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Ein verrosteter Maishäcksler wird wieder zum glänzenden «Jaguar»

Nach 700 Arbeitsstunden ist es geschafft: Die drei Bau- und Landmaschinenmechaniker-Lehrlinge Florian Wälchli, Christoph Hofer und Oliver Gutmann haben einen Maishäcksler komplett restauriert.

Der Anfang: Der Selbstfahrmaishäcksler, Jahrgang 1978, verrostete im Lindergut in Ins. Bild: Tildy Schmid

Tildy Schmid

Was hat ein Maishäcksler mit einem Jaguar zu tun? Und warum flackern jeden Donnerstagabend Bilder der TV-Sendung «Bauer, ledig, sucht…» durch die riesige Lagermaschinen- und Werkhalle im Lindergut in Ins? Es ist kompliziert. Antworten liefert ein Arbeitsjournal samt Elektroschema auf 54 akkurat beschrifteten Seiten.

Doch der Reihe nach: Die drei Jugendlichen Florian Wälchli, Christoph Hofer und Oliver Gutmann wissen als interessierte Lehrlinge der Berufssparten Baumaschinen- und Landmaschinenmechaniker, dass sie am Ende ihrer vierjährigen Lehrzeit eine Vertiefungsarbeit mit dazugehörender Dokumentation abzuliefern haben. «Big Challenge» heisst das Thema, das der Klassenlehrer Reto Burri am Berufsbildungszentrum IDM in Thun bekanntgibt.

Die drei jungen Männer sind sich schnell einig, was sie tun wollen: den Selbstfahrmaishäcksler Claas-Jaguar 70SF restaurieren. Diese Riesenmaschine steht, verrostet und bereit zur Ausschlachtung, im Lindergut, dem bäuerlichen Betrieb von René Haslebacher. Dieser ist von der Idee begeistert: «Es paar jungi Giele, wo öppis Konkrets wei mache, das unterstütze i gärn».

Für die Vertiefungsarbeit ist das Einverständnis der jeweiligen Lehrbetriebe zentral. Bei Christoph Hofer ist es der Lehrbetrieb Huppenkothen Baumaschinen AG in Worb, bei Florian Wälchli der Lehrbetrieb Kuhn Schweiz AG in Heimberg und bei Oliver Gutmann der Lehrbetrieb Seelandtechnik AG in Münchenwiler.

 

Das Glück

Als angehende Land- und Baumaschinenmechaniker hätten sie auch etwas weniger Aufwendiges restaurieren können, standen doch auch ein Traktor oder ein Lastwagen zur Auswahl. Doch nein, es sollte der Claas-Jaguar 70SF sein, ein Selbstfahrmaishäcksler aus dem Jahr 1978 aus dem Werk in Harsewinkel in Nordrhein-Westfalen.

Den Jungs ist bewusst, dass diese Arbeit nur mit einem Lagerbestand alter Teile gelingen wird. Und das Glück ist auf ihrer Seite. Sie dürfen sich im Ersatzteillager von René Haslebacher bedienen.

Die einfache, funktionelle Technik der Maschine aus den 70er-Jahren habe sie besonders interessiert, erklärt Oliver Gutmann. «Wir haben im Laufe der Restaurierung viel über alte Technik und elektronische Installationen gelernt. Zusätzlich haben uns die Schweiss- und Malerarbeiten herausgefordert», so Gutmann.

Doch was hat nun der Name Jaguar mit einem Maishäcksler zu tun? Der Deutsche Hermann Speiser, der ursprüngliche Entwickler des Ungetüms, war ein grosser Fan von Jaguar-Autos. Er kam auf die Idee, seinen Hacker mit einem Raubkatzennamen zu versehen. «Kein Problem, solange unser Logo nicht auf die Motorhaube montiert wird», beantworteten die Jaguar-Werke seine Anfrage. Seitdem werden die Feldhacker von Claas als «Jaguar» bezeichnet.

 

Die Entbehrungen

Die Begeisterung ob der herausfordernden Arbeit, praktisch unerschöpfliche Energie und gegenseitige Motivation haben sich abgewechselt mit Durchhängern und «Anschiss». Die drei schauen sich an und einer sagt: «Gottlob gab es fast immer, punktgenau zu unseren schlechten Momenten, Unterstützung aus dem Lindergut, von René und Corinne, vom Landtechnikbetrieb Serco, dem Hauptimporteur von Claas in Oberbipp, oder von unseren eigenen Lehrbetrieben».

«Tja, und was war jeweils am Donnerstagabend?», fragen Florian Wälchli und Christoph Hofer und zwinkern auffordernd Oliver Gutmann zu. «Da gab es zum Nachtessen bei meiner Mutter Corinne ‹Bauer, ledig, sucht…› zu sehen», antwortet er und schmunzelt. Nach der Sendung sei ihnen die Arbeit am «Jaguar» umso leichter von der Hand gegangen.

Als der Abgabetermin näher rückt, merken sie, wie viel Arbeit noch zu tun ist. «Ich habe mir meine erste komplette Restaurierung viel einfacher vorgestellt», gibt Florian Wälchli zu, der im Lehrbetrieb vor allem mit Baumaschinen arbeitet. Doch er schätzte den intensiven Einblick in den landwirtschaftlichen Maschinenbereich und stellte fest, dass grundsätzlich dieselbe Technik angewendet wird. Sein langer Anfahrtsweg habe sich zusätzlich als ziemlich mühsam erwiesen. «Anstrengend war das Hin und Her», sagt er, denn es galt, nach dem normalen Arbeitstag im Lehrbetrieb nach Ins zu fahren, dort einige Stunden zu arbeiten und spätabends wieder nach Hause zurückzukehren. «Das ging so richtig an die Substanz», sagt er. Trotz der vielen Zeit, die er in dieses Projekt investiert hat, trotz all der Arbeitsschritte, die er nicht so gerne gemacht habe, würde er sich sofort wieder für ein so umfangreiches und anspruchsvolles Projekt als Vertiefungsarbeit entscheiden.

Ähnlich geht es Christoph Hofer. «Es war der Wahnsinn, denn nicht jeder restauriert einen alten Maishacker», erklärt er. Er habe sich gefreut und dabei nur an den praktischen Teil gedacht. Erst als die erste Prozesskontrolle durch Lehrer Burri anstanden habe, sei ihm bewusst geworden, dass die Dokumentation wohl keine Nebensache sei. Auch er musste sich immer wieder motivieren, den Weg nach Ins auf sich zu nehmen. «Doch gegen Ende ist es mehr oder weniger zur Gewohnheit geworden, nach der Arbeit im Lehrbetrieb noch mit Oliver und Florian in der Werkstatt zu schrauben und dann am Küchentisch zu schreiben.» Trotz des Auf und Abs punkto Motivation und Stimmung hätten sie sich bestens verstanden, sagt Christoph und meint: «Auch ohne Feierabendbierchen hatten wir es oft lustig».

«Ich habe den Vorteil gehabt, dass die Hackmaschine bei mir zu Hause steht und ich nicht, wie Christoph und Florian, noch eine Stunde fahren musste», sagt Oliver Gutmann. Froh sei man über die geheizte Werkstatt von René Haslebacher gewesen, die jederzeit benutzt werden durfte, erzählt Oliver Gutmann weiter. Sein Bruder Fabian habe ihnen bei den elektrischen Arbeiten auf die Finger geschaut, Kollegen hätten das Vorhaben kommentiert und Mutter Corinne tatkräftig alle versorgt und unterstützt. «Dass ich die Ersatzteile in meiner Firma zu einem fairen Preis beziehen durfte, ist sicher keine Selbstverständlichkeit», sagt Oliver Gutmann. Trotzdem haben die Materialkosten schliesslich über 5500 Franken betragen.

Alle drei sind sich bewusst: «Die Teamarbeit hat uns einiges über Zusammenarbeit gelernt und uns zusammengeschweisst.»

 

Die Pandemie

Abgemacht war, das Claas-Werk in Harsewinkel zu besuchen, doch Corona hat das verunmöglicht. Die Unterstützung durch Claas hat per Mail stattgefunden. Der Werkbesuch in Nordrhein-Westfalen muss warten, bis die Pandemie es erlaubt. Ein guter Ersatz sei der Besuch der Firma Serco Landtechnik gewesen. «Feldhäcksler-Fachexperte Markus Schweizer hat uns nicht nur einen guten Einblick in die Werkstatt gegeben, sondern uns auch tatkräftig bei der Getrieberestauration unterstützt», so Oliver Gutmann. «Was wir bei der praktischen Restauration und, etwas widerwillig, bei der schriftlichen Arbeit erfahren haben, hilft uns auch künftig weiter», sind die drei überzeugt.

«Wir haben sicher nicht zum letzten Mal etwas an ‹unserem› Hacker repariert», sagen sie lachend und sind zu Recht stolz, dass sich das grün gestrichene Ungetüm mit dem orangen Namenszug nun wieder als veritabler Jaguar fühlen darf.

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