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Lengnau

«Die Arbeit mit Hunden bedeutet für mich Lebensqualität»

Fabienne Rall hat sich mit der Ausbildung zur Physiotherapeutin für Hunde einen Traum verwirklicht. Die Lengnauerin berichtet über ihre Arbeit in ihrer Praxis – wobei Arbeit das falsche Wort ist.

Fabienne Rall demonstriert mit ihrer Jack-Russell-Hündin Amelie, wie Schwimmtraining geht. Matthias Käser
  • Dossier
Aufgezeichnet: Brigitte Jeckelmann
 
Tiere sind für mich wichtig, seit ich denken kann. Ganz besonders mag ich Hunde. Schon als kleines Kind habe ich mir einen gewünscht, aber meine Eltern waren dagegen. Immerhin konnte ich sie davon überzeugen, dass ich im Alter von zehn Jahren einen Wellensittich bekam. Es folgten Meerschweinchen und Kaninchen. Bis heute habe ich ständig Tiere um mich herum. Ein Leben ohne sie könnte ich mir nicht vorstellen. Für mich sind sie ebenso wichtig wie Menschen. Ich weiss, es klingt vielleicht seltsam. Aber warum das so ist, kann ich nicht in Worte fassen. 
 
Meine Liebe zu Tieren geht jedoch nicht so weit, dass ich sie vermenschliche, da mache ich eine klare Trennung. Ich lebe in einer Partnerschaft, mein Freund hat auch einen Hund. Kinder haben wir keine – die Hunde sehen wir aber ganz klar nicht als Kinderersatz. Mit 18 schaffte ich mir ein Pferd an. «Zu einem Pferd gehört ein Hund», dachte ich damals und so kam ich zu meinem ersten Hund, eine Mischlingshündin aus Italien. Lola wurde 17 Jahre alt. Die Jack-Russell-Hündin Amelie habe ich seit fünf Jahren, sie ist mein dritter Hund. Zu ihr kam ich per Zufall über Facebook. Die Züchterin musste Amelie von ihren Besitzern zurücknehmen. Sie kamen nicht mit ihr zurecht. Man hatte ihr als Welpe die Schneidezähne abgeschliffen. So etwas ist für mich unverständlich. Zum Glück stört sie das beim Fressen nicht. Müsste sie sich aber ihre Beute selbst fangen, wäre sie hilflos.
 
Amelie und ich verstehen uns wunderbar. Sie ist ein toller Hund. An den «Jackies» liebe ich das quirlige Wesen. Wohl, weil ich ebenso bin. Man sagt ja: Hunde und ihre Besitzer sind sich charakterlich ähnlich. Dass sich meine berufliche Laufbahn in eine andere Richtung entwickeln würde, als eigentlich vorgesehen, zeichnete sich schon früh ab: Mit Lola, meinem ersten Hund, besuchte ich zahlreiche Kurse in verschiedenen kynologischen Vereinen. Einer dieser Hundeklubs hatte einmal eine Hundephysiotherapeutin aus Deutschland eingeladen. Sie hielt einen Vortrag zum Thema «der gesunde Hund und wie er es bleibt». Sie untersuchte unsere Hunde und zeigte uns gymnastische Übungen. Ich war fasziniert und wusste: Das will ich auch machen. Wir wurden gute Freundinnen – sind es bis heute. Die eigentliche Ausbildung zur Hundephysiotherapeutin in Deutschland nahm ich dann aber erst im Alter von über 30 Jahren in Angriff. Ich musste erst etwas Geld verdienen in meinem angestammten Beruf als kaufmännische Angestellte. Nach und nach absolvierte ich dann die Ausbildung neben meinem Vollzeitjob. Seit knapp zwei Jahren habe ich meine eigene Praxis in Grenchen. Herzstück ist das Schwimmbecken, das mein Freund für mich gebaut hat. 
 
Warum Schwimmtraining? Manche Hunde haben kein Gefühl für ihr Hinterteil und die Hinterbeine – den Bereich nennt man auch Hinterhand. Dabei sind gerade diese Muskeln ganz wichtig, damit der Hund gut gehen kann. Wenn sie die ersten Male im Schwimmbecken trainieren, bewegen sie die Beine kaum. Ich stehe im Wasser hinter ihnen und bewege ihre Beine mit meinen Händen. Meistens nehmen sie die Bewegung auf und beginnen dann, selber zu paddeln. Solchen Hunden ziehe ich eine spezielle Weste über, die ihnen Auftrieb verleiht. Zusätzlich montiere ich Gamaschen aus Schaumstoff an den Beinen. Der Schaumstoff zieht die Beine nach oben und der Hund reagiert automatisch damit, dass er die Beine herunter drückt. Die grössten Hunde in meinem Pool waren ein Leonberger und eine junge Deutsche Dogge. Als sie sieben Monate alt war, mussten wir das Schwimmtraining beenden, weil ihre Beine zu lang geworden waren. 
 
Schwimmen ist ein vielseitiges Training. Es benötigt Kraft und trainiert die gesamte Muskulatur. Um die Muskeln an Rücken und Beinen zu stärken, hilft auch bergauf gehen. Manchmal lasse ich die Hunde auf dem Laufband ein Gewicht ziehen. So lernen sie, ihre Hinterbeine besser wahrzunehmen. Die Übungen passe ich jeweils den Vorlieben der Hunde an, denn nicht alle gehen gerne ins Wasser. Gymnastische Übungen führe ich mit der Hilfe von allerlei Dingen durch; Bälle, Balancebretter, kleine Hindernisse aus Stangen und mehr. Wichtig ist, dass dann die Besitzer mit ihren Tieren zuhause weitertrainieren. Deshalb gebe ich ihnen viele Übungen mit, die sie selber durchführen können. 
 
Festzuhalten ist, dass ich selber keine Diagnosen erstelle, das ist Sache des Tierarztes. Ich biete Therapien entweder im Trockenen oder im Wasser an. Das Bassin ist mein wichtigstes Arbeitsgerät. Die Schwimmtherapie eignet sich bei allerlei Leiden: Wenn die Gelenke abgenutzt sind und der Hund Schmerzen beim Gehen hat, zur Rehabilitation nach Operationen, für den Muskelaufbau bei Sport- und Arbeitshunden – und zur Gewichtsreduktion. Denn Übergewicht ist bei Hunden nicht selten Thema. 
 
Bei schwer übergewichtigen Tieren ist Schwimmen ideal, denn es belastet die Gelenke nicht. Dazu kommt, dass es sehr effizient ist: Der Energieverbrauch von einer Viertelstunde Schwimmen entspricht einem einstündigen Spaziergang. Auch die Ernährung muss stimmen. Und wie bei Menschen gehört ausreichend Bewegung dazu. Wenn Hunde zu dick sind, muss ich das den Besitzern auf diplomatische Art und Weise beibringen, denn das Thema ist heikel. Es geschieht ja nicht aus bösem Willen, dass manche Menschen ihren Tieren viel zu viele Naschereien zustecken.
 
Meine Kundinnen und Kunden finden häufig über Mund-zu-Mund-Propaganda zu mir. Manche kommen auch auf Anraten des Tierarztes. Die Gründe sind vielfältig: Wirbelsäulenprobleme, eingeklemmte Nerven oder Schmerzen in der Hüfte oder am Ellenbogen. Bei kleineren Hunden dagegen sind oft ausgerenkte Kniescheiben Schuld, dass sie bei mir in der Praxis stehen. Riesenthemen sind Krallenschneiden und Pfotenpflege. Nicht immer nützen sie sich beim Gehen richtig ab. Zu lange Krallen verursachen Schmerzen und können im schlimmsten Fall auch den Bewegungsapparat beeinflussen. 
 
Die Arbeit mit den Hunden ist für mich eigentlich keine Arbeit, sondern sie bedeutet für mich Lebensqualität. Denn es ist das, woran ich Freude habe und das mich erfüllt. Noch kann ich nicht davon leben. Deshalb arbeite ich daneben noch zu 40 Prozent als kaufmännische Angestellte in einem Büro. Dort fühle ich mich sehr wohl – aber es ist trotzdem nicht dasselbe. In der Praxis arbeite ich mit Tieren und ihren Menschen: Der Hund und sein Besitzer bilden eine Einheit. Ich denke, ich kann auch gut mit Menschen umgehen und habe zu allen Kundinnen und Kunden ein gutes Verhältnis. Ich empfinde die Kontakte mit den Hundebesitzerinnen und Hundebesitzern als bereichernd, denn wir teilen dieselbe Passion für Hunde und das verbindet.
 
Alle Folgen der Serie finden Sie unter www.bielertagblatt.ch/montag
 
 

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