Sie sind hier

Abo

Grossaffoltern

Eine Haarwäsche wäre fatal

Annette Hürlimann peppt alte Sasha-Puppen wieder auf. Ihr geht es nicht nur darum, einem Bäbi neuen Glanz zu verleihen: «Mich interessiert die Geschichte, die hinter diesen Puppen steckt.»

  • 1/18 Copyright: Barbara Héritier / Bieler Tagblatt
  • 2/18 Copyright: Barbara Héritier / Bieler Tagblatt
  • 3/18 Copyright: Barbara Héritier / Bieler Tagblatt
  • 4/18 Copyright: Barbara Héritier / Bieler Tagblatt
  • 5/18 Copyright: Barbara Héritier / Bieler Tagblatt
  • 6/18 Copyright: Barbara Héritier / Bieler Tagblatt
  • 7/18 Copyright: Barbara Héritier / Bieler Tagblatt
  • 8/18 Copyright: Barbara Héritier / Bieler Tagblatt
  • 9/18 Copyright: Barbara Héritier / Bieler Tagblatt
  • 10/18 Copyright: Barbara Héritier / Bieler Tagblatt
  • 11/18 Copyright: Barbara Héritier / Bieler Tagblatt
  • 12/18 Copyright: Barbara Héritier / Bieler Tagblatt
  • 13/18 Copyright: Barbara Héritier / Bieler Tagblatt
  • 14/18 Copyright: Barbara Héritier / Bieler Tagblatt
  • 15/18 Copyright: Barbara Héritier / Bieler Tagblatt
  • 16/18 Copyright: Barbara Héritier / Bieler Tagblatt
  • 17/18 Copyright: Barbara Héritier / Bieler Tagblatt
  • 18/18 Copyright: Barbara Héritier / Bieler Tagblatt
zurück
Sarah Zurbuchen
 
Es sind sicher über 100 Augenpaare, die die Besucherin anschauen, wenn sie das kleine Atelier von Annette Hürlimann betritt. In Gestellen, Vitrinen, auf Stühlen und Bettchen sitzen und stehen sie, die Sasha-Puppen. Auf der Werkbank liegen lose Arme, Beine und ein Rumpf, bereit, wieder zu einem Persönchen zusammengebunden zu werden.
Die Kleidchen und Schühchen, letztere sorgfältig in einer Vitrine präsentiert, lassen keine Wünsche offen: Jeanshosen, Spitzenröcke, Turnschuhe, Strickjacken, Hippie-Gilet, Ledersandalen, Pullunder, Schals: Bis auf die Schuhe sind alle Accessoires und Kleider selbst gemacht. Die Schuhe bestellt Hürlimann bei einer Schuhfabrik, wo sie eigens für die Sasha-Puppen von Hand gefertigt werden.
 

Zu Unrecht belächelt

Annette Hürlimann betreibt in Grossaffoltern eine Sasha-Puppenklinik. Sie entwirrt die Haare, zieht neue Gummibänder auf, die die Gliedmassen zusammenhalten, beult eingedrückte Stellen aus, bemalt das Gesicht neu und strickt oder näht ihnen Kleider.  «Ich werde manchmal belächelt, wenn ich sage, dass ich eine Puppenklinik betreibe», sagt die Werbeassistentin. Zu Unrecht, wie sie findet. Sie hat sich während Jahren ein grosses Wissen über die historischen Puppen angeeignet. Zudem betreibt sie eine Website, muss handwerklich zupacken können, Rechnungen schreiben, Versandhandel betreiben, mit der Kundschaft kommunizieren und immer wieder recherchieren. Inzwischen hat sie sich in der sogenannten Sasha-Szene einen Namen gemacht. Viele Menschen, es sind hauptsächlich Frauen, schicken Annette Hürlimann ihre alten Puppen zu, um sie wieder aufzupeppen. 
 
Auf der Werkbank liegt gerade eine sogenannte Studiopuppe, eine Puppe der ersten Generation. «Die Besitzerin wusste nicht, wie wertvoll dieses Exemplar ist», so Hürlimann. Bei Auktionen werden diese Puppen nämlich zwischen 2000 und 8000 Franken gehandelt. Der Originalzustand ist dabei natürlich massgebend. «Das Bemalen des Gesichts oder das Waschen der Haare wäre bei dieser Puppe eine Sünde», so die Sasha-Spezialistin. Auch Exemplare, bei denen wegen eines Produktionsfehlers das Grübchen unter der Nase fehlt, erzielen in Sammlerkreisen gute Preise.
Das Sasha-Fieber hat die Mutter von drei Kindern vor zehn Jahren gepackt. Damals fiel ihr Blick auf eine Vitrine in einem Museum, in dem die berühmten Puppen ausgestellt waren. Zuhause googelte sie die Geschichte der Puppen-Erfinderin, Sasha Morgenthaler, und war fasziniert. «Ich bin erstaunt, dass das Leben dieser ausserordentlichen Frau noch nie verfilmt worden ist», sagt sie. «Mich interessiert die Geschichte, die hinter diesen Puppen steckt.»
 

Soziale Anliegen

Sasha Morgenthaler war eine Berner Kunstmalerin (1893-1975). Sie bewegte sich bereits früh in Kreisen rund um Paul Klee, Cuno Amiet und Hermann Hesse. Nach ihrer Heirat mit dem Maler Ernst Morgenthaler stellte sie zwischen 1918 und 1924 hauptsächlich für ihre eigenen Kinder Spielzeuge und Puppen her. Es folgte die Herstellung von Modellen für die Landesausstellung in Zürich, schliesslich gewann sie mit einem Puppenbausatz den ersten Preis im Schweizer Spielzeugwettbewerb. Dies war der Beginn der Erfolgsgeschichte der Sasha-Puppen (siehe Infobox).
Annette Hürlimann ist selbst eine kunstinteressierte Frau, und sie fühlt sich nicht nur deshalb mit Sasha Morgenthaler verbunden. «Sie war ein sehr sozialer Mensch.» Durch ihre vielen Reisen hatte die Kunstmalerin Menschen aus allen Schichten kennengelernt. Das widerspiegelte sich in ihren Puppen: Sie kreierte Modelle verschiedener geografischer Herkunft und sozialer Schicht, unter anderem auch ärmliche Bauernkinder mit zerrissenen Kleidern aus alten Stoffen. So sagte sie einmal: «Die vielen Eindrücke von Menschen aus fremden Ländern sind mein Erinnerungsmaterial, mit dem ich arbeite, denn ich kann meinen Puppen nur das geben, was ich selbst erlebt habe.»
 
Morgenthaler wollte, dass ihre Puppen für alle erschwinglich sind. Die serienmässige Produktion ab 1964 und der Verkauf in der Migros zu einem günstigen Preis war deshalb in ihrem Sinn. Doch trotz Serienproduktion hielt die Puppenerfinderin lange an einem charakteristischen Detail fest: Die Augen wurden noch lange von Hand aufgemalt, darauf bestand Sasha Morgenthaler. «Die Augen sind einzigartig», sagt Hürlimann, der die kalten Knopfaugen anderer Puppen nicht gefallen. Einzigartig sind auch die Gliedmassen der Puppen, ob Mädchen, Bube oder Säugling: Arme und Beine sind immer asymmetrisch. Das verleiht ihnen ein weniger steifes Aussehen.
 

Faszination weitergeben

Mit etwas Wehmut beobachtet die Puppendoktorin, dass die heutigen Kinder nicht mehr mit Sasha-Puppen spielen. «Ich verstehe nicht, warum die Barbies so beliebt sind.» Und insgeheim hofft sie, dass sie dereinst einem eigenen Grosskind spielerisch die Faszination von Sashas weitergeben kann.
 
 

Der Werdegang

1941: Sasha Morgenthaler gewinnt den ersten Preis im Schweizer Spielzeugwettbewerb und entwickelt die Stückformen ihrer späteren «Sasha-Puppen». 
1943-1975: Zusammen mit ihrem Team entwickelt und stellt sie etwa 200 verschiedene Original-Puppen her.
1964-1974 und 1995-2001: Serienmässige Produktion der Puppen durch die Puppenfabrik Götz in Rödental.
Ab 1965: Die nun günstigeren Puppen sind in den Migros-Supermärkten erhältlich.
1966–1986 werden die Puppen auch bei der britischen Firma Frido/Trendon produziert. sz

Nachrichten zu Seeland »