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Lengnau

Die studierenden Lehrerinnen

Für Mona Köhli und Giulia Di Gennaro bietet der Lehrermangel eine willkommene Chance: Die beiden 21-Jährigen stehen ab heute als Klassenlehrerinnen in der Primarschule Lengnau im Einsatz. Und das, obwohl sie noch mitten im Studium sind.

Mona Köhli und Giulia Di Gennaro (rechts) teilen sich eine Stelle als Klassenlehrerin. Bild: Yann Staffelbach

Carmen Stalder

Der Ämtliplan hängt an der Tafel, die Leseecke ist eingerichtet, die mit den Namen der Kinder beschrifteten Hausaufgabenmappen liegen auf den Pulten. Der Raum sieht genauso aus, wie man sich ein Schulzimmer der Primarstufe vorstellt: bunt, verspielt, einladend. Dieses Werk entstammt keiner Lehrperson, die das seit Jahren so macht. Stattdessen haben zwei komplette Neueinsteigerinnen ihre Sommerferien damit verbracht, das Zimmer ganz nach ihren Ideen einzurichten.

Eigentlich würden Mona Köhli aus Bettlach und Giulia Di Gennaro aus Deitingen nun ihr zweitletztes Semester an der Pädagogischen Hochschule (PH) in Bern starten. Sie würden Schulstoff pauken und die letzten Praktika absolvieren, die sie für den Abschluss benötigen. Doch ihre Pläne haben sich geändert. Es war bereits Juni, als Giulia Di Gennaro während eines Praktikums an der Primarschule Lengnau angefragt wurde, ob sie nach den Sommerferien nicht ein fixes Pensum übernehmen möchte.

Die 21-Jährige konnte sich durchaus vorstellen, neben dem Studium ein paar Lektionen zu unterrichten. Doch dann stellte sich im Gespräch mit der Schulleitung heraus, dass diese eigentlich dringend nach einer Klassenlehrkraft suchte. Giulia Di Gennaro besprach sich mit ihrer gleichaltrigen Studienkollegin und konnte diese schliesslich von der Idee überzeugen, die Stelle gemeinsam anzutreten. Möglich macht dies der studienbegleitende Berufseinstieg (SBBE), während dem Studierende der PH Bern das letzte Studienjahr in zwei Jahren absolvieren. Während vier Semestern sind die Studierenden an einer Schule angestellt und besuchen parallel Lehrveranstaltungen an der PH.

Die Idealvorstellung des SBBE ist eigentlich, dass sich die Studierenden die Stelle mit einer erfahrenen Klassenlehrperson teilen und so von deren Erfahrung profitieren können. Dass wie im Fall von Mona Köhli und Giulia Di Gennaro zwei Einsteigerinnen gemeinsam eine 4. Klasse übernehmen, ist eher ungewöhnlich – und schlicht dem akuten Lehrermangel geschuldet, der im ganzen Kanton herrscht (das BT berichtete).

Sie stehen nicht alleine da

Von einem Sprung ins kalte Wasser wollen die beiden dennoch nicht sprechen. Während der Ausbildung haben sie bereits drei Praktika absolviert und mehrere Stellvertretungen gemacht. In den kommenden zwei Jahren werden sie eng begleitet: von der PH, aber auch von zwei Mentorinnen an der Schule Lengnau. Auch von der Schulleitung fühlen sie sich mit der nötigen Unterstützung versehen. «Es war uns wichtig, nicht alleine dazustehen, schliesslich übernehmen wir eine grosse Verantwortung», sagt Mona Köhli. Giulia Di Gennaro ergänzt, dass die Lehrpersonen sehr offen auf sie zugegangen seien. «Wenn wir während der Vorbereitungen noch etwas am Schwimmen waren, haben sie ihre Hilfe angeboten.»

Seit Wochen sind die beiden jungen Frauen nun damit beschäftigt, den Schulstoff bis zu den Herbstferien vorzubereiten. Das gebe extrem viel zu tun, sind sie sich einig. Gleichzeitig hat es ihre Vorfreude auf den heutigen Tag gesteigert: Endlich geht es los! Endlich dürfen sie die Mädchen und Jungen in Empfang nehmen.

«Lehrerin zu sein war schon immer mein Traumberuf», sagt Giulia Di Gennaro. Ihre Kollegin findet, dass man in keinem anderen Beruf so viel zurückerhalte, wie wenn man mit Kindern zusammenarbeite. Die Möglichkeit, bereits während des Studiums in den Beruf einzusteigen, sehen sie als grosse Chance. Der Start werde auf diese Weise viel enger begleitet, als wenn sie nach der PH auf sich alleine gestellt eine Klasse übernehmen würden. Sie haben sich geradezu danach gesehnt, vor der Tafel zu stehen: Die Hälfte ihres Studiums haben sie coronabedingt im Fernunterricht zuhause vor dem Computer verbracht. Der Drang nach Abwechslung ist entsprechend gross.

Es fehlt nicht an Selbstbewusstsein

18 Mädchen und Jungen befinden sich ab heute in der Obhut von Mona Köhli und Giulia Di Gennaro. Ihnen allen wollen sie gerecht werden – denen, die vorlaut sind, denen, die eine rasche Auffassungsgabe haben und denen, die in der Entwicklung etwas im Verzug sind. Keine leichte Aufgabe, das sind sich die Lehrerinnen bewusst. Hinzu kommen die Eltern mit ihren meist hohen Ansprüchen an die Lehrpersonen. Negative Kommentare bezüglich ihres Alters seien ihnen bisher keine zu Ohren gekommen. Falls es doch einmal dazu kommen sollte, mangele es ihnen nicht an Selbstbewusstsein, um auch an einem Elternabend hinzustehen und die eigenen Kompetenzen zu verteidigen.

Als grösste Herausforderung sieht Mona Köhli die Aufgabe, Studium und Arbeit unter einen Hut zu bringen. «Ich werde mir selbst Grenzen setzen müssen und die beiden Bereiche klar voneinander trennen.» Sie wird jeden zweiten Montag sowie Dienstag und Mittwoch in Lengnau unterrichten, an den anderen Tagen besucht sie die Vorlesungen. Bei Giulia Di Gennaro ist es gerade umgekehrt. Das bedinge viel Austausch untereinander, sagt sie. Als gute Freundinnen sollte es jedoch nicht daran scheitern. Sowieso ist bei beiden die Erleichterung spürbar, diesen grossen Schritt gemeinsam bewältigen zu können.

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