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Bielersee

Ein Sammelbecken für Medikamentenrückstände

Bielersee Heute verunreinigen Spuren von Medikamenten und ähnlichen Stoffen die Schweizer Gewässer. In der Region sind der Bielersee, die Alte Aare und die Schüss stark belastet. Seit Anfang Jahr wird nun eine Sonderabgabe für eine zusätzliche Reinigungsstufe erhoben.

Medikamente sind für den Menschen ein Segen, für die Wasserwelt aber eine Gefahr. copyright: pixabay/bieler tagblatt

Von Beat Kuhn

Nein, Bielerseewasser ist nicht heilsam, auch wenn es mit Abstand mehr Rückstände von Medikamenten als die anderen Seen im Kanton enthält. Im Gegenteil: Wegen der überdurchschnittlichen Konzentration sind die Auswirkungen auf Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen besonders gross. Wobei es hier um Werte von einem Millionstelgramm pro Liter Wasser und weniger geht.

Höher belastet als Thuner- und Brienzersee ist der Bielersee  wegen seines grossen Einzugsgebiets: Über diverse Flüsse – inklusive Einzugsgebiet der Saane im Kanton Freiburg – gelangt das Abwasser von etwa 750000 Einwohnern in den See. Die beiden Seen im Oberland haben dagegen nur knapp 90000 Einwohner in ihrem Einzugsgebiet.

Von den bernischen Flüssen sind in der Region die Alte Aare und die Schüss besonders belastet. Sie weisen bei Niedrigwasserabfluss einen Abwasseranteil von mindestens zehn Prozent auf, ihr gereinigtes Abwasser wird also wenig verdünnt.

«Weitreichende Folgen»
Die Belastung rührt allerdings nicht nur von Medikamenten her, sondern auch von vielen anderen Mikroverunreinigungen, wie man solche Spuren nennt (siehe Infobox links). Rückstände von über 30000 verschiedenen Produkten gelangen Tag für Tag in die Flüsse und Seen. Denn die Kläranlagen können die meisten dieser Stoffe mit dem heute üblichen Standard nicht ausreichend abbauen.

Die Belastung mit solchen Stoffen hat laut dem kantonalen Amt für Wasser und Abfall (AWA) «weitreichende Folgen für unsere Wasserwelt». So wird dadurch etwa die Photosynthese von Algen behindert, durch welche Sauerstoff produziert wird. Auch kommt es zur Beeinträchtigung der Fortpflanzung von Fischen oder Schädigung des Nervensystems von Wasserlebewesen.

Für Menschen unbedenklich
Für Menschen sind die festgestellten Konzentrationen laut dem Bundesamt für Umwelt «nach heutigen Erkenntnissen unbedenklich».

In Ipsach steht das einzige Seewasserwerk im Kanton. Die vom Energie Service Biel (ESB) betriebene Anlage versorgt Biel und Nidau vollständig mit Wasser, Pieterlen, Leubringen-Magglingen und Twann-Tüscherz teilweise.

Dieses Wasser ist laut AWA gemischt aus See-, Grund- und Quellwasser; ungefähr 70 Prozent sind «mehrstufig aufbereitetes»  Seewasser sei. «Bei der Aufbereitung werden Mikroverunreinigungen entfernt, so dass für die Konsumenten absolut kein Risiko besteht», so Gerhard Ammann, Mediensprecher bei der kantonalen Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion (BVE).

Nur jede siebte Kläranlage...
Aber auch Abwasser soll punkto Mikroverunreinigungen sauberer werden: Der Bund will einen Teil der Kläranlagen um eine entsprechende Reinigungsstufe aufrüsten. Den Kriterienkatalog  für die Auswahl der Kläranlagen (siehe Infobox 2) hat er selbst festgelegt, umzusetzen sind die Massnahmen durch die Kantone. Von den über 700 Kläranlagen, die es in der Schweiz gibt, werden zwar nur rund 100 aufgerüstet. Diese reinigen allerdings rund zwei Drittel des gesamten Abwassers. Der Kostenaufwand für das restliche Drittel wurde – gemessen am Nutzen – als zu hoch erachtet.

... doch zahlen müssen alle
Die Kosten sind dagegen von allen zu tragen. Seit Anfang Jahr wird dafür eine zweckgebundene Sonderabgabe erhoben, die nach der Zahl der angeschlossenen Einwohner bemessen wird. Mit der Abgabe werden 75 Prozent der Kosten gedeckt. Die verbleibenden 25 Prozent haben die Kantone zu übernehmen.

Dass die Kosten auch jene tragen, deren Kläranlage nicht aufgerüstet wird, begründet Gerhard Ammann von der BVE-Medienstelle mit dem Verursacherprinzip: «Weil alle Einwohner durch die Verwendung von Medikamenten, Kosmetika, Reinigungsmitteln etc. Verursacher von Mikroverunreinigungen sind, wäre es ungerecht, wenn nur ein Teil der Bevölkerung für die Kosten aufkommen müsste.»

Oben saniert, unten profitiert
Bei 14 der 63 Kläranlagen im Kanton werden Massnahmen ergriffen: Neun werden aufgerüstet, für zwei, die an schwachen Gewässern liegen, ist der Anschluss an eine Kläranlage an einem grösseren Gewässer vorgesehen. Bei den drei übrigen, die auch an kleinen Gewässern liegen, ist noch nicht geklärt, was getan wird.

Aufgerüstet werden die Kläranlagen Bern, Thunersee, Sensetal, Mittleres Emmental, St. Immer, Tavannes, Tramelan, Worblental und Biel. Letztere steht bei der Einmündung der Alten Zihl in den Nidau-Büren-Kanal und klärt das Abwasser von rund 83000 Personen. Die dortigen Investitionen werden auf zwölf Millionen Franken geschätzt.

Eine Aufrüstung der ARA Lyss sei dagegen «vorerst nicht notwendig», so das AWA. Denn die Hälfte der erhöhten Spurenstoffkonzentration unterhalb ihrer Abwassereinleitung in die Alte Aare stamme aus den Kläranlagen im oberhalb liegenden Einzugsgebiet von Aare und Saane. Mit deren Aufrüstung werde die Spurenstoffkonzentration in der Alten Aare stark zurückgehen. Ebenso von den Aufrüstungen weiter oben profitieren  wird der Bielersee.

Reduktion um 50 Prozent
Vollständig verhindern kann man es laut AWAzwar nicht, dass solche Rückstände in die Gewässer gelangen. Wenn alle Massnahmen umgesetzt seien, würden jedoch «die organischen Spurenstoffe im häuslichen Abwasser von gut zwei Dritteln der Berner Bevölkerung behandelt». Und die Menge der Spurenstoffe werde sich gegenüber heute um die Hälfte verringern – beim Bielersees sogar um rund 60 Prozent.

Bis es so weit ist, muss man sich allerdings noch etwas gedulden. Die Fristen für die einzelnen Massnahmen bewegen sich nämlich zwischen 2025 und 2035. Aber auch damit ist die Schweiz europaweit an der Spitze.

 

INFOBOX 1:

Diese Verunreinigung wird eingedämmt
Mikroverunreinigungen nennt man Rückstände von künstlichen organischen Stoffen, die in vielen Produkten des täglichen Lebens enthalten sind, etwa in Medikamenten, Körperpflegeprodukten, Putzmitteln oder Lebensmittelzusätzen.
Darüber hinaus verunreinigen aber auch die Landwirtschaft, Industrie- und Gewerbebetriebe, Deponien oder der Bahn- und Autoverkehr die Seen durch Spuren solcher Stoffe. Dies vor allem kurzzeitig bei Regenfällen oder saisonal. Bei den Kläranlagen fliessen demgegenüber permanent solche Stoffe in die Gewässer.

 

INFOBOX 1:

Diese Kläranlagen werden aufgerüstet
Für die Eliminierung von Spurenstoffen werden folgende Kläranlagen um eine Reinigungsstufe aufgerüstet:
die grössten der Schweiz, mit mehr als 80000 angeschlossenen Einwohnern:
mittelgrosse und grosse im Einzugsgebiet von Seen, mit mehr als 24000 angeschlossenen Einwohnern;
solche an kleinen, stark belasteten Gewässern, mit einem Abwasseranteil von zehn Prozent oder mehr;
solche mit Einleitung in ökologisch empfindliche Gewässer und solche mit einem Einfluss auf Trinkwasserressourcen.
 

 

 

 

 

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