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Niederried

Ein Baudenkmal im Glück

Im Seeland ist ein Bauernhaus an traumhafter Lage in ein Bijou verwandelt worden. Für Bauherrschaft, Denkmalpflege und Architekt war es ein Abenteuer mit glücklichem Ausgang.

Copyright: Peter Samuel Jaggi / Bieler Tagblatt

Nandita Boger

Manchmal hat ein Haus richtig Glück. Das Bauernhaus in Niederried, einem Ortsteil der Gemeinde Kallnach, ist eines davon. Das Gebäude von 1873 am Gässli 11 war unbewohnt. Es stand zum Verkauf. Für den Grossteil seiner Altersgenossen wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen, den Platz zu räumen für einen Neubau, eine zweckmässige Überbauung vielleicht, mit Lift und Einstellhalle. Doch dieses Anwesen war – zum Glück – im Inventar der Denkmalpflege und gehörte zu den ausgewählten Gebäuden, die als Baudenkmal gelten. Nur gerade sieben Prozent aller Bauwerke im Kanton zählen dazu. Ein Baudenkmal ist ein bauliches, authentisches Zeugnis unserer Geschichte und Kultur. Es muss über eine ansprechende architektonische Qualität oder besonders charakteristische Eigenschaften verfügen. Das Haus in Niederried hat gleich beides.

Das Gehöft steht dicht an der Kante eines steilen Abhangs über der Aare. Mit der exponierten Lage markiert es den südlichen Dorfrand, hat sich eingeprägt in die Erinnerung aller, die jemals an diesem Ort waren. Was dem Haus ein weiteres Merkmal von Baudenkmälern hinzufügt, nämlich dass sie uns im Alltag begleiten und prägen. Die Aussenwände aus «Rieg», dem traditionellen Fachwerk, sind typisch für Berner Bauernhäuser. Die Erbauer errichteten ausserdem ein imposantes Walmdach, fügten Quergiebel und Berner Ründi hinzu und hängten Lauben an die Eingangs- und an die Stirnseite. Das Baudenkmal verfügt damit über ein angenehmes Äusseres und ist typisch für die Region.

 

Ballenberg in Niederrried

Zum Glück für das Objekt übertrug die letzte Erbin den Auftrag, neue Eigentümer zu finden, an Hermann Meyer, Inhaber von Meyer Architekten in Siselen. Der Architekt ist auf alte Bauernhäuser und Stöckli, deren fachgerechten Umbau und den Umgang mit der Denkmalpflege spezialisiert. Die Qualität der Liegenschaft sei für ihn offensichtlich gewesen, ausserdem sei sie sehr gut unterhalten worden, sagt er. «Im Innern sah es hier aus wie im Freilichtmuseum Ballenberg. Das ganze Interieur war im Originalzustand erhalten». Die beigezogene Denkmalpflege war begeistert und sicherte Unterstützung zu, damit möglichst viel Bestand erhalten bleiben konnte. Aus Erfahrung wusste Meyer, dass die Bauherren für ein solches Objekt einerseits das Flair, aber auch die finanziellen Möglichkeiten haben müssten, das Dornröschen aus dem Schlaf zu erwecken. Familie Heiniger erfüllte diese Voraussetzungen ideal. Mit einem Vertrag zwischen den neuen Eigentümern und dem Kanton wurde das Haus unter Denkmalschutz gestellt, es ist fortan ein K-Objekt, die höchste Schutzstufe im Kanton. Im Gegenzug beteiligte sich dieser finanziell an der Sanierung. Rund 14 Monate dauerte die Bauzeit.

 

Mit Leinöl und Schafwolle

Bei einem Rundgang durch den neuen Wohnsitz wird die Vergangenheit und Geschichte des Berner Bauernhauses lebendig. Die Bauernfamilie, die das Gebäude errichtet habe, müsse recht wohlhabend gewesen sein, sagt Meyer. Das sehe man zum Beispiel an den sichtbaren Bodenschwellen aus Eiche, die rundum die Basis für die Aussenmauern bilden. Das edle Holz ist 150 Jahre alt und dennoch fest und tragfähig. Die vor der Eingangstür im Boden eingelassene grosse Steinplatte aus Muschelkalk sei ebenfalls ein Zeichen von Wohlstand, erfährt man und erkennt mit neu geschultem Blick: Auch vor der Küchentüre und jedem weiteren Eingang liegt eine solche sorgfältig restaurierte rechteckige Platte mit dem charakteristischen Muster aus eingestreuten Muscheln.

Für die Fenster wurden die alten schmiedeeisernen Fensterbeschläge, Espagnoletten genannt, abgeschraubt und auf neue Isolierfenster aufgeschraubt. Auch die handgeschmiedeten schwarzen Türbeschläge wurden erhalten und lediglich mit Leinöl behandelt. Die Wärmedämmung der Aussenwände erfolgte mit Schafwolle, einem besonders nachhaltigen Dämmstoff. Dass in den Stuben dazu die alte, gestemmte Berner Täfelung entfernt und danach Brett für Brett wieder angebracht werden musste, zeigt, dass die Bauherrschaft einen hohen Aufwand in Kauf nahm, um ein kohärentes Resultat zu erzielen.

 

Keine Angst vor Neuem

Die alte Feuerstelle abzureissen hätte zu viel Aufwand bedeutet. Die gemauerte Abzugshaube wurde mit Kalk geschlämmt und sieht nun aus wie ein abstraktes Kunstwerk. Auch die beinahe antiken Radiatoren unter den Fenstern blieben erhalten. Lediglich eine Wand zwischen den Stuben im Obergeschoss wurde um zwei Meter versetzt, um für das Schlafzimmer die gewünschte Grösse zu erhalten. Zwei Kachelöfen aus dem Obergeschoss wurden zusammengefügt zu einem einzigen, der nun ganz selbstverständlich im Erdgeschoss im Wohnzimmer steht. Grössere Veränderungen gab es in der Tenne, der ehemaligen Zufahrt für die Fuhrwerke. Ein schwarzer Küchenblock und ein Betonkubus mit Garderobe und Gästetoilette signalisieren hier moderne Ansprüche. Darüber, im Obergeschoss, versprechen die frei stehende Badewanne und der vollverglaste Ausblick Wohlfühlerlebnisse.

Wieder draussen vor dem Haus, verweist Meyer auf die gut erhaltene Katzenpflästerung mit eingelassener Meteorrinne und auf Zaunpfähle aus frischem Akazienholz, geschlagen im Berner Wald. Nach einem Blick in den riesigen Ökonomieteil, in dem nur minimale Eingriffe gemacht wurden, endet der Rundgang unter dem Dach. Im Dämmerlicht erhebt sich der Dachstuhl in schwindelerregende Höhe. Seine Konstruktion besteht aus verzapften Balken, auch bei der Renovation wurden keine Schrauben verwendet. Einige Balken mussten ausgetauscht werden, weil sie morsch waren. Sie wurden mit Altholz aus der Zeit, in der das Haus entstand, ersetzt.

Kürzlich konnte das Haus, mitten in der Corona-Ausnahmezeit, der Bauherrschaft übergeben werden, die es nun mit einem eleganten Mix aus antiken und modernen Möbeln einrichtet. Dieser Kontrast zwischen alt und neu ergab sich beim Umbau von selbst, sagt Meyer: «Alles, was möglich war, wurde mit originalen Materialien aus der Zeit ersetzt. Aber wenn etwas neu ist, dann darf das auch gezeigt werden». Für den Architekten ist klar: Architektur ist für ihn das letzte grosse Abenteuer, zwischen Wissenschaft, Kunst und Handwerk.

Stichwörter: Niederried, Seeland, Haus

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