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Justiz

Ein spielerisches Kräftemessen endet vor Gericht

Zwei Arbeitskollegen einer Bürener Firma haben aus Spass geboxt. Doch aus dem Spiel wurde blutiger Ernst. Gestern mussten sie sich vor dem Regionalgericht verantworten.

Symbolbild: Pixabay
Sarah Grandjean
 
Es ist Zeit fürs Mittagessen. Ein 34-jähriger Metallbauer wäscht sich die Hände und geht in die Mittagspause. Im Gang trifft er auf seinen Chef, zu dem er ein freundschaftliches Verhältnis hat. Sie beginnen einander spielerisch zu boxen. Dabei trifft der Vorgesetzte den 34-Jährigen im Gesicht. Es ist ein heftiger Schlag, der die Lippe des Mannes aufplatzen lässt und seine Frontzähne verschiebt. Vor dem Spiegel begutachtet dieser seine Verletzung. Er werde die Zahnarztkosten bezahlen müssen, sagt er zu seinem Chef. Dieser erwidert, er solle einfach sagen, es sei ein Arbeitsunfall gewesen. Da wird der 34-Jährige wütend. Er greift nach einem Metallstück und schlägt dem anderen damit heftig gegen den Hinterkopf. Und hört erst auf, als ihn ein anderer Mitarbeiter wegzieht. 
 
Dies ist im Sommer 2020 in einer Bürener Metallbaufirma passiert. Gestern mussten sich beide Männer vor dem Regionalgericht Berner Jura-Seeland verantworten.
 
Unfall oder Absicht?
 
Unklar blieb, wie genau es zu den Boxbewegungen kam. Der heute 36-jährige Metallbauer sagte, sein Chef habe damit angefangen. Dabei habe er ihn ein erstes Mal beinahe getroffen. «Warum machst du das?», habe er ihn gefragt. Das sei doch nur Spass, habe der andere erwidert, ehe er ihn tatsächlich ins Gesicht traf. «Das war nicht spielerisch», sagte der Metallbauer gestern. Schon früher habe er sich von seinem Vorgesetzten provoziert gefühlt, weil er immer habe zeigen müssen, wer das Sagen hat.
 
Dieser schildert die Geschehnisse etwas anders. Der Metallbauer habe ihn im Gang freundschaftlich gepackt. «Hast du zu viel Energie?», habe er ihn gefragt. «Siehst du, wie leicht ich mich befreien kann?» Er habe sich befreit, der andere habe ihn von hinten gepackt und geschüttelt, wieder habe er sich befreit. Er, der mehrere Jahre Boxerfahrung hat, habe seinem Kollegen zeigen wollen, wie man sich verteidigt. Dabei habe er ihn mit der rechten Hand an der Lippe getroffen, versehentlich. Er sei schockiert gewesen. «Ich habe Blut gesehen, habe mir Vorwürfe gemacht», gab der heute 41-Jährige zu Protokoll.
 
«Dachte, ich würde sterben»
 
Die beiden gingen zum Lavabo, um die Verletzung zu begutachten. 6000 Franken werde es kosten, seine Zähne wieder zu richten, sagte der Metallbauer. Aus Angst, diese Summe zahlen zu müssen, sei ihm rausgerutscht, er solle das als Arbeitsunfall angeben, so der Vorgesetzte. Er habe ihm gesagt: «Lass dich von einem Arzt untersuchen, dann schauen wir weiter.» Er habe seine Jacke nehmen wollen, doch plötzlich habe der andere mit einem Aluminiumstück vor ihm gestanden. «Und was machst du, wenn ich dir damit auf den Kopf schlage?», habe er ihn gefragt. Dann habe er zugeschlagen, mindestens zwei Mal, der Teamleiter sei zu Boden gegangen. Er werde ihn umbringen, habe der Metallbauer geschrien. «Ich dachte, ich würde sterben», so der Teamleiter. Er trug zwei Wunden am Kopf davon, die genäht werden mussten.
 
Ein weiterer Mitarbeiter ist dazwischen gegangen. Der Metallbauer sei wütend gewesen, habe die Kontrolle verloren, gab er zu Protokoll. Als er den Teamleiter mit dem Arm zu schützen versuchte, habe er selbst einen Schlag mit dem Metallstück abbekommen. Er habe Kollegen zu Hilfe geholt. Als er zurückkam, habe der Metallbauer den Teamleiter im Schwitzkasten gehalten. 
 
Der Metallbauer sagte vor Gericht, er bereue seine Tat. Mehrmals gab er an, aus Angst gehandelt zu haben. Aus Angst davor, dass ihn der andere erneut angriff. Gerichtspräsident Markus Gross wies ihn darauf hin, dass er im Laufe des Verfahrens zwei verschiedene Aussagen gemacht habe: Einerseits habe er angegeben, aus Selbstverteidigung geschlagen zu haben. Andererseits, weil er wütend war über die Sache mit dem Arbeitsunfall. «Ich war auch wütend», sagte der Beschuldigte. Sein Chef habe schliesslich kein Mitleid gezeigt, nachdem er ihn geschlagen hatte. «Aber der Grund war wirklich Angst.»
 
Die Gefahr war ihm bewusst
 
Staatsanwältin Alina Raschle sagte, dies sei eine reine Schutzbehauptung. Dem Beschuldigten sei bewusst gewesen, dass er sein Opfer schwer, im schlimmsten Fall lebensgefährlich, hätte verletzen können. Es sei nur dem Glück und dem Eingreifen eines Mitarbeiters zu verdanken, dass es nicht schlimmer gekommen ist. Sie forderte, den 36-Jährigen wegen versuchter schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten zu verurteilen, sechs davon unbedingt, und den ausländischen Staatsangehörigen zudem für fünf Jahre des Landes zu verweisen. Für den Teamleiter forderte sie wegen einfacher Körperverletzung eine bedingte Geldstrafe von 72 Tagessätzen à 100 Franken.
 
Rechtsanwalt Beat Luginbühl, der den Metallbauer vertrat, bezeichnete einen allfälligen Landesverweis als «krass unverhältnismässig». Sein Klient habe die Tat nicht geplant. Er sei sozial und wirtschaftlich integriert, habe nie Sozialhilfe in Anspruch genommen, «ein Vorzeigeausländer».
 
Notwehr nicht glaubhaft
 
Während der Urteilsverkündung sagte Gerichtspräsident Gross: «Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie aus einem nichtigen Anlass ein Strafverfahren werden kann.» Die Aussagen des Teamleiters beurteilte das Gericht als konstant und logisch. Er räume eigenes Fehlverhalten ein und gebe zu, den anderen aufgefordert zu haben, die Verletzung als Arbeitsunfall anzugeben.
 
Auch der Metallbauer zeige Reue. Hingegen sei seine Aussage, aus Notwehr gehandelt zu haben, nicht glaubhaft. Er habe früher ausgesagt, wenn sein Chef Mitleid gezeigt hätte, hätte er ihn nicht geschlagen. «Das klingt nicht nach einer Notsituation», so Gross. Mit den Schlägen auf den Kopf seines Opfers habe er bewusst in Kauf genommen, dieses schwer zu verletzen. 
 
Das Gericht sprach den Metallbauer der versuchten schweren Körperverletzung schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten bei einer Probezeit von zwei Jahren. Er muss das Land aber nicht verlassen, weil sich dies um einen schweren persönlichen Härtefall handeln würde.
 
Der Teamleiter wurde der einfachen Körperverletzung freigesprochen. «Nicht, weil wir davon ausgehen, dass er nichts getan hat», stellte Gross klar. Doch er habe den anderen nicht willentlich verletzt. Die Gerichtskosten werden zwischen den beiden Männern aufgeteilt.
 
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und kann ans Obergericht weitergezogen werden.
Stichwörter: Gericht, Büren, Metallbau, Boxen

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