meiner Aussage», sagte der Regierungsrat gestern gegenüber dem BT. Man habe den Zaun zur Optimierung der Sicherheit gebaut, ihn wegen Mängeln aber nicht abgenommen. Man habe richtig gehandelt, «das ist der beste Beweis dafür». Auch Anstaltsdirektor Schwarz weist darauf hin, dass man trotz der Mängel am Zaun die Sicherheit im Vergleich zu früher bereits erhöht habe. Grossrat Jakob Etter seinerseits glaubt ebenfalls nicht, dass durch den Ausbruch die Sicherheit der Bevölkerung gefährdet sei. Aber es habe sich nun bestätigt, dass seine Frage im Grossen Rat berechtigt gewesen sei.
 

Die Strafanstalt
  • In Witzwil befinden sich insgesamt 184 Insassen.
  • In der geschlossenen Wohngruppe, aus der der Flüchtige entkommen konnte, gibt es 18 Insassen.
  • Die letzte Flucht aus dem Strafvollzug in Witzwil gelang im Jahr 2009.
  • Die Strafanstalt umfasst sechs offene und eine geschlossene Abteilung. Die Durchführung von Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft sowie ein Arbeitsexternat gehören ebenfalls zum Aufgabengebiet.

 

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