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Kaderstellen

Dringend gesucht: Gemeindeschreiber

Gemeindeschreiber, Bauverwalterinnen und Finanzverwalter sind Mangelware. Unliebsame Begleiterscheinungen wie Abendsitzungen oder Anfeindungen wiegen den guten Lohn für viele nicht auf.

Der Gemeindeschreiber: Albert Anker hat dem «achten Gemeinderat» ein Denkmal gesetzt. Public Domain
Hans Ulrich Schaad und Beat Kuhn
 
Wenn eine Gemeinde eine Kaderstelle neu besetzen muss, hat sie unter Umständen ein gröberes Problem. Denn: «Es ist schwierig, gute Leute zu finden, es gibt nicht viele Bewerbungen auf offene Stellen», so Rolf Widmer, Vorsteher der Abteilung Gemeinden beim kantonalen Amt für Gemeinden und Raumordnung (AGR). 
 
«Der Gemeindekader-Markt ist völlig ausgetrocknet», bestätigt Beat Heuer, Gemeindeschreiber von Brügg und Präsident des Verbandes Bernisches Gemeindekader (BGK). Es sei alles andere als einfach, Gemeindeschreiberinnen, Bauverwalter oder Finanzverwalterinnen zu finden. Brügg habe den Fachkräftemangel bei der Neubesetzung der Finanzverwalter- und der Bauverwalterstelle vor einigen Jahren selbst zu spüren bekommen.
 
Der Mangel ist so gross, dass teilweise zu extremen Mitteln gegriffen wird. So hat Dora Nyfeler, langjährige Gemeindeschreiberin von Ligerz, erlebt, «dass Exekutiven neuerdings nicht davor zurückschrecken, Mitarbeitende anderer Gemeinden aktiv abzuwerben». 
 
Extern macht es teuer
Wenn eine Vakanz so lange dauert, dass für die Überbrückung auf ein externes Büro zurückgegriffen werden muss, kann es dann auch richtig teuer werden, wie das Beispiel Schwarzenburg zeigt: Als die Bauverwalterstelle über ein halbes Jahr lang verwaist war, beauftragte man eine Firma, den Pendenzenberg abzubauen. Dieses Mandat verschlang letztes Jahr rund eine Viertelmillion Franken, sodass die Gemeindeversammlung einen Nachkredit bewilligen musste. Natürlich entfielen dafür die Lohnkosten, doch blieb unter dem Strich ein Mehraufwand von 114000 Franken. Für das laufende Jahr sind weitere 112000 Franken für die externe Lösung budgetiert. Immerhin hat die Stelle per Anfang Mai neu besetzt werden können.
 
Im Seeland hat Studen so einen Notfall 2015 in der Finanzverwaltung erlebt. Seither sei das Gemeindekader stabil, sagt Gemeindeschreiber Oliver Jäggi und fügt hinzu: «Houz aalänge!» Müntschemier hatte sogar mehrfach Vakanzen, die mit externen Dienstleistern überbrückt werden mussten, so Gemeindepräsident Raynald Richard. Schliesslich habe man den jungen Fachkräften in der Verwaltung eine Chance gegeben, indem man sie in die Kaderposition befördert und ihnen die Möglichkeit geboten habe, die Kaderausbildung zu machen. «In einem guten Jahr werden alle unsere Kaderpositionen durch vollständig ausgebildete Fachleute besetzt sein.»
 
Aegerten hingegen hatte laut Gemeindeverwalterin Stefanie Gherbezza «keine nennenswerten Schwierigkeiten», per Ende 2020 ihren Vorgänger sowie per Anfang 2021 den Finanzverwalter zu ersetzen – für den intern eine Nachfolgerin gefunden worden sei. 
 
Ausgebildet werden genug
An potenziellem Nachwuchs fehlt es laut Rolf Widmer vom AGR nicht, denn ausgebildet würden genügend Kaderleute. So würden im Kanton pro Jahr je 15 bis 20 Personen das Diplom als Finanz- oder Bauverwalter sowie 20 bis 25 jenes als Gemeindeschreiberin erhalten. «Wohin gehen all diese Leute?», fragt er sich ratlos. 
 
Das weiss auch der BGK nicht, wie dessen Geschäftsführerin Monika Gerber sagt. Man führe keine Statistik darüber, aus welchen Gründen Ausgebildete nicht oder nicht mehr bei einer Gemeinde arbeiten wollten und wohin es sie stattdessen gezogen hat. Sie erklärt sich den Mangel unter anderem dadurch, dass den Gemeinden halt nach wie vor «ein verstaubtes Image» anhafte. 
 
Dieses Image sei schon lange nicht mehr gerechtfertigt, meint der Studener Gemeindeschreiber Oliver Jäggi. «Wir arbeiten nicht mehr wie der Gemeindeschreiber auf dem gleichnamigen Bild von Albert Anker.» So habe die Digitalisierung auch auf den Verwaltungen Einzug gehalten, etwa bei den Umzugsmeldungen oder den Baugesuchen. 
 
Und die Abendsitzungen? 
Monika Gerber macht geltend, dass sich punkto Arbeit einiges getan habe auf den Verwaltungen. So sei man flexibler geworden, etwa in Form von neuen Arbeitsmodellen. Viele Sitzungen würden zudem nicht mehr immer am Abend, sondern tagsüber stattfinden. 
 
Nach Einschätzung von Beat Soltermann, Gemeindeschreiber von Aarberg, ist es hingegen für viele an sich Interessierte abschreckend, «dass die zahlreichen Sitzungen eben doch mehrheitlich abends durchgeführt werden». In Pieterlen finden die ordentlichen Sitzungen des Gemeinderats und der Kommissionen sogar allesamt noch abends statt, wie David Löffel, der Leiter Präsidiales, festhält. Auch Oliver Jäggi führt bei den Nachteilen der Kaderstellen die Abendsitzungen an. 
 
Müntschemier hat laut Gemeindepräsident Raynald Richard festgelegt, dass Gemeinderatssitzungen spätestens um 18 Uhr beginnen müssen. Dank der überarbeiteten Sitzungsorganisation würden diese zudem nur noch selten länger als zwei Stunden dauern. «So ist der Abend für die Gemeindeschreiberin nicht ganz verloren.» Um die Kaderstellen attraktiv zu machen, biete man zudem Teilzeitpensen an, lasse «in vernünftigem Rahmen» Homeoffice zu und gewähre unbezahlte Auszeiten für grössere Reisen. 
 
Man ist exponiert
Zu den negativen Seiten der besagten Jobs gehört laut Oliver Jäggi auch, dass man die Gesetze und öffentlichen Interessen durchsetzen müsse. «Das kommt nicht bei allen gut an, insbesondere bei jenen, die so bauen, wie man nicht darf, ihre Rechnungen nicht zahlen oder sonst das Gefühl haben, Gesetze würden für sie nicht gelten.» Auch Beat Soltermann weist darauf hin, dass die Stelleninhaberinnen exponiert und aufgrund ihrer fachlichen Entscheide «nicht selten im Visier kritischer Bürger» seien. Die Schwadernauer Schreiberin Gerda Signer hält ebenfalls fest, dass man in der Öffentlichkeit stehe und dementsprechend Kritik ausgesetzt sei.
 
Diese dürfte noch zugenommen haben, weil das Ansehen der Kaderleute in Gemeinden nicht mehr so hoch wie noch vor 30 Jahren sei, wie die Ligerzer Gemeindeschreiberin Dora Nyfeler meint. Zudem seien die Ansprüche der Bevölkerung und vielfach auch der Vorgesetzten gestiegen. 
Bauverwaltungen vereint
 
Oliver Jäggi aus Studen meint, dass sich wohl insbesondere Bauverwalter häufiger Frustäusserungen anhören müssten als ein Dankeschön. Das könnte einer der Gründe dafür sein, dass das Personalproblem insbesondere bei den Bauverwaltungen akut ist. Ein anderer ist laut Monika Gerber der, dass die Bauwirtschaft floriert. Baufirmen würden viele Leute suchen und besser zahlen. «Allerdings entlassen sie die Leute auch schneller, wenn es nicht mehr so gut läuft.» 
 
Aus der Not eine Tugend gemacht haben Herzogenbuchsee und fünf umliegende Gemeinden. Sie haben ihre Bauabteilungen zum «Kompetenzzentrum Bau Oberaargau-West» zusammengeschlossen. Von dieser Idee sind die Seeländer Gemeinden rundum angetan. Auch für BGK-Präsident Beat Heuer ist das «ein guter und bewährter Lösungsansatz». So arbeite Brügg schon in verschiedenen Bereichen mit anderen Gemeinden zusammen, von den Sozialen Diensten über die Feuerwehr sowie die Kinder- und Jugendarbeit bis hin zur AHV-Zweigstelle. 
 
Müntschemier habe diese Option geprüft, «in der Region aber keine Resonanz gefunden», sagt Gemeindepräsident Raynald Richard. Schwadernau habe seine Bauverwaltung an Aegerten übergeben, so Gemeindeschreiberin Gerda Signer, «ein kleiner Zusammenschluss» sei also bereits erfolgt. 
 
Am Lohn kann es jedenfalls nicht liegen, dass Gemeindekaderleute so schwer zu finden sind: Der Einstiegslohn liegt bei 7000 bis 7500 Franken und kann bis auf rund 12 000 Franken steigen.
 
 
 
KOMMENTAR:
 
Der Verband muss handeln
 
Dass Gemeinden kaum Kaderleute finden, erstaunt Aussenstehende. Denn insbesondere der Gemeindeschreiber ist doch jemand im Dorf, der «achte Gemeinderat» oder «Dorfkönig». Und der Lohn ist auch bei Bau- und Finanzverwalterinnen königlich. Für viele mit entsprechender Qualifikation wiegen Geld und Prestige negative Begleiterscheinungen wie Abendsitzungen oder Anfeindungen aber offenbar nicht auf. Der Verein Bernisches Gemeindekader sollte unbedingt ermitteln, was diese Jobs attraktiver machen würde, und den Gemeinden aufgrund der Ergebnisse Empfehlungen abgeben. 
 
Beat Kuhn Redaktor Region
beat.kuhn@bielertagblatt.ch
 
Stichwörter: Gemeindekader

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