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Wahlen 19

Die Grünen wollen den Moment nutzen

Die Erwartungen an die Grünen sind hoch: Dank Klimadebatte und Schulstreiks beherrscht ihr Kernthema seit Wochen die Schlagzeilen. Nach Niederschlägen bei den vergangenen Wahlen soll es deshalb nun steil aufwärtsgehen.

Symbolbild: Keystone
  • Dossier

von Carmen Stalder

Greta ist überall. Ob in Zeitung, Radio oder Fernsehen, die schwedische Klimaaktivistin war in den vergangenen Monaten omnipräsent. Und mit ihr waren es Themen wie der Klimawandel und die Förderung von erneuerbaren Energien. Für die Grünen ein Glücksfall: Pünktlich aufs Wahljahr ist ihr Kernthema ohne ihr Zutun derart in den Fokus gerückt, dass sich niemand den Klima-Diskussionen entziehen konnte.

Entsprechend sind die Erwartungen an die Partei hoch. Bei den Wahlen vom 20. Oktober wird sich zeigen, ob die Grünen von der aktuellen Stimmung in der Bevölkerung profitieren können – oder ob viele Menschen das Thema Umweltschutz doch nicht so ernst nehmen, wie man es derzeit meinen könnte. Klar ist: Es kann fast nur besser werden.


Erfolglose letzte Wahlen

Sowohl bei den nationalen Wahlen 2011 als auch 2015 musste die Partei herbe Verluste einstecken. Vor acht Jahren verloren die Grünen bei den Nationalratswahlen fünf Sitze, vier Jahre später noch einmal vier. Derzeit besetzen sie in der grossen Kammer elf Sitze – vor 2011 waren es noch 20 gewesen. Und auch in der kleinen Kammer war das Glück nicht auf der Seite der Partei: Im Ständerat sitzt seit 2015 nur noch ein Grüner, Robert Cramer aus Genf.

Umweltthemen standen bei den vergangenen Wahlen schlicht nicht im Fokus. So drehte sich vor vier Jahren alles um die Flüchtlingskrise. Nun präsentiert sich eine ganz andere Ausgangslage. Schon lange bestehende Forderungen der Grünen sind massentauglich geworden. Darunter die Reduzierung des CO2-Ausstosses, eine nachhaltigere Ausrichtung der Wirtschaft, mehr erneuerbare Energien und die Förderung des öffentlichen Verkehrs sowie des Langsamverkehrs.

Die Partei will diesen Moment für sich ausnützen: «Wir Grüne sind für Menschen in ganz Europa zur Hoffnungsträgerin für eine lebenswerte Zukunft geworden», heisst es selbstbewusst auf der Website der Grünen Schweiz. Dass die Partei auf dem aufsteigenden Ast ist, hat sich in der laufenden Legislatur gezeigt. So konnte sie in den kantonalen Parlamenten von allen Parteien am meisten Sitze zulegen.

Derzeit verfügt sie schweizweit über 216 Mandate – so viele wie noch nie in ihrer Geschichte. Im Kanton Bern lassen die Erfolge allerdings noch auf sich warten. Bei den Grossratswahlen ging es seit 2010 bergab – von 19 sind momentan nur noch 14 Sitze übrig.


Dritter Sitz für Berner

Aus Bern sitzen derzeit zwei grüne Politikerinnen im Nationalrat: Regula Rytz und Aline Trede. Wie alle bisherigen Grünen treten auch sie zur Wiederwahl an; Rytz kandidiert zusätzlich als Ständerätin. Auf der Liste finden sich zudem 22 neue Kandidatinnen und Kandidaten, darunter drei Frauen und ein Mann aus der Region. Den Bielerinnen und Bielern bekannt sein dürften die beiden Stadträtinnen Lena Frank und Myriam Roth. Frank sitzt seit 2013 im Bieler Parlament. Die Pflegefachfrau ist Vizepräsidentin der Grünen Bern und Mitglied der Sektorleitung Bau in der Gewerkschaft Unia. Für sie ist klar: Die Grünen müssen den dritten Sitz zurückholen sowie Rytz in den Ständerat bringen. «Das ist ein realistisches Ziel», sagt sie.

Lena Frank sieht gute Chancen für sich selbst, es ins erste Viertel, wenn auch nicht an die Spitze, zu schaffen. Als selbsternannte «Rot-Grüne» setzt sie sich ein für faire Arbeitsbedingungen, und auch das Gesundheitswesen liegt ihr am Herzen. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Verkehrspolitik: Sie möchte den motorisierten Individualverkehr reduzieren, keine neuen Autobahnen bauen und den öffentlichen Verkehr ausbauen. «Da bin ich sehr von Biel geprägt», meint sie.

Die 28-jährige Myriam Roth ist ebenfalls Pflegefachfrau und seit 2017 Bieler Stadträtin. Die Welsche ist Co-Präsidentin des Vereins Klimaschutz Schweiz, der derzeit Unterschriften für seine Gletscher-Initiative sammelt. «In diese Tätigkeit stecke ich im Moment am meisten Energie», sagt Roth. Neben dem Klima liegen ihr auch die Gleichstellung und eine für alle zugängliche Gesundheitsversorgung am Herzen. Für eine Wahl rechnet sie sich keine Chancen aus, ihre Kandidatur diene vor allem der Unterstützung der Partei.


Vorwärts, aber wie viel?

Aus Nidau tritt die welsche Stadträtin Carine Stucki-Steiner zu den Wahlen an. Die Natur- und Umweltfachfrau ist im Landschaftswerk Biel-Seeland tätig. Ein für sie wichtiges Thema ist der Konsum: Wie können wir besser und weniger konsumieren? Unter welchen Umständen sind unsere Lebensmittel, Kleider und elektronischen Artikel hergestellt worden? «Die Informationen darüber, wie und wo etwas produziert worden ist, sollten transparenter gemacht werden», sagt sie. Für sich selbst rechnet Stucki-Steiner bei den Wahlen zwar nur kleine Chancen aus. Den 20. Oktober sieht sie jedoch als gute Gelegenheit, um feszustellen, wo die Grünen derzeit stehen. «Wir werden sicher vorwärtsmachen. Die Frage ist nur, wie viel.»

Schliesslich findet sich auf der Liste Kilian Baumann, Biobauer aus Suberg. Seit 2014 hat er einen Sitz im bernischen Grossen Rat. Bei den letzten Nationalratswahlen hat er es auf den zweiten Ersatzplatz geschafft. «Dieses Resultat gibt mir ein gutes Gefühl, es nun erneut zu versuchen», sagt er. Baumann ist Mitglied der kantonalen Bau-, Energie-, Verkehrs- und Raumplanungskommission. Zu seinen Kernthemen gehört dadurch beispielsweise die nachhaltige Gebäudesanierung.

Als Bauer ist ihm zudem die Agrarpolitik wichtig. «Ich habe mehrere Vorstösse zur Pestizidproblematik eingereicht.» Sein Credo: Mehr Biodiversität, weniger Pestizide. Im aktuellen Wahlkampf merke man, dass plötzlich alle auf den «grünen Zug» aufspringen wollten. «Ich hoffe, dass die Wähler merken, wer das Original ist – und wer sich seit Jahren für den Umweltschutz einsetzt.»


Junge Grüne für Netto-Null

Die Jungen Grünen führen ihren Wahlkampf unter dem Motto «Klima vor Profit!». Sie setzen sich dafür ein, dass die Schweiz ihren CO2-Austoss bis 2030 auf Netto-Null bringt, für eine Welt ohne Armut und Ausbeutung, für mehr Junge in den Parlamenten sowie ein Land frei von Diskriminierung, Rassismus, Sexismus und Hass. Unter den 24 jungen Berner Kandidatinnen und Kandidaten hat es ein Vertreter aus Biel auf die Liste geschafft: Manuel Schmid.

Der 28-Jährige ist gelernter Elektroinstallateur und aktuell in der Zweitausbildung zum Oberstufenlehrer. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich als Lehrer, Velokurier, Wochenendwache im Asylheim und Elektriker. Er ist im Vorstand von Pro Velo Biel-Seeland-Jura Bernois und im Vorstand der Vereinigung der Studierenden der PH Bern. Ihm ist es wichtig, die sanfte Mobilität und insbesondere den Veloverkehr zu fördern, so hat er beispielsweise in Biel die Fahrradbewegung Critical Mass mitinitiiert. Ein weiteres Anliegen ist die Nachhaltigkeit: «Ich setze mich dafür ein, den alternativen Kreislauf zu stärken», sagt er. Dazu gehört etwa die Vermeidung von Foodwaste oder das Kaufen von Secondhand-Ware. Mit seiner Kandidatur für die Jungen Grünen will er auch die Sichtbarkeit seiner Partei stärken.

Abgesehen von Klima- und Umweltschutz ist weniger bekannt, für welche Anliegen sich die Grünen sonst noch einsetzen. Dazu gehören etwa Gleichberechtigung, Lohnschutz oder Menschenrechte. Nun gilt es, gespannt abzuwarten, ob die Grünen mit ihrem einen Kernthema tatsächlich den hohen Erwartungen nachkommen können. Denn das ist für die Partei vielleicht die grösste Herausforderung: Alles andere als ein haushoher Gewinn wäre eine Niederlage.

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