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Mein Montag

«Einen Bauern heiraten? Nie und nimmer»

Martina Schaller hatte erst Bedenken, Bäuerin zu werden. Inzwischen hat sie die Bäuerinnenschule absolviert, ist Mutter von drei Kindern und betreibt auf dem Hof in Dotzigen eine eigene Backstube.

Martina Schaller steht mehrmals pro Woche mitten in der Nacht in der Backstube. Peter Samuel Jaggi

Aufgezeichnet: Brigitte Jeckelmann
A ufgewachsen bin ich auf dem Gutshof des Alters-und Pflegeheims Frienisberg. Mein Vater war dort als gelernter Landwirt angestellt. In Aarberg habe ich die Lehre zur Konditorin-Confiseurin absolviert. Im Ausgang mit Kolleginnen lernte ich dann meinen Mann kennen. Beim Tanzen bin ich ihm auf die Füsse getreten. Als er mir sagte, er sei Bauer, hat mir das kurz zu denken gegeben. Einen Bauern heiraten? Nie und nimmer. Denn ich wusste von meinem Vater, dass die Arbeit hart ist und ein Bauer nie viel Zeit hat. Mein Vater hatte nie Zeit, obwohl er keinen eigenen Hof besass, sich um diesen aber wie um den eigenen gekümmert hatte. Allem zum Trotz habe ich dann doch einen Bauern geheiratet – und bin glücklich mit ihm.
Weil unser Haus mitten im Zentrum von Dotzigen steht, halten wir unsere Mastmunis in einem grossen Stall ausserhalb des Dorfes. So arbeitet mein Mann den ganzen Tag ausser Haus. Am Anfang hatte ich mit den Munis etwas Mühe, weil ich mir Kühe gewohnt war. Diese konnte ich streicheln, auch die Kälbchen. Bei den Munis muss man aufpassen, die sind ungestümer und es besteht schon ein gewisses Risiko, sich zu verletzen. Die Kälbchen kommen zu uns, wenn sie rund 75 Kilogramm schwer sind. Dann bleiben sie etwa ein Jahr, bis sie in die Metzg gehen. So baut man auch nicht gross eine Beziehung zu den Tieren auf. Unsere drei Jungen – zwei davon sind Zwillinge - im Alter zwischen 10 und 13, geben trotzdem manchmal bestimmten Tieren einen Namen. Wenn sie dann weggehen, können die Kinder damit umgehen, denn sie wachsen damit auf. Die Tiere kommen letztlich auf den Tisch. Ich selber kenne auch nichts Anderes. Und ehrlich gesagt: Ich esse gerne Fleisch, wenn auch nicht jeden Tag.
Wir bauern nach den Vorschriften der integrierten Produktion. Das ist das Symbol mit dem roten Marienkäfer. Unsere Tiere leben in einem halb offenen Stall. Er ist unterteilt in einen Liege- und Fressbereich und ein Teil davon ist im Freien, ohne Dach. Dort spüren sie den Regen, den Wind und die Sonne. Ihr Futter bauen wir auf einer Fläche von 40 Hektar selber an. Vor einigen Jahren konnte ich mir eine eigene Backstube im Haus einrichten. Zweimal wöchentlich backe ich nun verschiedene Brote, Gipfeli, Weggli, Gebäck, Kuchen und auf Bestellung auch Torten. Die Waren verkaufe ich einerseits in unserem Hofladen, andererseits an jedem zweiten Samstag an einem Stand bei der Landi in Dotzigen. Mit dem Backen auf dem Hof habe ich nach der Geburt der Zwillinge begonnen. Jemand aus dem Dorf hatte mich gefragt, ob ich nicht ein Dessertbuffet für eine Geburtstagsparty zubereiten könnte. Dann hatte sich das herumgesprochen und die Anfragen wurden zahlreicher. Die Menge nahm laufend zu. Die Küche reichte bald nicht mehr aus dafür. Und so bekam ich meine Backstube. Dienstag und Donnerstag sind meine Backtage. Dann stehe ich jeweils zwischen zwei und vier Uhr morgens auf. Das macht mir nichts aus, ich bin eine Frühaufsteherin. Trotzdem brauche ich meine sechs Stunden Schlaf. Wenn es geht, lege ich mich manchmal am Nachmittag kurz hin. Jeden zweiten Samstag beginnt der Backtag um Mitternacht, denn dann gibt es Züpfe.
Wir haben das Glück, einen Lehrling beschäftigen zu können. Zudem arbeitet mein Schwiegervater noch aktiv mit. Sie sind also zu dritt für die Arbeiten auf dem Hof. Während der Saison helfe ich aber mit bei der Kartoffelernte. 2010 haben wir den Betrieb von den Schwiegereltern übernommen und ich entschied mich, die Ausbildung zur Bäuerin mit Fachausweis in Angriff zu nehmen. Von 2012 bis 2015 ging ich einmal pro Woche im Waldhof in Langenthal zur Schule und schrieb zum Schluss eine Diplomarbeit über meine Backstube, die zu der Zeit im Bau war.
In der Ausbildung ging es vor allem um Haushalt, Garten und Kochen. In der Klasse gehörte ich mit über 30 Jahren zu den Ältesten. Die meisten Frauen waren so um die 20, die gleich nach der Lehre noch die Bäuerinnenschule machten, weil ihre Freunde Bauern waren. Ich hatte ja schon lange zuvor einen eigenen Haushalt geführt. Aber in der Schule musste ich mir dann gewisse Dinge abgewöhnen und nach den Anweisungen der Lehrerinnen arbeiten. Das hat mir anfangs Mühe gemacht. Aber ich habe doch einige hilfreiche Tricks und Kniffe gelernt, die ich bis heute beibehalten habe. Zum Beispiel schonendes Kochen mit Dampfgaren, das ich vorher nicht kannte. Oder beim Waschen die Socken zusammenzunehmen, damit man dann danach die passenden Paare nicht suchen muss. Das ist sehr praktisch und spart Zeit. Auch für den Garten habe ich viel Nützliches gelernt. Zum Beispiel, dass man verschiedene Gemüsesorten zusammen in einem Beet pflanzen kann. Etwa eine Reihe Salat mit einer Reihe Rüebli abzuwechseln. Die Mischkultur hält Schädlinge in Schach und man braucht keine zusätzlichen Pflanzenschutzmittel. Ich habe schöne Erinnerungen an diese Zeit. Der Austausch mit den Mitschülerinnen hat mir gutgetan. Es ist schön, wenn man sieht, dass man mit seinen Sorgen, Ängsten und Problemen nicht alleine ist.
Wir leben mit den Schwiegereltern unter einem Dach. Das war zu Beginn nicht immer einfach. Ich hatte andere Ideen als meine Schwiegermutter. Wir mussten lernen, damit umzugehen, dass es ab und zu Konflikte zu lösen gilt – wie es halt zwischen Generationen vorkommt . Meine Schwiegermutter ist aber ein offener Mensch und so haben wir uns mit der Zeit gefunden. Dass man nicht immer gleicher Meinung ist, ist völlig normal. Wichtig ist, dass man bereit ist, auch mal das Füfi grad sein zu lassen. Mein Mann und sein Vater arbeiten sehr gut zusammen. Ich habe noch nie eine solch harmonische Vater-Sohn-Beziehung erlebt.
Seit ich zuhause in der Backstube arbeite, habe ich schon weniger Kontakte und Austausch mit anderen Menschen. Doch diese Arbeit ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Ich bin noch immer mit Feuereifer dabei und würde denselben Beruf wieder wählen. Mittlerweile sind meine selbst gebackenen Werke zum Betriebszweig geworden.
Wenn ich an die Zukunft der Landwirtschaft denke, spüre ich derzeit eine grosse Unsicherheit. Wie wird sich alles entwickeln? Der Beruf Landwirt wird immer komplexer. Wenn ich nur schon die Berge an Formularen anschaue, die vielen Vorschriften. Die Bürokratie nimmt ständig zu. Dennoch würde ich kein anderes Leben wollen. Ich glaube, Landwirt zu sein ist eigentlich kein Beruf, sondern eine Lebenseinstellung. Es bedeutet 12 bis 16 Stunden Arbeit jeden Tag. Freizeit ist kleingeschrieben, dessen muss man sich bewusst sein. Ich empfinde es als Privileg, dass wir zweimal im Jahr eine Woche Ferien machen können. Für viele meiner Kolleginnen liegt das nicht drin, weil sie sich keinen Betriebshelfer leisten können. Ich schätze mich aber sehr glücklich. Denn ich lebe genau das Leben, das ich mir immer gewünscht habe.
Alle Folgen der Serie finden Sie unter www.bielertagblatt.ch/montag

Stichwörter: Kuh, Kind, Bauer

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