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Twannberg

Die Alten müssen den Jungen weichen

Die Biobäuerin Margrit Schumacher sammelt Unterschriften, um ein Waldstück auf dem Twannberg vor der Motorsäge zu retten. Der Förster Jürg Scheurer erklärt, welche Bäume aus welchem Grund gefällt werden – und wie der Klimawandel unsere Wälder verändert.

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Sarah Grandjean
 
Ein Leintuch ist zwischen drei mächtige Buchen gespannt. Darauf ist zu lesen: «Diese Bäume sollen bleiben. Unterschreiben.» Auf einem Metalltisch unterhalb des Banners steht neben einem Handdesinfektionsmittel ein Konfitürenglas. Darin befindet sich ein zusammengerolltes Papier mit Unterschriften.
 
Die Initiantin dieser Baumrettungsaktion ist Margrit Schumacher, eine Biobäuerin vom Twannberg. Die besagten Buchen stehen am Rand eines Parkplatzes auf dem Twannberg, ein Stück oberhalb des Weilers Gaicht. Sie gehören zu einem Holzschlag, der rund fünf Hektaren umfasst.
 
Als sie die unzähligen zum Fällen markierten Bäume gesehen habe, sei sie sehr erschrocken, sagt Schumacher. Auf dem Twannberg werde jedes Jahr massiv geholzt und immer habe sie gedacht: Hoffentlich bleibt dieser Platz so bestehen. Sie ist in der Gegend aufgewachsen, arbeitet hier, und der Platz liegt ihr am Herzen. «Das Eingangstor zum Twannberg» nennt sie ihn, für sie ein kultureller Ort. Zahlreiche Ausflügler kommen im Sommer her, Schulklassen picknicken im Schatten der alten Bäume, auf dem Parkplatz des früheren Feriendorfs parkieren Autos am Waldrand.
 
Schumacher will verhindern, dass dieser Ort zerstört wird. Sie hat bereits mit dem zuständigen Förster, Jürg Scheurer, Kontakt aufgenommen. Die drei Buchen am Rand des Platzes seien krank und wahrscheinlich nicht mehr zu retten. Aber innerhalb des Waldes sind eine Menge alter, gesunder Bäume markiert, die kein Sicherheitsrisiko für Waldbesucher darstellen. Und die Bäume am Rand des Parkplatzes schützen mit ihren tiefen Ästen den Wald vor Winden wie etwa dem Joran. Schumacher will nicht in den gesamten Holzschlag eingreifen. Ihr Ziel ist es, dass der Platz im Umkreis von 150 Metern möglichst so erhalten bleibt, wie er heute besteht.
 
Vor einem Monat hat sie das Leintuch aufgehängt und die Unterschriftensammlung lanciert. Schumacher hat erreicht, dass sie am 12. Juni beim jährlich stattfindenden Hauungsvorschlag dabei sein und ihr Anliegen vorbringen darf. Beim Hauungsvorschlag wird jeweils der Holzschlag überprüft und freigegeben, sofern alles in Ordnung ist. Daran beteiligt sind nebst Scheurer die Burgergemeinde Twann, welcher der Wald auf dem Twannberg gehört, das Orpunder Forstunternehmen Hofstetter, das den Wald gepachtet hat (siehe Infobox) sowie mehrere Burgerräte und die Waldabteilungsleiterin.
 
Proteste sind keine Seltenheit
 
Der Förster Jürg Scheurer wartet am Rand des Parkplatzes im Schatten der Bäume. Er ist verantwortlich dafür, dass das Waldgesetz in den Wäldern der Gemeinden Twann, Tüscherz und Ligerz eingehalten wird. Seit 20 Jahren kümmert er sich um den Wald auf dem Twannberg. Im betroffenen Waldstück auf dem Twannberg wurde vor über 20 Jahren zuletzt geholzt. Scheurer deutet auf die Krone einer der betroffenen Buchen, die er mit einem rosafarbenen Punkt markiert hat: Einige ihrer äussersten Zweige sind kahl. Ein deutliches Zeichen dafür, dass es dem Baum an Wasser fehlt. Scheurer greift mit der Hand in eine Vertiefung im Baumstamm und bricht morsches Holz hervor. Dieser Baum ist innen faul und wird langsam absterben, erklärt er. Die Buchen am Strassenrand müssen folglich aus Sicherheitsgründen gefällt werden. Er will nicht das Risiko eingehen, dass jemand von einem herabfallenden Ast getroffen wird.
 
Margrit Schumacher betont, ihr gehe es nicht primär um diese drei Buchen, sondern um den gesamten Platz. Wenn die Buchen weg sind, haben die Jungbäume genügend Platz und Licht zum Wachsen, argumentiert sie. Im Gegenzug müsste man innerhalb des Waldes nicht so viele Bäume fällen. Ausserdem stört sie sich an der Menge von Holzschlägen, die unter «Sicherheitsholzerei» fallen. «Müssen wir uns immer dem Diktat von Sicherheit beugen?» Sie findet, man solle mehr an die Eigenverantwortung der Waldbesucher appellieren: Wer den Wald betritt, tut dies auf eigene Gefahr. Sie kämpfe nicht nur für diesen Ort, sondern wolle die Öffentlichkeit aufrütteln.
 
Immer wieder ist im BT von Protesten gegen Baumfäll-Aktionen die Rede. Auch Jürg Scheurer ist sich gewohnt, dass Waldbesucher Holzschläge hinterfragen. Es ärgert ihn, wie viele Menschen sich in seine Arbeit einmischen. Es sei sogar schon vorgekommen, dass die Maschinen beschädigt wurden, die zum Holzen gebraucht werden. Er antwortet regelmässig auf entsprechende Anfragen, Anrufe und E-Mails von Waldgängern. Für gewöhnlich würden sie sich verständnisvoll zeigen und sich für die Erklärung bedanken. Dennoch bedeutet dies für den Förster einen Mehraufwand. Allen könne man es schliesslich nicht recht machen, denn der Wald hat viele Interessenten. Dazu gehören Vogelbeobachter, Pilzsammlerinnen, Sportler, Schulklassen und Pfadfinderinnen.
 
Scheurer glaubt, vielen Menschen fehle das Bewusstsein dafür, dass Holz ein nachhaltiger Rohstoff ist. Früher sei man etwa beim Heizen stärker auf Holz angewiesen gewesen, während man heute oft Öl verwendet. Ausserdem würden viele Waldbesucher nur die kurzfristigen Folgen sehen – die gefällten alten Bäume – und nicht die langfristigen – die nachwachsenden jungen Bäume. Dieses Problem ist auch Roger Schmidt von der Wirtschafts-, Energie- und Umweltdirektion des Kantons Bern bekannt. Es sei in städtischen Gegenden häufiger ein Thema als in ländlichen. Menschen, die sich selten im Wald aufhalten, hätten oftmals ein statisches Bild im Kopf. «Sie sind sich nicht bewusst, dass sich der Wald verändert.» Wer dagegen regelmässig in den Wald geht, sehe auch die Entwicklung. «Der schöne Wald von heute ist der Holzschlag von gestern», so Schmidt. Dessen ist sich Margrit Schumacher bewusst. Sie hält aber dagegen, dass das nicht von heute auf morgen geschieht: Bis ein junges Bäumchen gross ist, dauert es länger als eine Generation. 
 
Fichte und Buche leiden
 
Jürg Scheurer startet einen Rundgang durch den Wald und erklärt, wieso er welche Bäume angezeichnet hat. Mit schnellen Schritten geht er voraus, knickt hier im Vorbeigehen einen trockenen Ast ab und berührt da die Rinde eines Baumes. Er hat auffallend viele Buchen und Fichten markiert. Diese Baumarten leiden besonders unter der Hitze und Trockenheit der letzten Jahre.
 
Die Wurzeln der Fichte, im Volksmund Rottanne, reichen nicht tief in den Boden. Deshalb kann sie während einer Trockenperiode nicht ausreichend Wasser aufnehmen. Insbesondere im Mittelland vertrocknet sie und fällt deshalb leichter Stürmen zum Opfer. Zudem ist sie anfälliger für Borkenkäfer, weil sie aufgrund der Trockenheit keinen Harz mehr produzieren kann, um sich vor ihnen zu schützen. Die Fichte ist besonders vom Buchdrucker betroffen. Diese Borkenkäferart legt ihre Eier in der Rinde des Baumes ab. Die Larven fressen Gänge unter die Rinde und unterbrechen den Saftfluss des Baumes, was ihn sterben lässt. «Mit der Klimaerwärmung wird die Fichte im Mittelland in den nächsten 50 Jahren zunehmend verschwinden», sagt Scheurer. Der Wald verändere sich mit dem Klima: «Irgendwann werden wir hier eine ähnliche Vegetation haben wie in Südfrankreich.»
 
Fichte und Buche sollen nun Platz machen für sogenannt klimafreundliche Baumarten, deren Wurzeln tiefer in den Boden reichen und die die Trockenheit besser vertragen. Dazu zählen Eichen, Linden, Ahorne und Douglasien. Der Förster bleibt an einer Stelle stehen, wo ein Sturm eine Schneise in den Wald gerissen hat. Er bückt sich und deutet auf mehrere junge Eichen, die aus dem Gras wachsen. Vor 20 Jahren seien nie so viele Eichen natürlich nachgewachsen wie in den letzten paar Jahren. «Die Natur zeigt uns, welche Baumarten klimafreundlich sind», ist der Förster überzeugt.
 
Totes Holz für Käfer und Pilze
 
«Klar tut es weh, wenn ich einen 100-jährigen Baum anzeichne», sagt Scheurer. Aber ein Baumleben sei irgendwann vorbei. So lässt er vitale Bäume, die genug Laub und eine kräftige Krone aufweisen, stehen, und nimmt dafür ihre schärfsten Konkurrenten weg. Kranke oder verletzte Bäume werden eher gefällt und klimafreundliche wie die Eiche begünstigt. Es sei wichtig, den Wald hin und wieder auszudünnen, damit die jungen Bäume genug Licht zum Wachsen haben.
 
Während kranke Bäume am Strassenrand und in der Nähe von Waldwegen zur Sicherheit von Waldbesuchern gefällt werden, darf mitten im Wald auch mal ein toter Baum stehen bleiben. Scheurer deutet auf faustgrosse Löcher im morschen Holz eines toten Baums: Hier zum Beispiel haben Spechte nach Insekten gesucht. Etwas weiter auf einem lichten Waldstück sind Äste zu hohen Haufen getürmt. Diese bieten Lebensraum für Insekten, Reptilien und Vögel. Sobald das Holz zu faulen beginnt, entsteht daraus wieder nährstoffreiche Biomasse.
 
Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) hat Mitte Mai die Kampagne «Wald-Vielfalt» gestartet, um die Bevölkerung für die Bedeutung von Biodiversität zu sensibilisieren. Gerade im Mittelland ist es wichtig, auch alte und tote Bäume stehen zu lassen. Die Wälder hier sind gemäss Claudio De Sassi, Experte für Waldbiodiversität beim Bafu, historisch intensiver genutzt worden und die Totholzmengen liegen unter dem ökologischen Minimum. Im Mittelland sind Arten, die Alt-und Totholz bewohnen, gefährdet. Dazu zählen unter anderem Käfer und Grosspilze. «Der Biodiversitätsverlust ist ein globales und ernstes Problem», schreibt De Sassi.
 
Die Hauptursachen dafür seien alle auf menschliches Handeln zurückzuführen. So gefährden global etwa Entwaldung, Wilderei, Umweltverschmutzung und der Klimawandel die Biodiversität im Wald. Sterben bestimmte Arten aus, kommt das Ökosystem aus dem Gleichgewicht. In der Folge sind Wälder weniger fähig, Herausforderungen wie den Klimawandel zu bewältigen. Dies führt wiederum dazu, dass der Mensch von Waldfunktionen wie Schutz, Holznutzung oder Wasserspeicherung weniger profitieren kann. «Der Verlust der Biodiversität stellt eine Bedrohung der Existenzgrundlage für die Menschen und für die Wirtschaftsleistung unseres Landes dar», so De Sassi.
 
In Zukunft werden sich laut dem Experten Laubwälder durch den Klimawandel ausbreiten, während das Nadelholz in tieferen Lagen verschwinden wird. Aber auch Laubwälder können durch Hitze und Trockenheit in Stress geraten, wie sich dies im Sommer 2018 im Jura gezeigt hat.
 
Acht Jahre Ruhe
 
Nach einem Waldrundgang von gut einer Stunde hat man eine Menge rosa markierte Bäume zu Gesicht bekommen. Dies sei ein eher grosser Holzschlag, räumt Scheurer ein. Aber es werde höchstens so viel geholzt, wie auch wieder nachwachsen kann. Michael Meuter von Lignum, der Dachorganisation der Schweizer Wald- und Holzwirtschaft, bestätigt: In Schweizer Wäldern wachsen pro Jahr rund 10 Millionen Kubikmeter Holz nach. Davon wird nur knapp die Hälfte geholzt, nämlich zwischen 4,5 und 5 Millionen Kubikmeter. «Möglich wären bei nachhaltiger Nutzung etwas über 8 Millionen Kubikmeter Nutzung», so Meuter.
 
Nach der Genehmigung des Hauungsvorschlags nächste Woche hat das Forstunternehmen Hofstetter aus Orpund zwei Jahre Zeit, um den Holzschlag durchzuführen. Meist wird dies in einem Zug erledigt, sodass Mensch und Natur möglichst kurz gestört werden. Der anstehende Holzschlag dürfte innerhalb einer Woche erledigt sein. Danach wird in diesem Waldstück während mindestens acht Jahren wieder Ruhe einkehren. Zeit für die jungen Eichen, Ahorne und Douglasien, den Wald zu erobern, findet Jürg Scheurer. 
 
Aber nicht auf Kosten so vieler alter Bäume rund um das «Eingangstor zum Twannberg», findet Margrit Schumacher. Sie ist hartnäckig und will, wenn nötig, auch nach dem Hauungsvorschlag weiter Unterschriften sammeln. Schon jetzt ist sie nicht die Einzige, der der Platz am Herzen liegt: Inzwischen haben fast 300 Personen dafür unterschrieben, dass er möglichst unverändert erhalten bleibt.
 
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Der Holzverbrauch in der Schweiz

 
In der Schweiz werden jährlich rund elf Millionen Kubikmeter Holz verbraucht. Dies sagt Michael Meuter, Medienverantwortlicher von Lignum, dem Dachverband der Schweizer Wald- und Holzwirtschaft, auf Anfrage. Etwas weniger als die Hälfte davon ist Energieholz, das zum Heizen und zur Produktion von Elektrizität genutzt wird. Die andere Hälfte wird stofflich verwertet. Das heisst, das Holz kommt im Bau sowie zum Beispiel bei der Herstellung von Möbeln und Innenausbauten zum Einsatz. Weiter entstehen daraus Platten, Papier und Karton.
 
Der wertschöpfungsstärkste Sektor ist der Bau. Für Konstruktionszwecke wird vor allem die Fichte verwendet, die auch als «Brotbaum der Forstwirtschaft» bezeichnet wird. Sie ist in der Schweiz sehr häufig, ihr Holz ist weich, leicht zu verarbeiten und dennoch tragfähig. Langsam kommt nun das Bauen mit Buche in Fahrt. Auch sie ist in der Schweiz weit verbreitet und gilt als wärmetoleranter als die Fichte. Aber auch Tanne und Buche leiden unter der zunehmenden Trockenheit. Als Nachfolger für die Fichte dürfte sich etwa die Douglasie eignen, eine Nadelbaumart aus Nordamerika. Ihr macht die Wärme nichts aus und sie verdrängt keine einheimischen Waldbäume.
 
Die Berner Fachhochschule führt regelmässig Erhebungen über den Holzendverbrauch in der Schweiz durch. Die letzten Zahlen zum Anteil von Schweizer Holz gehen aus einer 2014 publizierten Branchenanalyse hervor. Damals stammten 37,5 Prozent des im Bau verwendeten Holzes aus der Schweiz. Der Rest wurde hauptsächlich aus Österreich und Deutschland importiert. Nach dem Frankenschock 2015 dürfte laut Meuter noch mehr Holz importiert worden sein. Er geht davon aus, dass der Anteil an Schweizer Holz mittlerweile wieder höher als 37,5 Prozent liegt.
 
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Der Twannbergwald

 
Der Wald auf dem Twannberg ist knapp 400 Hektaren gross. Die Burgergemeinde Twann hat ihn vor drei Jahren an das Forstunternehmen Hofstetter verpachtet, das sich nun um den Wald kümmert und jährlich rund 2300 Kubikmeter Holz schlägt.
 
Der Wald ist grösstenteils Nutzwald, dient also der Holzproduktion. Ein Teil davon, die Schlossfluh, ist ein Naturreservat, in dem man der Natur freien Lauf lässt. Und in einem Waldstück oberhalb von Twann gibt es seit fünf Jahren die sogenannte «Letzte Adresse». Dort kann man die Asche eines verstorbenen Menschen bei den Wurzeln eines Baumes vergraben. Der gewählte Baum wird während der nächsten 25 Jahre nicht genutzt.

 

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