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«Die raue Baustellensprache 
macht mir nichts aus»

Tina Schwab aus Kerzers hat sich in eine absolute Männerbastion vorgewagt: Sie ist Bauleiterin. Ihren Beruf würde sie jeder Frau zutrauen.

Tina Schwab macht klar: "Auf einer Baustelle muss man schon ein dickes Fell haben." Bild: Beat Kuhn
  • Dossier

Aufgezeichnet: Beat Kuhn

Ursprünglich wollte ich eigentlich Medizinlaborantin werden. Doch mein Vater riet mir, als Hochbauzeichnerin – offiziell heisst dieser Beruf heute Zeichnerin Fachrichtung Architektur – zu schnuppern. Das gefiel mir, und so absolvierte ich die entsprechende vierjährige Lehre. Aber schon während der Lehre wurde mir klar, dass ich nicht weiter im Büro arbeiten und für einen Architekten zeichnen würde. Vielmehr wollte ich draussen arbeiten, zudem organisatorisch tätig sein sowie mit einem grösseren Kreis von Leuten zu tun haben – denn ich rede gerne. So habe ich nach der Lehre die Weiterbildung zur Bauleiterin gemacht, die zweieinhalb Jahre dauert. In unserer Klasse waren wir bloss zwei Frauen. Mittlerweile bin ich 27 Jahre alt und habe schon ein paar Jahre Berufserfahrung.

Konkret sieht mein Alltag als Bauleiterin so aus, dass ich praktisch jeden Tag bei den Baustellen vorbeigehe, die ich gerade betreue. Da kontrolliere ich, ob alles korrekt gemacht und nichts vergessen worden ist. Vergessen geht zum Beispiel hie und da der Wäscheabwurf, ein heute gängiges bauliches Element, das es einem erspart, die Wäsche in den Keller zu tragen.

Baustellen sind Wind und Wetter ausgesetzt, darum kann es allenfalls zu einem witterungsbedingten Bauverzug kommen. Einen solchen Fall habe ich gerade jetzt: Auf einer meiner Baustellen möchte ich das Baugerüst entfernen. Das kann ich aber nicht, weil es dafür mindestens drei Tage am Stück trocken sein muss, aber fast permanent regnet. Auch Kälte kann ein Problem sein.

Ich arbeite bei einem Architekturbüro, das vornehmlich neue Ein- oder Mehrfamilienhäuser erstellt und auch oft Umbauten macht. Diese Baustelle hier ist typisch: Das alte Einfamilienhaus auf diesem Grundstück ist abgerissen worden, und nun ersetzen wir es durch ein Doppeleinfamilienhaus, wodurch das Grundstück besser genutzt wird. Ich mag kleine Baustellen, denn so ist es persönlicher als auf einer Grossbaustelle. Die Baufirma und die diversen Handwerker – wie Zimmermann, Glaser, Gipser oder Elektriker – sucht jeweils die Bauherrschaft aus.

Auf Baustellen arbeiten kaum Frauen, und wenn doch, ist es am ehesten noch eine Malerin. Was ich mache, könnte jede Frau. Man muss einfach eine dicke Haut haben, denn der Umgangston ist schon rau. Wenn ein Mann auf dem Bau eine Anweisung von mir völlig daneben findet, bringt er das ganz direkt zum Ausdruck, während sich eine Frau wohl etwas freundlicher ausdrücken würde. Mit mir sprechen die Männer zwar sicher freundlicher – aber immer noch rau (lacht).

Grundsätzlich fühle ich mich akzeptiert und habe nicht das Gefühl, dass ich anders behandelt werde als ein Mann – ausser etwa, dass man mir als Frau auch mal eine schwere Last abnimmt. Ich sage jeweils klar meine Meinung, aber ich höre auch auf die anderen, denn die sind ja die Profis beim konkreten Umsetzen meiner Anweisungen. Ich bin also offen für Vorschläge. Wenn man als Frau dagegen fordernd auftritt und sagt, man wolle es so und nicht anders, hat man schon verloren. Meine Freundinnen staunen, dass ich es schaffe, «Männer rumzukommandieren», wie sie sagen, obwohl das, was ich mache, ja eigentlich kein Befehlen ist. Wichtig bei Anweisungen ist einfach, dass man nicht arrogant rüberkommt.

Pluspunkte meines Jobs sind, dass man viel Kontakt mit anderen Leuten hat, dass man viel draussen ist – jedenfalls bei gutem Wetter – und dass man als Resultat seiner Arbeit etwas sehen kann, wofür man von der Bauherrschaft noch dazu Dank erhält. Negativ ist, dass man immer auch schuld ist, wenn etwas passiert, zum Beispiel, wenn jemand vom Gerüst fällt. Denn auch für die Sicherheit hat man als Bauleiterin die Verantwortung. Bis jetzt habe ich meine Job-Wahl jedoch noch nie bereut, das ist mein Traumberuf.

Mein Partner und ich haben eine neunjährige Tochter. Er arbeitet 100 Prozent als Zimmermann – also ebenfalls auf Baustellen –, ich selbst 80 Prozent. Lange war ich 60 Prozent berufstätig, aber jetzt, wo unsere Tochter schon etwas grösser ist und es im Job viel zu tun gibt, versuche ich es einmal mit 80 Prozent. 60 Prozent geht ebenfalls, aber dann muss man sich die Zeit gut einteilen. Meine Vorgesetzten gewähren mir viel Flexibilität, ich darf meine Arbeitszeit völlig frei einteilen. Von den Bauarbeitern und Handwerkern wird man allerdings schon immer noch etwas komisch angeschaut, wenn man nicht Vollzeit arbeitet. Inzwischen habe ich ihnen erlaubt, mir zu mailen, wenn was ist. Seither rufen sie mich nicht mehr in meiner Freizeit an.

Die Kinderbetreuung handhaben wir derzeit so, dass ich immer dann auf der Baustelle bin, wenn unsere Tochter in der Schule ist, und die Büroarbeiten im Homeoffice mache, wenn sie aus der Schule kommt. In Zeiten ohne Corona hilft meine Mutter bei der Kinderbetreuung. Etwa drei Viertel meiner Arbeitszeit verbringe ich auf Baustellen, ein Viertel im Büro.

Neben dem Beruf engagiere ich mich in der Lokalpolitik. Ich bin Parteipräsidentin von der CVP/Die Mitte Kerzers. CVP und BDP haben ja zwar auf Anfang dieses Jahres fusioniert. Aber die Ortsparteien dürfen noch maximal fünf Jahre auch ihre vormalige Bezeichnung im Namen führen, damit die Leute die Partei identifizieren können. Ob wir die fünf Jahre auch voll ausschöpfen, ist bei uns noch in Diskussion (lacht).

Stichwörter: Kerzers, Bauleiterin

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