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Prävention

Die grosse Verwirrung

Ob Vereine, Schulen oder Konzerte: Die Betroffenen kämpfen damit, immer neue Auflagen erfüllen zu müssen.

Bänz Friedli, Künstler. Bild: zvg
  • Dossier

Johannes Reichen, Stefan Schnyder, Chantal Desbiolles, Lea Stuber

1. Handels- und Industrieverein

Für die Sektion Bern des Handels- und Industrievereins des Kantons Bern ist es der Höhepunkt im Jahr: Jeweils 300 bis 400 Firmenchefs und Wirtschaftsvertreter nehmen an der Mitgliederversammlung teil. Diese steht am kommenden Montag auf dem Programm.

«Am Montag habe ich Kontakt mit der Hotline des Kantons aufgenommen», erzählt Mario Marti, Geschäftsführer der Sektion Bern. Eigentlich sei er davon ausgegangen, dass nun alle Teilnehmer an der Versammlung ein Formular ausfüllen müssten, mit welchem sie bestätigen, dass sie nicht in einem vom Corona-Virus stark betroffenen Land gewesen sind. «Doch der Herr am Telefon hat mir erklärt, dass dies nicht nötig sei. Wir müssen einfach die Angemeldeten darauf aufmerksam machen, dass sie nicht teilnehmen sollen, sofern sie in einem entsprechenden Land waren oder Grippesymptome haben.»

Am Dienstag haben die Teilnehmer nun die entsprechende Information erhalten. «Rund 25 Personen haben sich darauf hin abgemeldet», sagt Marti. Derzeit stehen noch 250 Personen auf der Liste der Angemeldeten. Marti plant zudem, mit einem Plakat und einer Projektion im Saal ein weiteres Mal auf die Vorsichtsmassnahmen aufmerksam zu machen. Trotzdem bleibt er angespannt: «Die Lagebeurteilung des Bundesrates kann jederzeit ändern. Deshalb bleibt die Unsicherheit bestehen, ob wir die Versammlung am Ende werden durchführen können.»

Gestern Abend kam eine Verschärfung der Bedingungen dazu, nach dem sich Gesundheitsminister Alain Berset und die Kantone auf eine neue Regelung geeinigt haben. Veranstaltungen ab 150 Personen sind neu bewilligungspflichtig. Auch Eigenverantwortung solle zum Tragen kommen. Das macht es nicht einfacher.

2. Jodlerklub Heimelig Wangenried

Die Unsicherheit der sich schnell verändernden Lage spüren auch andere Veranstalter. Deswegen hat sich der Jodlerklub Heimelig Wangenried sogar durchgerungen, ihren Jahreshöhepunkt aus dem Vereinskalender zu streichen: Sie verzichten auf das traditionelle Konzert und Theater am 13. und am 14. März mit je 250 Besuchern. «Sicherheitshalber», sagt Präsidentin Sonja Vogel. Denn nicht nur der Aufwand für jährlichen Traditionsanlass im Dorf ist immens – auch das Risiko, denn der Bund könne jederzeit die Massnahmen verschärfen.

Zwar hätte man durchaus noch zuwarten können, erklärt die Präsidentin, aber je später die Absage, desto grösser der Verlust für den Verein. Noch seien die Pastetli und Steaks nicht bestellt. Eine abgespeckte Version mit einfrierbaren Schweinswürsten wollte sich der Verein aber auch nicht zumuten. Stattdessen denkt man nun über ein Kirchenkonzert Ende Jahr nach.

Die Abklärungen über die Corona-Hotline fand Sonja Vogel hilfreich. Doch es war ein anderer Umstand, der die Entscheidung wesentlich beeinflusste: Dass auf dem Waffenplatz im benachbarten Wangen an der Aare Rekruten erkrankt sind, begünstigte die Absage. Die Konsequenzen daraus sind der laut Präsidentin tragbar. In den Abfall wandert das auf 4000 Flyer gedruckte Konzertprogramm. Und die Tombolapreise werden intern verkauft.

Einen weiteren Grund, den aus ihrer Sicht wichtigsten, nennt Sonja Vogel erst am Schluss. Der Jodlerklub kann auf ein treues Publikum zählen, das vorwiegend aus älteren Menschen besteht. Sie gelte es besonders vor einer Ansteckung zu schützen. Möglich auch, dass sie ohnehin nicht gekommen wären.

3. Bierhübeli – Tickets verkauft, weniger Besucher

Dass Besucher trotz Ticket zu Hause bleiben, spürt zurzeit das Berner Bierhübeli. Bei Bänz Friedli am vergangenen Samstag seien rund 20 Prozent weniger Besucher anwesend gewesen, als Tickets verkauft worden seien, sagt Bierhübeli-Chef Dave Naef. Während die zusätzlichen Massnahmen Geld kosteten, sorgten die ausbleibenden Besucher für Umsatzeinbussen an der Bar. Naef rechnet für die nächsten Konzerte mit ähnlichen Zahlen. Was würde die Absage eines ausverkauften Konzerts finanziell bedeuten? «Das kann ich erst sagen, wenn es so weit kommen würde», sagt er.

Im Moment läuft der Betrieb einigermassen normal weiter. Auch die sechs Konzerte von Patent Ochsner in dieser und der nächsten Woche finden gemäss Stand gestern Abend statt. «Wir stehen permanent mit den Behörden in Kontakt», sagt Naef. Wichtig sei: Es gebe kein generelles Veranstaltungsverbot. Mit einer Kapazität von 950 Personen fällt das Lokal unter die Grenze des bundesrätlichen Verbots. «Wir haben aber eine grosse Verantwortung gegenüber den Besuchern, dem Personal und den Künstlern, und diese nehmen wir wahr.»

Alle Anwesenden müssen ein Formular unterzeichnen und bestätigen, dass sie in den letzten zwei Wochen kein Risikogebiet besucht haben, keine Kontakte zu Corona-Patienten hatten, sich gesund fühlen. «Das gilt auch für die Künstler», so Naef. Das Formular kann auf der Website des Clubs heruntergeladen werden. Weitere Massnahmen: Der Club wurde mit Desinfektionssprays ausgerüstet, die Seifen in den Toiletten durch Desinfektionsseifen ersetzt, Hände werden keine mehr geschüttelt.

4. Schulaufführung – Rektorin kontrolliert persönlich

Auch Schulen organisieren von Zeit zu Zeit Anlässe, die über den überschaubaren Klassenzimmerrahmen hinausgehen. Im Gymnasium Kirchenfeld sind das etwa die Chorkonzerte, die einmal im Jahr im Theater National stattfinden. Wenn dort alle Plätze so belegt sind, wie es die Bestuhlung zulässt, finden sich über 800 Personen zusammen. Für die Konzerte mit Queen-Songs von Donnerstag-, Freitag- und Samstagabend werden etwa 600 Personen erwartet.

Bereits am späten Montagabend informierte die Schulleitung sämtliche Personen mit einem Ticket in einem Mail, dass die Chansonchorkonzerte stattfinden. «Das ist der Stand jetzt», sagt Elisabeth Schenk, Rektorin am Gymnasium Kirchenfeld, gestern Nachmittag. Wenn auf einmal neue Auflagen erlassen würden, müsste die Schulleitung die Situation wieder neu beurteilen. Eine der Galerien, die bei besonders grosser Nachfrage geöffnet wird, bleibt dieses Mal geschlossen. Als Erstes habe die Schulleitung überlegt, wie sie die Auflagen des Kantons am besten umsetzen könne, dann hat sie dafür verschiedene Szenarien entwickelt und sich für eines entschieden. Schliesslich hat sie dieses mit der kantonalen Hotline abgesprochen.

Das Gymnasium Kirchenfeld legt die Listen für die Gäste nun nicht beim Eingang auf, wie das andere Veranstalter machen. Bereits vor den Konzertabenden hat die Schulleitung die Formulare – je mit einer Linie für Namen, Adresse, Handyummer, Mail und Unterschrift – per Mail an alle verschickt. Ergänzt mit der Bitte, dieses vorgängig auszufüllen und ans Konzert mitzubringen sowie früher als normalerweise ans Konzert zu kommen. Dieser Mailversand war möglich, weil die Schulleitung die Mailadressen von der Verkaufsstelle des Onlinevorverkaufs erhalten hat. Abendkasse gibt es keine. «Diese Variante erschien uns effizienter als ein Auflegen der Listen beim Eingang», sagt Schenk. Nun reicht für den Eintritt nicht mehr das Ticket allein, sondern nur in Kombination mit dem ausgefüllten Formular. «Ich werde persönlich beim Eingang stehen», sagt Schenk Jenzer, «ohne Formular kommt niemand rein.»

5. Delegiertenversammlung – die FDP wartet ab

Wie das Bierhübeli und das Gymnasium Kirchenfeld will auch die FDP Kanton Bern mit Formularen alle Anwesenden bei ihrer Versammlung schriftlich erfassen. Laut Geschäftsführer Stefan Nobs ist dieses Prozedere «handelbar und aus heutiger Sicht auch vertretbar».

Noch steht aber in den Sternen, ob die Versammlung überhaupt stattfinden wird. Aktuell gilt das Veranstaltungsverbot bis 15. März – die liberalen Delegierten treffen sich drei Tage später. 100 bis 150 Entsandte nehmen jeweils an den Versammlungen teil – die Grösse variiert je nach Thema und Versammlungsort. Der Anlass werde aktuell vorbereitet wie immer, sagt Nobs. Die Versammlung im Kirchgemeindehaus in Reichenbach ist organisiert, die Einladungen dafür verschickt. «Wir warten weitere kantonale Vorschriften ab», so Nobs, «die Voraussetzungen werden sich bis dahin wieder ändern.» Mit einer Absage oder Verschiebung eilt es nicht, zumal die Vorleistungen deutlich kleiner sind als bei anderen Anlässen. Die Miete für den Raum trägt die Partei, der Apéro wird jeweils gesponsert. «Natürlich wäre es schade, aber die Welt würde damit nicht untergehen», stellt Nobs fest.

Auch sonst hat die kantonale FDP noch Spielraum. Mitte Jahr müssen die Organe gewählt werden. Parteileitung, Delegierte und Kommissionsmitglieder könnten also auch im Sommer noch ausgemarcht werden. Und die Parolen zu den eidgenössischen Abstimmungen im Mai? «Wir fassen sie nicht immer zu allen, manchmal haben wir uns auch auf die kantonalen konzentriert», sagt Nobs.

Stichwörter: Coronavirus, COVID-19, BAG, Auflagen

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