Sie sind hier

Abo

Fischwanderung

Die Lachse können kommen

Die Fischtreppe beim Kraftwerk Hagneck ist in Betrieb. Mit dem einzigartigen Projekt wird auch in die Zukunft geplant: Dereinst sollen dank der Anlage wieder Lachse die Aare hinauf schwimmen können.

Ist bereit für die Fische: der neue Umgehungskanal beim Kraftwerk Hagneck. c: psj/bt

Fabian Maienfisch

Wir befinden uns im Jahr 2040. Die Lachse sind vom Meer her durch den Rhein und die Aare bis in den Bielersee geschwommen. Beim Kraftwerk Hagneck geht ihre Reise weiter die Aare hinauf, bis sie schliesslich ihre ursprünglichen Laichplätze erreicht haben. Das ist jedoch nur möglich, weil zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine einzigartige Fischtreppe erstellt worden war. Damals die erster ihrer Art, wurde sie später zum Vorbild zahlreicher weiterer Umgehungsgerinne für Fische in ganz Europa. Auch dank dieser Massnahme ist heimischer Lachs mittlerweile wieder auf der Speisekarte der Schweizer zu finden.
Zugegeben, dieses Zukunftsszenario ist noch weit weg. Der erste Schritt dazu ist aber in der Gegenwart getan worden: Gestern ist die 550 Meter lange Fischtreppe beim Hagneckkraftwerk offiziell in Betrieb genommen worden. Noch fehlen zwar die Lachse – ihre Wiederansiedlung im Rhein hat eben erst begonnen. Für andere Arten, wie Seeforelle oder Hecht, ist das neue Umgehungsgerinne aber bereits heute zugänglich.

«Unüberwindbare Hindernisse»
Besonders die Seeforellen werden sich freuen: Zwischen September und Dezember schwimmen sie vom See her die Fliessgewässer hinauf und legen bis zu 100 Kilometer Weg zurück, um an ihre Laichplätze zu kommen. «Wehr und Kraftwerk sind für wandernde Fische unüberwindbare Hindernisse», sagt Daniel Bernet vom Fischerei-Inspektorat des Kantons Bern. Mit der neuen Fischtreppe habe man nun eine optimale Lösung gefunden.
Mehr noch: Die Anlage habe Vorbildcharakter, ist Bernet überzeugt. Tatsächlich kämen immer wieder Delegationen aus dem Ausland auf die Baustelle zu Besuch, um sich die Fischtreppe anzusehen, sagt Andreas Stettler, Verwaltungsratspräsident der Bielersee Kraftwerke AG. Die Fischtreppe sei der Beweis, dass Ökologie und Ökonomie miteinander einhergehen könnten. Indes bedeute ein solches Projekt auch gewisse Einschränkungen, sagt Stettler weiter. «Das Wasser im Fisch-Bach würden wir auch gerne zur Stromproduktion benutzen.»

Bach mit grossen Steinen
Damit ein solcher Umgehungskanal funktioniere, müsse mindestens 1 Prozent der gesamten Wassermenge eines Flusses hindurchfliessen, erklärt Bernet. Beim Kraftwerk entspricht 1 Prozent etwa 2800 Liter Wasser pro Sekunde. Dieses Wasser wird für die künstliche Lockströmung benötigt, welche die Fische auf den Einstieg zur Treppe aufmerksam machen soll. Bei der Hagnecker Fischtreppe wird man insgesamt 3800 Liter pro Sekunde hinunter fliessen lassen. Lockströmung und Einstieg seien denn auch zwei zentrale Punkte des Projekts, sagt Bernet. So sei die Lockströmung etwas stärker als die Strömung, welche durch die Turbinen verursacht werde. Die Fische spürten die stärkere Strömung und folgten dieser. Die Einstiege verteilen sich bis zu den Turbinen und münden alle in die Fischtreppe.
Die Fischtreppe selber ist eigentlich mehr ein Bach mit grossen Steinen. Naturnah gestaltet ist sie auch Lebensraum für Tiere. Ihre verschiedenen Arme weisen unterschiedlich starke Strömungen für unterschiedliche Fischarten auf. So benötigen grosse Fische eine hohe Fliessgeschwindigkeit und einen breiten Abstand zwischen den Steinen. Für kleine Fische darf die Strömung hingegen nicht zu stark sein.

Abstieg auch durch Turbinen
Wie der Aufstieg vom See in einen Fluss funktioniert, weiss man seit rund 30 Jahren. Der Abstieg hingegen ist noch wenig erforscht. Zwar wurden auch oberhalb des Wehrs Einstiege zur Fischtreppe gebaut. Gemäss Bernet schwimmen viele Fische aber durch die Turbinen. «Sie folgen dem Hauptstrom.» Die Turbinen seien so erstellt worden, dass die Fische möglichst grosse Überlebenschancen hätten, sagt er. Bei kleinen Exemplaren müsse jedoch mit einer Todesrate von 10, bei grossen von bis zu 40 Prozent gerechnet werden.
Während die Fischtreppe fast fertig gebaut ist, dauern die Arbeiten am Kraftwerk an. Laut Andreas Stettler sind die Gebäude praktisch fertig gebaut, und das Kraftwerk ist bereits geflutet worden. Jetzt werden die Elektronik und die zwei Turbinen installiert. Im Hauptgebäude sind Arbeiter daran, die Generatoren mit den Laufrädern zu verbinden. Mitte Juni 2015 soll die erste und Mitte August die zweite Turbine den Probebetrieb aufnehmen. Ans Netz werden sie voraussichtlich 2016 angeschlossen. Dann werden das neue und das alte Kraftwerk zusammen ungefähr 110 GWh Strom erzeugen. Das entspricht dem durchschnittlichen, jährlichen Stromverbrauch von 27 500 Haushalten.
Die Planungen für das Kraftwerk begannen Ende der 1990er-Jahre, die Bauarbeiten 2011. Ende 2016 soll mit der Renaturierung des Hagneckdeltas die letzte Etappe abgeschlossen sein. Kosten wird die gesamte Erneuerung gut 150 Millionen Franken, ohne Mehrwertsteuer. Für Umweltmassnahmen und Fischtreppe sind rund 15 Millionen veranschlagt. Das Kraftwerk wird eine Lebensdauer von 80 Jahren haben.

Risiko: Strompreis
• Stand heute würde die Stromproduktion aus dem Wasserkraftwerk Hagneck nicht rentieren, zu niedrig sind die aktuellen Marktpreise.
• Die Ursachen liegen einerseits in der lahmenden Weltwirtschaft sowie andererseits in der massiven Subventionierung von Ökostrom in Deutschland. Zudem sind konventionelle Energien Kohle, Gas und Öl so günstig wie lange nicht mehr.
• Die Bielerseekraftwerke rechnen nicht vor 2018 mit einer Verbesserung der Lage, das Kraftwerk Hagneck soll ab Herbst 2015 Strom liefern.

Nachrichten zu Seeland »