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Weinbau

Ein Pilz rafft die Reben dahin

Winzerinnen und Winzer am Bielersee kämpfen derzeit in einem mühseligen Wettstreit gegen den Falschen Mehltau an. Pflanzenschutzmittel können den Pilz eindämmen – doch es gibt ein Problem.

Robert Andrey muss die Reben aktuell bis zu zweimal wöchentlich behandeln. Bilder: Carmen Stalder
von Carmen Stalder
 
Mit prüfendem Blick taxiert Arielle Andrey die Blätter und Trauben an den Rebstöcken, die sich hier in Schafis an den Hang schmiegen. Ab und zu dreht sie ein Blatt, betrachtet die Unterseite – und entdeckt die nächsten Pilzsporen. Der bei Winzerinnen und Winzern gefürchtete Falsche Mehltau ist in diesem Sommer eine echte Plage. Praktisch die ganze Schweiz ist betroffen, und auch die Weinbauregion Bielersee wurde nicht von der Pflanzenkrankheit verschont. Die befragten Experten sind sich einig: So schlimm war es schon lange nicht mehr.
 
Sowohl der Echte als auch der Falsche Mehltau gehören zu den am häufigsten vorkommenden und zugleich gefährlichsten Rebkrankheiten. Sind die Beeren vom Falschen Mehltau befallen, trocknen sie aus und werden lederartig zäh. Wein kann daraus nicht mehr gemacht werden. Während der Falsche Mehltau kühles und nasses Wetter bevorzugt – so wie es in diesem Sommer vorherrscht –, fühlt sich der Echte Mehltau eher bei warmer und trockener Witterung wohl.
 
Laut dem bernischen Rebbaukommissär Jürg Maurer ist die Situation dieses Jahr in der ganzen Schweiz «katastrophal». Er habe in den vergangenen 40 Jahren noch nie einen derart langen und starken Befall erlebt. «Es wird Betriebe geben, die praktisch einen Totalausfall erleiden», sagt er. Andere seien zwar weniger stark vom Falschen oder auch vom Echten Mehltau betroffen, dies dank frühzeitigem Ausblättern und gezieltem Pflanzenschutz. Die Pilze würden aber heuer auf praktisch jedem Betrieb vorkommen. «Ich habe Anrufe erhalten, bei denen die Person am anderen Ende geweint hat», bringt er die dramatische Lage auf den Punkt. Manchen Rebbauern drohe ein verlorenes Jahr. Denn anders als etwa gegen Hagelschäden gibt es gegen Krankheiten keine Versicherung. Das gehöre zum Berufsrisiko, so Maurer.
 
Rasante Verbreitung
Die Winzerin Arielle Andrey – im kommenden Jahr übernimmt sie gemeinsam mit ihrem Mann den Familienbetrieb von ihrem Vater Robert – setzt derweil die Erkundung durch die Reben fort. «Solange es regnet, können wir dem Pilz quasi beim Wachsen zuschauen», sagt die 28-Jährige. Denn um eine Ausbreitung der Krankheit zu verhindern, müssen die Reben regelmässig gespritzt werden. Das geht jedoch nur bei schönem Wetter. Bei Regen würde der Pflanzenschutz direkt wieder von den Blättern gespült. «Aktuell ist es eine grosse Herausforderung, überhaupt ein längeres trockenes Zeitfenster fürs Spritzen zu finden», sagt Michael Teutsch, Winzer aus Ligerz und Präsident der Rebgesellschaft Bielersee. Heisst: Die Winzerinnen haben das Mittel zur Hand, um die Krankheit einzudämmen, können es aber nicht so einsetzen, wie sie gerne möchten.
 
Diese Ausgangslage ist vor allem im biologischen Rebbau ein Problem. Dort wird als Vorbeugung gegen den Falschen Mehltau vorwiegend Kupfer und Schwefel eingesetzt. Vereinfacht gesagt lässt Kupfer die Blätter härter werden und verhindert so ein Eindringen des Pilzes. Und der Schwefel verbrennt die Sporen, wenn sie noch fragil genug sind. Sind Teile der Rebe jedoch einmal befallen, können diese mit biologischen Mitteln kaum mehr gerettet werden. Etwas anders sieht es bei den konventionellen Rebbauern aus. Diese können sogenannte systemische Pflanzenschutzmittel einsetzen, die in die Zellen der Reben eindringen und einen stärkeren Schutz bieten.
 
Andreys wollten eigentlich ihren vier Hektar grossen Betrieb in diesem Jahr erstmals komplett nach biologischen Richtlinien bewirtschaften, nachdem sie dies zuvor bereits auf einem Viertel der Parzellen gemacht hatten. Das miese Wetter und der sich rasch verbreitende Falsche Mehltau hat ihrem Vorhaben jedoch einen Strich durch die Rechnung gemacht. Um nicht noch mehr Trauben zu verlieren, behandelten sie die Pflanzen doch noch einmal mit den gewohnten Mitteln.
 
Einfacher haben es die Winzerinnen, die auf pilzwiderstandsfähige Rebsorten, sogenannte Piwi, setzen. Dazu gehören etwa Regent, Cabernet Jura, Johanniter oder Solaris. Ihnen kann der Falsche Mehltau viel weniger anhaben, entsprechend müssen sie kaum gespritzt werden. Jürg Maurer ist überzeugt, dass die widerstandsfähigen Sorten einen weiteren Schub erleben werden. Es gibt allerdings einen Haken: Die Krankheiten passen sich immer weiter an und schaffen es deshalb vermehrt, auch die Resistenz der Piwi zu durchbrechen. «Das führt deshalb zu einem Wettlauf beim Entwickeln neuer Sorten», sagt Maurer.
 
Schweisstreibende Arbeit
An diesem Nachmittag versucht es Robert Andrey wieder mit Kupfer und Schwefel. Mit einem schweren Gefährt auf Raupen, auf dem ein 300 Liter grosser Tank befestigt ist, besprüht er alle Reben mit dem Pflanzenschutzmittel. Es ist eine körperlich anstrengende Arbeit, durch den Ganzkörperanzug erst recht schweisstreibend. In normalen Sommern müssen Andreys ihre Reben alle acht bis zehn Tage behandeln, aktuell bis zu zweimal pro Woche. Es gilt zu retten, was noch zu retten ist.
 
Allzu schlimm hat es die Parzelle allerdings nicht getroffen, lautet das Urteil von Arielle Andrey nach ihrem Rundgang. Ein paar Trauben hat sie gefunden, an denen die Beeren bereits braun verfärbt sind. Nicht mehr lange, und sie werden sich in verschrumpelte Überbleibsel verwandeln. Wie gross der Verlust bei Andreys am Ende sein wird, sei aktuell noch schwer zu sagen, so Vater und Tochter. «Noch ist nicht alles verloren», sagt der Vater zuversichtlich, erst gelte es, den Läset abzuwarten.
 
Auch Michael Teutsch gibt sich optimistisch. Wegen Hagel und Mehltau bleibe ihm zwar nur etwa die Hälfte der üblichen Erntemenge. «Wenn nun aber die Qualität super wird, bin ich trotzdem damit versöhnt.» Er hoffe nun auf viel Sonne in den kommenden Wochen – August und September seien für ihn und seine Kollegen und Kolleginnen schliesslich die entscheidendsten Monate im Jahr.

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