Sie sind hier

Abo

Courtelary

Ein Leben für die Alp

In der Métairie de la Petite Douanne im Berner Jura verbringt die Familie Bühler seit Generationen ihre Sommer. 
Hier stellt sie jährlich über sieben Tonnen Gruyère her.

Daniel Bühler (zweiter von rechts) mit seiner Frau Heidi Bühler, seinem Vater Alfred Bühler und den Enkeln Giulian und Elio. Links im Bild sind die Käsepressen zu sehen. Bild: Carole Lauener

Sarah Grandjean

Die Métairie de la Petite Douanne liegt am Ende einer schmalen Teerstrasse, umgeben von Bergweiden und Tannenwäldern. Zu hören ist hier nur das entfernte Bimmeln von Kuhglocken und das Gebell zweier Hunde, die über den Hof stürmen. Öffnet man die Tür zur Gaststube, weht einem aus dem Nebenraum ein leicht säuerlicher Milchgeruch entgegen. Dort befindet sich die Käserei, wo Daniel Bühler und sein Vater Alfred Bühler den Grossteil ihrer morgendlichen Arbeit bereits erledigt haben: In der Käsepresse liegen zwei grosse Käselaibe, je 34 Kilogramm schwer. Diese sowie zwölf Mutschli haben die Käser soeben aus 700 Litern Milch hergestellt. Aus einem anderen Raum kommt Daniel Bühlers Frau Heidi Bühler, gefolgt von den beiden Enkelkindern Elio und Giulian. Sie sind jede Woche zwei Tage hier oben.

Aufhören steht ausser Frage

Die Métairie de la Petite Douanne ist einer von drei Berghöfen im Berner Jura, wo noch gekäst wird. Bis vor gut 100 Jahren habe man im Chasseralgebiet in über 20 Alphöfen Käse hergestellt, weiss Daniel Bühler. Anfang 1900 sei diese Zahl aber stark zurückgegangen. Viele Métairies seien von Bauern aus dem Unterland gekauft worden, damit sie im Sommer ihre Jungtiere dorthin bringen konnten. 1966 habe die fünftletzte mit Käsen aufgehört, 1989 die viertletzte. Aber warum eigentlich? Das Käsen sei ein zusätzlicher Betriebszweig, der eine Menge zu tun gebe, so Bühler. Manche Sennen brächten ihre Milch lieber ins Tal und liessen sie dort zu Käse verarbeiten. Für ihn war immer klar, dass er käsen wollte, wie dies schon sein Vater und sein Grossvater getan haben. «Wenn eines meiner Geschwister die Käserei übernommen hätte, hätte ich an einem anderen Ort gekäst.» Für ihn sei nie infrage gekommen, damit aufzuhören. «Es ist eine Familientradition», sagt der Bergler bestimmt. Wahrscheinlich werde sein jüngster Sohn, der schon jetzt mitarbeitet, diese weiterführen.

Die Familie Bühler verbringt in der Métairie de la Petite Douanne jeweils ihre Sommer, und dies seit Generationen. 1926 hat Bühlers Grossvater hier zu käsen begonnen. Damals war die Gaststube, in der sich Bühler jetzt an einen Tisch setzt und die Mütze abnimmt, noch ein Kuhstall. Der 53-Jährige hat seit seiner Kindheit jeden Sommer hier verbracht – mit zwei Ausnahmen: während seiner Lehre war er eine Saison lang in einem anderen Betrieb, und später musste er den Militärdienst absolvieren. Als Kinder haben seine Schwester, seine drei Brüder und er im Sommer eine Bergschule besucht, zusammen mit anderen «Bergkindern» sowie Kindern aus tiefer gelegenen, ganzjährig bewohnten Höfen. Im Winter sind sie auf den Hof im Dorf Courtelary zurückgekehrt und dort zur Schule gegangen. «Manchmal haben wir geweint, wenn wir wieder runter mussten», erinnert sich Bühler. Auch seine Kinder, drei Söhne und eine Tochter, sind hier oben gross geworden.

Bühlers versorgen auf der Alp 50 Schweine, 43 Kühe und 70 Rinder. Von letzteren gehört die Hälfte einem Bauern aus dem Kanton Thurgau, der seine Tiere seit 20 Jahren den Sommer über zu ihnen bringt. Der Arbeitstag beginnt für die Sennen jeweils um halb fünf Uhr morgens mit dem Zusammentreiben der Kühe, was auch mal eine Stunde dauern kann. Dann melken sie die Tiere und verarbeiten die Milch weiter zu Käse. Anschliessend müssen die Geräte geputzt und die Käselaibe mit Salzwasser eingerieben werden, im ersten Monat täglich, danach alle zwei Tage. Die Schotte, die beim Käsen als Abfallprodukt anfällt, wird an die Schweine verfüttert. Gegen 16 Uhr werden die Kühe erneut zusammengetrieben und gemolken, danach muss die Käserei wieder fürs morgendliche Käsen parat gemacht werden.

Bühlers produzieren Gruyère nach AOP-Standard (siehe Zweittext), 7,6 Tonnen pro Jahr. Mehr dürfen sie gemäss Vorschrift nicht herstellen, damit der Preis gesichert ist. Aus der übrigen Milch gibt es zum Beispiel Fondue und Mutschli. Knapp die Hälfte des hergestellten Gruyères verkaufen sie direkt an Tagesausflügler, Stammkunden und Gastronomiebetriebe. Inzwischen ist der Käsekeller beinahe voll.

Diese Woche werden 75 Laibe in ein Zwischenlager im Neuenburgischen Val-de-Ruz gebracht, wo sie nachreifen, ehe sie dann in eine Käsehandlung nach Burgdorf transportiert werden.

Höhepunkt Alpaufzug

An diesem Morgen, an dem die Gaststube verlassen ist, kann man sich gut vorstellen, dass es hier oben auf 1300 Metern über Meer auch mal einsam wird. Aber Bühler verneint: Gegen 11 Uhr kommen meist die ersten Ausflügler, um zu Mittag und später zu Abend zu essen. Manche Gäste seien inzwischen wie Freunde. Um die Gastronomie kümmert sich Heidi Bühler. Während gegen 19 Uhr der landwirtschaftliche Teil meist erledigt sei, sei sie schon mal bis um Mitternacht beschäftigt. «Wir sind uns die Arbeit und die langen Tage gewöhnt», sagt Bühler. Die Familie erhält Hilfe von einem Paar aus Rumänien, das beim Stallmisten, Holzen oder in der Küche mit anpackt.

Das jährliche Highlight ist für Bühler jeweils der Alpaufzug im Mai. Dieser erfordert eine Menge Vorbereitung. Zum Beispiel müsse man die Tiere an die Glocken gewöhnen, damit sie nicht in Panik geraten, wenn sie plötzlich eine um den Hals tragen. «Sie bekommen zuerst kleine Glocken, dann immer grössere», so Bühler. «Und plötzlich sind sie ganz stolz.» Für den sieben Kilometer langen Aufstieg werden sie mit Blumen geschmückt. Zu diesem Anlass komme jeweils die ganze Familie nach Hause. Dieses Jahr habe es aber «einen der schlechtesten» Aufzüge gegeben, so Bühler. Kaum hatten Mensch und Tier das Dorf verlassen, gerieten sie in ein heftiges Gewitter.

Bühlers sind bis Ende Oktober auf der Alp, bevor es dann zurück auf den Hof in Courtelary geht. Daniel Bühler möchte den Betrieb weiterführen, bis er 65 Jahre alt ist. Dann würde er gerne seinem Sohn schon mal den landwirtschaftlichen Teil auf dem Hof in Courtelary übergeben. Er selbst würde die Alpwirtschaft und die Käserei noch eine Weile behalten. «Wir haben das schon mit meinem Vater so gemacht», sagt er. Und wenn sein Sohn die Käserei doch nicht übernehmen will? Könnte sich dies einer der anderen Söhne oder die Tochter vorstellen? «Wenn es sein müsste, würden wohl alle mit anpacken», ist Bühler überzeugt. All seine Kinder kämen regelmässig nach Hause, probierten ein Stück Käse, seien mit Leidenschaft dabei. Eine Menge Erinnerungen seien an diesen Ort geknüpft. Er selbst könnte sich kein anderes Leben vorstellen. «Ich bin ein Bergmensch», sagt er.

 

********************************************************************

Geschichte und Herstellung des Gruyère AOP

Eine Urkunde aus dem Jahr 1115 belegt, dass zu dieser Zeit in der Region um das Städtchen Greyerz bereits Käse hergestellt wurde. 1602 wird der Name «Gruyère» zum ersten Mal schriftlich erwähnt: Damals schenkte die Regierung von Freiburg den Delegierten der französischen Botschaft 14 Käselaibe. 1762 wurde das Wort «Gruyère» ins Wörterbuch der Académie française aufgenommen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der Gruyère mit Nachahmern aus anderen Ländern zu kämpfen, 2001 schliesslich wurde ihm die geschützte Ursprungsbezeichnung AOC (ab 2011 AOP) zuerkannt. Heute darf der Gruyère AOP nur in den Kantonen Jura, Neuenburg, Waadt und Freiburg sowie Teilen des Kantons Bern hergestellt werden. Wer Käse nach AOP-Standard produziert, darf seinen Kühen keine Silage, also durch Gärung konserviertes Grünfutter wie Gras, Mais oder Klee, verfüttern. Im Sommer ernähren sich die Tiere von frischem Gras, im Winter von Heu. Fürs Käsen wird jeweils die Milch vom Morgen mit jener vom Vorabend gemischt. Dieser fügt die Käserin Milchsäurebakterien und Lab, ein Enzymgemisch aus dem Magen von Kälbern, hinzu. Dadurch entsteht eine kompakte Masse, Käsebruch genannt. Dieser wird mit Käseharfen in Käsekörner zerteilt. Diese werden während 40 bis 45 Minuten auf 57 Grad erwärmt, in Formen gefüllt und gepresst. Nach 20 Stunden nimmt der Käser die Laibe aus der Pressform und legt sie während 24 Stunden in ein Salzbad. Danach lagert er sie drei Monate lang in seinem Keller und reibt sie regelmässig mit Salz ein. Später werden sie in Reifungskeller transportiert. Insgesamt reift der Gruyère AOP zwischen 5 und 18 Monaten. sg

Stichwörter: Gruyère, Alp, Käse

Nachrichten zu Seeland »