Sie sind hier

Abo

Wochenkommentar

Die Schweiz sollte im Klimaschutz vorangehen

Es hat sich ja diese Woche der Nationalrat klimapolitisch vernehmen lassen, es ging etwas unter im Getöse der Bundesrätinnenwahl.

Tobias Graden, Teamleiter Kultur und Wirtschaft

Die bürgerliche Mehrheit hat dabei den Kampf gegen den Klimawandel verwässert. Sie hat in den Beratungen zur Revision des CO2-Gesetzes beschlossen, dass die Schweiz ihr Klimaziel bis 2030 alleine durch den Kauf von Emissionszertifikaten im Ausland erfüllen können soll. Zwar hält der Nationalrat grundsätzlich am Ziel fest, die CO2-Emissionen bis 2030 um 50 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu senken. Einen fixen Inland-Anteil (der Bundesrat schlägt 30 Prozent vor) daran lehnt er jedoch ab.

Das ist aus mehreren Gründen problematisch. So gilt der Kauf von Emissionszertifikaten im Ausland als umstrittenes Mittel im Kampf gegen die Klimaerwärmung. Die tatsächliche Wirkung ist unklar, und der Nationalrat hat es abgelehnt, dass die Schweiz zusätzliche Anforderungen an diese Zertifikate im Gesetz festlegen kann. Auch dürften die Kosten für solche Zertifikate steigen, da sich auch andere Länder auf diese Weise aus der Affäre stehlen wollen. Und das ist doppelt nachteilig für die hiesige Volkswirtschaft: Nicht nur fliesst ein steigender Betrag an Geld ab – es erwächst auch kein zusätzlicher Nutzen daraus. Der grüne Nationalrat Bastien Girod moniert zu Recht, dass mit diesem Geld besser Klimaschutz-Innovationen in der Schweiz gefördert werden sollten. Die so entwickelte Technologie brächte positive volkswirtschaftliche Effekte, sie sicherte Arbeitsplätze und könnte exportiert werden.

Denn eines ist sicher: Der Klimawandel ist im Gang. Wer nicht mit einer Nach-mir-die-Sintflut-Haltung durchs Leben geht, hat jedes Interesse daran, ihn zu begrenzen. Angesichts der drohenden Verwerfungen wird sich diese Einsicht global durchsetzen müssen. Zwar sieht die politische Grosswetterlage manchenorts derzeit anders aus – aber es wird beispielsweise auch in den USA dereinst eine Regierung nach Trump geben.

Angesichts dieser Unausweichlichkeit ist die Haltung der Ratsmehrheit fatal. Sie sendet das falsche Signal aus, und zwar gegen aussen wie gegen innen. Wenn es sich schon ein so hochentwickeltes, reiches Land wie die Schweiz in der Klimapolitik so einfach machen will wie möglich, warum soll man dann andernorts Anstrengungen auf sich nehmen? Und warum sollen wir Schweizerinnen und Schweizer unser Verhalten ändern, wenn wir dank unseres Reichtums – den wir auch dem sorglosen Umgang mit der Umwelt zu verdanken haben – den Klimaschutz so leicht outsourcen können?

Dabei wäre es bitter nötig, vor der eigenen Haustüre zu wischen. So ist die Schweiz ein Erdölland: Gemäss Gesamtenergiestatistik stammen gut 50 Prozent der Energie aus der Verbrennung von Erdölprodukten. Und in mehreren klimarelevanten Bereichen drückt sich die Schweiz immer noch vor Massnahmen. Am krassesten ist es in der Luftfahrt. Die Schweizerinnen und Schweizer fliegen jährlich 9000 Kilometer pro Kopf – das ist doppelt so viel wie in den umliegenden Ländern und ein Mehrfaches im internationalen Vergleich. Und doch wurden bislang Versuche, selbst höchst moderate Abgaben einzuführen, abgelehnt: Die Umweltkomission des Nationalrates wollte kürzlich nichts davon wissen. Also bleibt das Flugzeug ein privilegierter Verkehrsträger, anders als beim Auto werden keine Mehrwert- und Mineralöl-Steuern erhoben, was wiederum dazu führt, dass weniger Geld für den Klimaschutz vorhanden ist.

Dabei gibt es an den Zeichen nichts zu deuteln. Umweltwissenschaftler Andreas Fischlin, ein emeritierter ETH-Professor, sagte kürzlich in einem Interview: «Der letzte Bericht des Weltklimarats war unmissverständlich: Wenn wir das in Paris 2015 gesetzte Ziel erreichen wollen, müssen wir eine historisch noch nie dagewesene Veränderung unserer Gesellschaft und unseres Lebensstils erreichen.» Und die neusten Klimaszenarien der ETH und des Bundesamts für Meteorologie und Klimatologie zeigen, dass unser Land stärker vom Klimawandel betroffen sein wird als bislang angenommen. Das ist keine Fantasterei, das sind wissenschaftliche Erkenntnisse. Es geht um nichts weniger als «das Wohlergehen der Menschheit» (Fischlin), es ist einfach so. Höchste Zeit also, dass sich auch die Schweiz um dieses kümmert. Der Ständerat hat die Gelegenheit zur Korrektur – und nächstes Jahr wird ja die Bundesversammlung neu gewählt.

tgraden@bielertagblatt.ch

Nachrichten zu Seeland »