Sie sind hier

Abo

Urs Niggli

«Eine Radikalkur für die Landwirtschaft»

Der ehemalige Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau beurteilt die Agrarinitiativen kritisch. 
Ein Wandel der Landwirtschaft sei aber dringend notwendig – und mit Hilfe der Digitalisierung möglich.

"Nicht nur die Landwirtschaft muss sich ändern, sondern auch das Konsuverhalten der Menschen" Bild: zvg

Interview: 
Brigitte Jeckelmann

Urs Niggli, Sie haben als Wissenschaftler und ehemaliger Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau in der Schweiz 30 Jahre Erfahrung im Biolandbau. In knapp zwei Monaten entscheidet das Stimmvolk über die beiden Agrarinitiativen für sauberes Trinkwasser und gegen synthetische Pestizide. Die Meinungen sind gespalten. Wie lautet Ihre Einschätzung?

Urs Niggli: Unterschiedliche Auffassungen bestehen vor allem bezüglich des Weges, nicht des Ziels. Das Bundesamt für Landwirtschaft wollte nur mit mutigen aber pragmatischen Schritten vorangehen und hat die Agrarpolitik 22 plus verfasst. Es war der Versuch des Bundes, schrittweise sowohl Nährstoff-Überschüsse wie auch den Einsatz von Pestiziden zu verringern. Die Landwirtinnen und Landwirte hätten die Chance bekommen, sich anpassen zu können. So wären die Ziele der Initiativen auch erriecht worden. Die Versenkung der nenen Agrarpolitik jüngst im Parlament, aber auch durch Markus Ritter, dem Präsidenten des Schweizer Bauerbverbands, war meines Erachtens verheerend. Auch angesichts desen, dass die gesetzten Umwelt- und Biodiversitätsziele weltweit wie auch in der Schweiz bei Weitem nicht erreicht wurden. Um doch noch etwas in Bewegung zu bringen, bleiben wohl nur noch die Initiativen, die ich als Lösung mit der Brechstange sehe.

 

Mehr Bio wäre gut für die Natur und die Menschen. Nun will ausgerechnet der Vorstand des Dachverbands der Biobauern, Bio-Suisse, die Trinkwasserinitiative ablehnen. Der Grund: Mit mehr Biobetrieben würden die Preise für Bioprodukte sinken. Manche Biobauern bezeichnen dies als Verrat am Biogedanken. Wie sehen Sie das?

Anbau, Verarbeitung und Transport von Bio würden bei einer Annahme der Initiativen einfacher und damit günstiger. Aber es würden auch viel mehr Produkte importiert. Sowohl konventionelle als auch biologische. Beides, konventionell und Bio, ist im Ausland viel billiger. Österreich zum Beispiel hat mit 27 Prozent Biolandbau eine Überproduktion und drängt auf den Schweizer Markt. In Zukunft will die ganze Europäische Union den Biolandbau massiv ausdehnen, bis 2030 auf 25 Prozent. Damit entsteht ein Riesendruck auf die Schweiz. In den meisten europäischen Ländern können Bioprodukte günstiger als hierzulande die konventionellen hergestellt werden. Insgesamt würde die Schweiz Mühe haben, die vorteilhafte Situation ihrer Bauern verteidigen zu können.

 

Sie haben kürzlich ein Buch veröffentlicht zum Thema, wie die Ernährung von künftig zehn Milliarden Menschen gesichert werden könnte. Darin sprechen Sie staatlichen Subventionen für die Landwirtschaft ihre Berechtigung ab, sofern diese nicht der Unterstützung von Dienstleistungen dienen, die am Markt keinen Wert haben. Zum Beispiel die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit, und der Biodiversität, die Einhaltung der Klimaziele oder die ethische Verantwortung für eine artgerechte Tierhaltung. Sollten Schweizer Landwirte Ihrer Meinung nach ganz ohne Steuergelder auskommen?

Nein – ich beschreibe ihm Buch vielmehr, dass die zahlreichen Förderinstrumente der Agrarpolitik so umgelenkt werden müssen, damit sie der Gesellschaft dienen. Dass sich die Landwirtschaftspolitik sogar negativ auf Umwelt, Klima, Biodiversität, Tierschutz und die Gesundheit auswirkt, ist absurd. Das hat jüngst eine gemeinsame Studie der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft und dem Schweizerischen Forum für Biodiversität gezeigt. Die Forscher haben darin rund 160 Subventionsmassnahmen von Bund, den Kantonen und den Gemeinden aufgelistet, die die Artenvielfalt in der Schweiz reduzieren. Dabei geht es um Milliarden. Steuergelder effizient einsetzen, sieht anders aus.

 

Wie denn?

Als Bauer wäre ich stolz, wenn ich meinen Weizen mit Gewinn am Markt zu einem realistischen Preis verkaufen könnte. Einen Beitrag vom Staat fände ich dann sinnvoll, wenn ich eine artenreiche Magerwiese mähte, damit ein wichtiges Zentrum der Biodiversität auf meinem Betrieb erhalten bliebe, obwohl das Heu daraus kein Leistungsfutter für die Kühe ist. Was ich damit sagen will: Würde man die Geldmittel in die Agrarökologie und den Biolandbau kanalisieren, würde dies sehr schnell zu einem Wandel in der Landwirtschaft führen. Denn dieser ist dringend notwendig.

 

Warum?

Die Schweiz hat ausgezeichnet ausgebildete Landwirtinnen und Landwirte und die Agrarpolitik ist bezüglich der ökologischen Auflagen die modernste weltweit. Trotzdem hat die Schweiz europaweit den höchsten Einsatz von Dünger, hauptsächlich Stickstoff und Phosphor, und liegt auch bei den Pestiziden im obersten Drittel. Diese Belastungen der natürlichen Ressourcen Boden, Wasser und Luft müssen stark sinken. Die Artenvielfalt der Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen leidet darunter. Dies ist in den letzten Jahren erst so richtig ins Bewusstsein der Menschen gedrungen. Denn die moderne Analytik findet heute Rückstände in unvorstellbar tiefen Konzentrationen im Wasser. Erstmals kann man damit auch Schäden an sehr empfindlichen Organismen in den Zusammenhang mit Chemikalien bringen. Als Beispiele nenne ich Köcherfliegen, Muschelkrebse und andere Kleinstlebewesen, die für eine gute Wasserqualität wichtig sind. Auch deshalb sind chemische Pflanzenschutzmittel äusserst zurückhaltend einzusetzen.

 

Die Trinkwasserinitiative sieht vor, dass ein Landwirt nur noch so viele Tiere hält, wie er für sie Nahrung auf seinem Land anbauen kann. Die Tierbestände würden sinken. Kritiker befürchten eine starke Zunahme von Billigfleischimporten.

Beim Forschungsinstitut für biologischen Landbau haben wir dieses Szenario modelliert und in zwei wissenschaftlichen Arbeiten dargestellt. Wenn man kein Ackerland für den Anbau von Tierfutter mehr nutzt und den Food Waste halbiert, kann man theoretisch die Menschheit im Jahr 2050 ohne Ausdehnung des Agrarlandes ernähren. Vorausgesetzt, dass die globale Erwärmung deutlich unter zwei Grad Celsius bleibt. Wenn es darüber geht, funktioniert das nicht mehr. Dann wird der menschliche Überlebenskampf dazu führen, dass auf Teufel komm raus produziert wird. Insgesamt gibt es also zahlreiche Voraussetzungen, die für eine nachhaltige Landwirtschaft stimmen müssen. Und die Menschen müssen auch mitmachen. Weniger Fleisch zu konsumieren und weniger Abfall zu verschwenden wird für ein reiches Land wie die Schweiz schwierig werden. Man wird zu einer massiven Einschränkung der persönlichen Entscheidungsfreiheit kommen müssen. Die Frage ist, ob solche staatlichen Eingriffe nach dem Ende der Pandemie noch populär sein werden.

 

Sie haben vorhin die Geldmittel erwähnt, die man umlenken sollte – das will auch die Trinkwasserinitiative.

Die Trinkwasserinitiative führt, wenn sie wortwörtlich umgesetzt wird, zu einer Radikalkur für die Landwirte, den Handel und für die Konsumentinnen und Konsumenten. Wir dürfen nicht vergessen, dass Menschen Wesen mit zwei Zungen sind. Der Bürger wünscht sich Entwicklungen, die er mit seinem Konsumverhalten nicht mit gleichem Engagement unterstützt. Die anspruchsvollste Aufgabe der Zukunft wird nicht nur der Wandel der Landwirtschaft sein, sondern auch die Änderungen im Konsum- und Ernährungsverhalten der Menschen. Aber vielleicht habe ich auch Unrecht und die Initiativen mobilisieren eine ungeheure gesellschaftliche Kraft und Motivation, sodass die Entwicklung einer ökologisch und sozial nachhaltigen Landwirtschaft in grossen Sprüngen vorangeht. Und das Schweizer Beispiel strahlt so stark auf die Welt aus, dass alle mitmachen wollen.

 

Das Seeland gilt als Gemüsekammer der Schweiz. Gleichzeitig wurden aber im Grundwasser die landesweit höchsten Rückstände von Pestiziden nachgewiesen und der fruchtbare Boden schwindet zusehends. Würde sich die Situation durch die Trinkwasserinitiative verbessern lassen?

Das Seeland entstand durch die Entwässerung eines Überschwemmungsgebietes. Der Abbau der riesigen Humusschicht ist die Folge der Durchlüftung und der Bodenbearbeitung, wie sie im Gemüsebau üblich ist. Die Trinkwasserinitiative ändert daran nichts. Man müsste den Gemüsebau reduzieren und mehrjährig Gras anbauen. Damit würde der Selbstversorgungsgrad der Schweiz mit Gemüse stark abnehmen. Das Seeland zeigt sehr schön, dass es eben keine einfachen Lösungen gibt. Ohne chemische Herbizide wird die mechanische Bearbeitung des Bodens wichtig, um das Unkraut zu bekämpfen. Und diese fördert den Abbau von Humus. Die Regulierung von Krankheiten und Schädlingen auf den Pflanzen und im Boden ist möglich, setzt aber einen gewaltigen Schub in der Pflanzenzüchtung und im biologischen Pflanzenschutz voraus. Alle Herausforderungen gleichzeitig zu lösen, ist eine Generationenaufgabe.

 

Die Initiativen lassen den Bauern acht und zehn Jahre Zeit für die Umstellung. Reicht das nicht?

Eine völlige Abkehr vom chemischen Pflanzenschutz innerhalb von acht Jahren ist unmöglich. Der biologische Pflanzenschutz ist derzeit noch unterentwickelt. Es braucht noch zehn bis fünfzehn Jahre intensive Anstrengungen in der Forschung und viel Geld. Einzig beim Unkraut ist man heute so weit, dieses mechanisch bekämpfen zu können. Ich gebe aber zu bedenken: 50 Prozent der Pflanzenschutzmittel werden im Obstbau, Weinbau und Gemüsebau ausgebracht. Diese werden auch in Zukunft einen Schutz brauchen. Auch die Züchtung von resistenten Sorten geht nicht in dieser Geschwindigkeit voran.

 

Also aus der Traum vom Bioland Schweiz?

Nicht unbedingt. Die Digitalisierung wird den Einsatz von Pestiziden wesentlich reduzieren können: Wenn computergesteuerte Geräte und Roboter ganz gezielt und präzise einzelne Insekten, Unkräuter oder Krankheitsherde treffen, kann man 50 bis 90 Prozent der Pflanzenschutzmittel einsparen. Also viel mehr, als die Initiativen je erreichen können. Das braucht aber Investitionen, welche die Landwirtinnen und Landwirte nicht in wenigen Jahren tätigen können. Der Biolandbau ist nicht eine fixfertige Lösung, die man einfach aus dem Hut zaubern kann.

 

Zur Person

  • 1953 im solothurnischen Wolfwil geboren, vier Kinder, neun Enkelkinder.
  • Studium und Doktorat der Landwirtschaft an der ETH Zürich, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Agroscope in Zürich und Wädenswil, 30 Jahre Direktor am Forschungsinstitut für biologischen Landbau Standort Schweiz in Frick (AG).
  • Tätig in Fachkommissionen in zahlreichen europäischen Ländern.
  • Präsident des privaten Forschungsinstituts «Agroecology.science».
  • Wissenschaftlicher Berater für den UNO-Welternährungsgipfel 2021 in New York. bjg

Nachrichten zu Seeland »