Sie sind hier

Abo

Kallnach

Diese krummen Rüebli kann man schenken

Das, was auf den Feldern liegen bleibt, soll an Menschen in Armut gespendet werden. Simon Weidmann und Franziska Güder aus Kallnach lancieren eine Aktion: Für 250 Franken gibt es ein Jahr lang Gemüse, das die Grosshändler nicht wollen.

«Gmüesgarte» heisst die Organisation, welche die Spendenaktion ins Leben gerufen hat. Peter Samuel Jaggi/a
  • Dossier
Hannah Frei
 
Es war im ersten Lockdown, als Simon Weidmann und Franziska Güder in den Medien die langen Schlangen vor Lebensmittelabgabestellen sahen, die zahlreichen Menschen, die sich hinten anstellten, weil ihnen nicht genug Geld für Essen blieb. Eine absurde Vorstellung für Güder und Weidmann, die gemeinsam mit ihrer Tochter in Kallnach leben, und genau wissen, wie viele Rüebli, Kartoffeln und Äpfel auf den Feldern liegen bleiben. Und das nur, weil sie zu klein, zu gross, zu krumm sind. Seit 2017 retten die beiden mit Jan Henseleit und Geo Taglioni Gemüse und Früchte vor der Mülltonne. In der Berner Altstadt betreiben sie den Laden «Gmüesgarte». Und dort landet eben, was auf den Feldern liegen bleibt, oder genauer gesagt ein Bruchteil davon.
 
Laut Weidmann gibt es immer noch tonnenweise Lebensmittel, die die Bäuerinnen und Bauern nicht loswerden. «Es gibt Menschen, die nichts Gescheites zu essen haben. Und die Bauern bleiben darauf sitzen. Das kann doch nicht sein», sagt Weidmann. Genau diese Ware will das «Gmüesgarte»-Team nun zu denen bringen, die zu wenig haben. «Foodsave & solidarisch» nennen sie die Aktion. Wer 250 Franken bezahlt, schenkt damit einer von Armut betroffenen Familie in der Region Bern fünf Kilogramm Gemüse und Früchte pro Monat. Und das ein Jahr lang. Wer weniger spenden will, kann den Betrag selbst bestimmen und unterstützt damit die Organisation, etwa bei der Belieferung der Schweizertafel oder der Caritas Läden rund um Bern. Dort sollen künftig wöchentlich 100 Kilogramm Gemüse und Früchte vom «Gmüesgarte» landen, mithilfe von denen, die spenden.
 
Simon Weidmann, Leiter «foodsave & solidarisch»
 
Keine einfache Aufgabe
Partner für die Aktion zu finden sei nicht ganz einfach gewesen, sagt Weidmann. Erst seien zahlreiche Absagen gekommen, von Institutionen und Organisationen, die Lebensmittel abgeben oder Sozialberatungen anbieten. «Uns war es wichtig, kein neues System erfinden zu müssen, sondern bestehende Strukturen zu nutzen», sagt Weidmann.
 
Mit der Schweizertafel, den Caritas Läden und der reformierten Kirchgemeinde Bümpliz haben die vier dann aber das gefunden, was sie suchten. «Gmüesgarte» fungiert bei diesem Projekt als reiner Gemüselieferant – und natürlich nun als Spendensammler. Die Aktion läuft seit Montag, erste Spenden seien bereits reingekommen. In der ersten Pilotphase ist das Ziel, zehn Abos zu verkaufen. Läuft das, sollen es bald mehr werden. Weidmann und Güder sehen das Projekt aber nicht nur als Übergangslösung, um die Coronalöcher im Portemonnaie zu stopfen. «Wir gehen davon aus, dass diese Hilfe tragischerweise auch langfristig nötig sein wird», sagt Weidmann. Bei «Gmüesgarte» gibt es auch reguläre Gemüseabos – geliefert wird aber nicht bis ins Seeland.
 
Bald ein Laden in Biel?
Mittlerweile arbeitet der «Gmüsegarte» mit über 30 Landwirtinnen und Landwirten zusammen, ein Grossteil davon aus dem Seeland. Weshalb gibt es sowohl den Laden als auch die Aktion bisher nur in Bern? Weil die vier alle in der Hauptstadt wohnten, als sie das Projekt vor vier Jahren lancierten, erklärt Weidmann. Zwar bestand bereits damals die Idee, vielleicht irgendwann nach Biel zu expandieren. Doch dann kam Corona. Und auch heute sei die Zeit für einen zweiten Laden noch nicht reif.
 
Denn auch im «Gmüesgarte» wird während der Pandemie weniger eingekauft. «Die Pandemie bringt die Gewohnheiten durcheinander. Wir spüren jede neue Massnahme», sagt der Geograf. Ein Feierabendbier weniger, ein Besuch in der Altstadt weniger, ein Einkauf im «Gmüesgarte» weniger. Dass die Spendenaktion nun auch ausschliesslich Armutsbetroffenen in Bern hilft, sei auf die Logistik zurückzuführen. In Bern besteht bereits die Infrastruktur.
 
Ob es irgendwann doch noch einen Laden in Biel geben wird? «Ich will es nicht ausschliessen. Aber ich kann nichts versprechen», so Weidmann. Klar ist: Im Umgang mit Lebensmitteln müsse sich in den nächsten Jahren noch einiges ändern, schon nur aus ökologischer Sicht. «Die Luft nach oben ist unendlich.»

Nachrichten zu Seeland »