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Natur

«Der Winter ist die Zeit der Selektion»

Wildtiere leiden im Winter weniger unter der Kälte als vielmehr unter dem Mangel an Nahrung. Ein weiterer Teil der Serie «Wildlebende Tiere im Seeland».

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Heidi Flückiger

Schneebedeckte und vereiste Naturböden erschweren es Wildtieren im Winter, an Nahrung zu gelangen. Wer «mobil» ist wie die Vögel, tritt zum Teil vor Wintereinbruch eine Reise in den Süden an. Viele Amphibien, Reptilien und Insekten fallen in eine Kältestarre, Siebenschläfer, Murmeltiere, Igel und Fledermäuse begeben sich in den Winterschlaf und Dachse oder Eichhörnchen in die Winterruhe. Winterschläfer sind aber nicht immer besser dran als Tiere, die das ganze Jahr hindurch aktiv sind. Geschwächte oder kranke Tiere überleben den Winterschlaf manchmal nicht.

An Gegebenheiten angepasst

Im Grunde genommen seien Wildtiere an die Gegebenheiten der Natur angepasst und hätten das Füttern nicht nötig, so Sandra Sacher aus Biel, Biologin bei der Stiftung Wildstation Landshut in Utzenstorf.

Wildtiere gar mit Essensresten vom Mittagstisch oder hartem Brot zu versorgen, sei eher schädlich als nützlich. «Sie vertragen derartiges Futter nicht», sagt sie. Rehe etwa besitzen als Konzentratselektierer einen speziellen Verdauungsapparat und sind auf artgerechte Nahrung angewiesen, um keinen Schaden zu nehmen. Die Winterfütterung von Vögeln hat gemäss Sacher zwar keinen Einfluss auf die Gesamtpopulation einer Vogelart, kann aber pädagogisch sehr wertvoll sein. Auch schadet sie den Vögeln nicht, wenn das richtige Futter verwendet wird und die gängigen Hygienestandards wie das Reinigen der Vogelhäuschen und -plätze eingehalten werden.

Wildtiere leiden im Winter auch nicht wie viele Menschen unter einer «Grippe». Der Befall mit Parasiten etwa ist keine typische Wintererkrankung. Derartige Infektionen treten das ganze Jahr hindurch auf. Die Auswirkungen bekommen die Tiere jedoch in der kalten Jahreszeit am deutlichsten zu spüren.

Gegen Kälte gewappnet

Gegen die Kälte sind Wildtiere bestens gewappnet. Behaarte Tiere werden durch ihr dickes Fell gewärmt, Vögel plustern sich auf, wodurch zwischen den Federn kleine Luftpolster entstehen und die Wärme festhalten. Vögel besitzen einen natürlichen Wärmetauscher, der zum Beispiel bei Wasservögeln dafür sorgt, dass sie im Winter nicht auf dem Eis festfrieren. Auch Rehe wissen sich bei eisiger Kälte zu helfen. Sie stehen gruppenweise beieinander und sollten in diesen sogenannten Wintersprüngen nicht vom Menschen gestört werden, da sie sonst unnötig wertvolle Energie verbrauchen.

«Der Winter ist für Wildtiere die Zeit einer vermehrten Selektion. Gesunde und kräftige Tiere überleben, durch winterlichen Nahrungsmangel unterernährte und geschwächte können sterben», sagt Sandra Sacher. Häufigste Pfleglinge im Winter sind Greifvögel, Eulen und Igel. Zurzeit sind über 40 Igel in der Wildstation untergebracht - und es werden täglich mehr. Vorigen Winter wurden um die 60 Stacheltiere überwintert.

Ein spezieller Gast ist der im Sommer geborene Albino-Igel mit roten Augen und weissem Stachelkleid. Er wurde am 30. September zur Wildstation gebracht, war verletzt, litt unter Parasiten und wog 250 Gramm. Jetzt bringt das Tier das dreifache Gewicht auf die Waage. «Damit ein Igel den Winterschlaf gut überstehen kann, sollte er bei Wintereinbruch etwa 500 Gramm wiegen. Wichtiger als das Gewicht ist aber der Gesundheitszustand des Igels. «Studien konnten zeigen, dass auch Jungigel mit einem Gewicht von nur 300 Gramm erfolgreich überwintern können, wenn sie gesund sind», sagt Sacher.

Der Albino muss aber, wie viele andere pflegebedürftige Artgenossen, die kalte Jahreszeit in der Wildstation verbringen und wird erst im Frühling ausgewildert, wenn er vollständig genesen ist.

Hilfe für verletzte Tiere

Wer einen Greifvogel, ein Reh, einen Dachs oder ein anderes, grösseres krankes und verletztes Wildtier antrifft, sollte zu dessen Rettung nicht selber Hand anlegen, sondern die Polizei oder einen Wildhüter avisieren. Aus Angst könnten die Tiere aggressiv reagieren und Rettern schlimme Verletzungen zufügen.

Anders Kleinvögel und Igel, die gut in einem mit Luftlöchern versehenen Karton zu transportieren sind. Für Stacheltiere sind im Seeland etliche Igelstationen zuständig. Auch das Tierheim Rosel in Orpund nimmt sich ihrer an. Bei verletzten Vögeln kann neben der Stiftung Wildstation Landshut auch die Schwanenkolonie Biel weiterhelfen. Tiere, die so schwer verletzt sind, dass ihnen nicht mehr geholfen werden kann, werden vom Wildhüter von ihrem Leid erlöst.

Die meisten Tierpensionen und -heime können aber in Not geratenen Wildtieren höchstens Erste Hilfe leisten, da sie nicht dazu ausgerüstet sind, kranke oder verletzte Wildtiere fachgerecht zu behandeln und artgerecht unterzubringen. «Viele Wildtier-Patienten werden von solchen Institutionen zu uns nach Utzenstorf weitergeleitet », so Sacher.

In Utzenstorf sind Wildtiere aus der ganzen Schweiz und somit auch aus dem Seeland untergebracht - mehr als 1600 pro Jahr. Es sei die schweizweit einzige, das ganze Repertoire der einheimischen Fauna betreuende Wildstation für die Therapie und Rehabilitation verletzter, kranker und verwaister Wildtiere, sagt sie.

Ein Fest am Sonntag

Die Wildstation beherbergt auch Dauergäste wie Waldkäuze, Uhus und Turmfalken, die aufgrund von Verletzungen in der Frei- heit nicht überlebensfähig sind. Die spendenfinanzierte Stiftung Wildstation setzt sich für den nachhaltigen Schutz der einheimischen Tierwelt und deren Lebensraum ein. Sie wird von Erika Siegenthaler ehrenamtlich geleitet. Derzeit wird die Stiftung vom Kanton Bern noch finanziell mitunterstützt, zukünftig ist dies aus Spargründen jedoch ungewiss.

Die Wildstation bietet im Übrigen auch Führungen an, und es wird zu Informationsanlässen und Festivitäten geladen. Am Sonntag, 8. Dezember, lädt die Stiftung von 14:00 bis 17:00 Uhr zum «Chlouse-Fest» ein, bei dem der Besucher auch allerlei Wissenswertes über Wildtiere im Winter erfährt.

Link: www.wildstation.ch

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