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Wein

«Die Qualität ist top»

Die Bielersee-Region kann heute mit grossen Konkurrenten mithalten, sagt der Direktor von Swiss Wine.

Nicolas Joss degustiert einen Rotwein vom Twanner Johanniterkeller. Bild: Yann Staffelbach

Interview: Carmen Stalder

Das Interview mit Nicolas Joss, Direktor von Swiss Wine, findet in der Bieler Weinbar Ici c’est le vin statt. Fasziniert steht der 39-Jährige vor dem raumhohen Weinregal und lässt seinen Blick über die Etiketts der hiesigen Tropfen schweifen. Geschäftsführer Adam Kirchknopf schenkt dem Gast ein Glas Saint Laurent 2018 von Martin Hubacher ein – vom Winzer aus Twann also, der letzte Woche zusammen mit seiner Frau den Titel des Schweizer Weinguts des Jahres abgestaubt hat. Joss und Kirchknopf kommen ins Gespräch, der Gastgeber fachsimpelt über die Aromatik des Weins, der Interviewte bedauert, dass viele Schweizer Weine schnell ausverkauft sind.

Nicolas Joss, Sie haben gerade den Wein von Martin Hubacher degustiert. Merken Sie, dass es ein Schweizer oder gar Bielerseewein ist?

Nicolas Joss: Da stellt sich die Frage: Was ist überhaupt ein Schweizer Wein? Die Bandbreite ist heute sehr gross. Vor 25 bis 30 Jahren gab es vor allem Chasselas und Pinot noir, dazu vielleicht ein paar spezielle Rebsorten aus dem Wallis oder der Ostschweiz. Die Winzer haben so gearbeitet, wie es zuvor schon der Vater und der Grossvater getan haben. Die neue Generation dagegen hat ihr Handwerk oftmals im Ausland erworben und dort neue Methoden kennengelernt. Es ist daher heute schwierig zu sagen, ob es ein Schweizer Wein ist oder nicht.

Sie können nicht feststellen, aus welcher Region ein Wein kommt?

Ich kann sagen, ob ein Pinot noir aus der Deutschschweiz oder aus der Westschweiz kommt, wo der Stil eher klassisch ist. Im ganzen Jurabogen, also von Neuenburg über den Bielersee bis ins Aargau haben die Winzer früher Pinots noir gemacht wie im Wallis. Heute setzen sie auf das eigene Terroir.

Sie haben also ihren Stil gefunden.

Ja. Und auch die Kunden sind offen dafür. Sie suchen nach lokalen Weinen und dem typischen Aroma einer Rebsorte. Die Region ist zweitrangig. Man kann das beim bekanntesten Namen der Schweiz sehen: Aigle les Murailles, der «Eidechsli-Wy». Alle kennen den. Die erste Verbindung ist nicht, dass er aus Chablais im Waadt ist. Sondern: Das ist der Eidechsli-Wy, ein Chasselas.

Was braucht es, um eine solche Bekanntheit zu erlangen?

Vor allem viel Zeit. Und Kommunikation in der ganzen Schweiz, nicht nur in der eigenen Region.

Braucht das Weingut nicht auch eine bestimmte Grösse?

Nehmen wir das Graubünden: Viele Leute kennen Daniel Gantenbein oder Martin Donatsch. Beide Weingüter sind sehr klein. Am Neuenburgersee ist das Château d’Auvernier ein bekannter Name und ebenfalls sehr klein. Je grösser heisst nicht, desto besser. Heute ist vielleicht sogar eher das Gegenteil der Fall. Kleine Regionen und Produzenten stehen für Qualität, grosse für Industrie.

Welches Potenzial sehen Sie am Bielersee?

Eine grosse Chance ist, dass es hier viele kleine Winzer hat. Es gibt ein sehr breites Sortiment für Sommeliers oder Privatkunden, das ist toll. Anne-Claire Schott aus Twann beispielsweise ist eine Spitzenwinzerin. Im Sommer gab es eine Weinverkostung in Singapur mit dem weltberühmten Weinkritiker Robert Parker. Dort wurde der Orange Wine von ihr ausgeschenkt. Das ist genial! Auch der Grand Prix du Vin Suisse für Martin Hubacher ist super. Es ist ein Zeichen an die grossen Regionen: Achtung, wir machen hier auch sehr gute Weine. Es ist das Jahr für den Bielerseewein. Die Winzer müssen das jetzt nutzen.

Wie denn?

Ich möchte an den Wettbewerben mehr Weine vom Bielersee sehen. Auch im Ausland, zum Beispiel am Concours Mondial in Brüssel. Sogar in Bern gibt es Leute, die nicht wissen, dass am Bielersee Wein produziert wird. Oder sie glauben, dass er nicht gut ist. Das kann sich durch die Auszeichnung ändern.

Manche sind immer noch skeptisch, wenn man ihnen einen Bielerseewein vorsetzt.

Man sollte nicht damit beginnen, «der ist ein Bielerseewein». Lieber sagen, das ist ein lokaler Wein von einem kleinen Winzer. Der Name der Region sollte man erst am Schluss sagen.

Was hat die Region in den letzten Jahren für eine Entwicklung durchgemacht?

Die heutigen Winzer sprechen mehr mit den Kunden und sind auf Social Media unterwegs. Die Generation ist offener. Am Bielersee gibt es viele Winzerinnen und Winzer, die zwischen 30 und 45 Jahre alt sind. Sie sprechen viel zusammen – und das ist neu.

Also mehr Zusammenarbeit als Konkurrenz?

Sie sind eher Freunde und Partner statt Konkurrenten. Wenn es ein Problem im Weingut gibt, sind viele Winzer bereit, einander davon zu erzählen. Davon kann man viel lernen. Sie vermieten vielleicht auch Material untereinander, etwa für das Bewässern der Reben. Früher war es eher: Das ist meine Firma, mein Weingut. Ihre richtige Konkurrenz sind heute die ausländischen Weine, die man zu billigen Preisen kaufen kann. Da können sie nicht mithalten.

Inwiefern hat sich die Qualität des Weins verbessert?

Die Qualität hat gegenüber der Menge enorm an Bedeutung gewonnen. Das ist eine neue Philosophie in der Landwirtschaft: Früher galt nur die Menge, weil diese das Geld brachte. Man machte den Wein fürs Business. Heute sind die Weine teurer, dafür ist die Qualität top.

Kann die Schweiz mittlerweile gar mit Weinregionen wie dem Burgund oder der Toskana mithalten?

Meine Meinung ist: Die Pinots noir aus der Schweiz haben eine bessere Qualität als diejenigen aus dem Burgund. Es gibt sicher auch dort sehr viele gute Weine. Aber gerade was das Preis-Leistungs-Verhältnis anbelangt, ist man in der Schweiz besser dran. Für einen sehr guten Burgunder muss man mindestens 50 oder 60 Euro hinblättern. In der Schweiz bekommt man für 80 Franken bereits den teuersten Pinot noir von Gantenbein.

Wie finde ich als Kundin oder Kunde in der Schweiz diese richtig guten Weine?

Man muss vor allem degustieren. Am besten an einer Messe: Am Swiss Wine Tasting beispielsweise, das im November in Zürich stattfindet, stellen 150 oder 160 Winzer aus jeder Region in der Schweiz ihre Weine vor. Und in Biel kommt nächstes Jahr im Oktober unser neues Projekt, das Swiss Wine Festival, im Kongresshaus vorbei.

Was für Aktionen macht Swiss Wine sonst, um den hiesigen Wein bekannter zu machen?

Immer im Frühling machen wir die offenen Weinkeller. Ein weiteres neues Projekt ist «Am Puls der Ernte». Dabei können die Kunden einen halben oder ganzen Tag mit dem Winzer mitgehen und seine Arbeit kennenlernen. Wenn sie einen halben Tag im Weinberg gearbeitet haben, merken die Leute, wie anstrengend das ist. Sie verstehen dann auch, warum der Wein einen gewissen Preis hat.

Stichwörter: Wein, Bielersee, Seeland, Swiss Wine

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