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Lyss

Einkaufen ohne Kleingedrucktes

Vier junge Lysserinnen machen das, wovon andere nur reden: Sie haben mit Frats einen der ersten nachhaltigen Bio-Tante-Emma-Läden in Lyss eröffnet – für Ess- und Trinkbares, für Pflegeprodukte und für Alltägliches.

Am Anfang ging es um Mehl, Haferflocken und Reis: Romy Nussbaum, Tanja Frieden und Simona Scheurer (von links) setzen sich für nachhaltiges und lokales Einkaufen in der Region Lyss ein. Bild: Carole Lauener

Vera Urweider

«Am Anfang dachten wir, mit etwas Mehl, Haferflöckli und bisschen Reis und vielleicht noch ein Öl und Essig, ein paar Seifen – damit kämen wir durch.» Lehrerin Simona Scheurer schmunzelt. «Wir kommen ja alle nicht vom Fach», ergänzt ihre Teampartnerin, Pflegefachfrau Romy Nussbaum. Die beiden sind die eine Hälfte des jungen Vierergrüpplis aus Lyss, das den Nachhaltigkeitsladen Frats am Hirschenplatz 8 ins Leben gerufen hat.

Zusammen mit KV- und Wirtschaftsabsolventin Anna Bleuer und Servicefachfrau Tanja Frieden gingen sie einem langersehnten Wunsch nach und eröffneten im Juni letzten Jahres, was Lyss bis dahin fehlte: «Einen Ort, wo man ohne schlechtes Gewissen einkaufen kann und nicht immer das Kleingedruckte lesen muss», so Nussbaum. «Man kann darauf vertrauen, dass unsere Produkte, die Herkunft, die Produzenten und die Lieferantinnen sehr sorgfältig ausgesucht werden», sagt Scheurer weiter. «Es ist erstaunlich, was man in unserer Umgebung alles findet», so Nussbaum wieder. «Zum Beispiel die Trockenfrüchtefrau aus Finsterhennen. Die ist toll.»

 

Ort für alle

Die vier Frauen um die dreissig kennen sich seit ihrer Kindheit, sind Freundinnen und teilweise zusammen zur Schule gegangen. Seit vielen Jahren leben sie möglichst naturbewusst und nachhaltig, haben Ideen, suchen nach Lösungen, diskutierten und suchten oft sehr lange beispielsweise nach der passenden Seife, mussten dafür nach Biel oder Bern fahren, oder online bestellen, «das machts ja dann auch nicht viel besser», so Scheurer. Lyss habe schlicht keinen Dorf- oder Bioladen und auch nur einen kleinen Märit. Neben der Chäsi und dem Unverpacktladen, der fast zeitgleich eröffnete, sei da sonst nichts ausser Grossverteiler. Frats entstand also auch aus Frust.

Oder anders gesagt: Aus eigenem Bedürfnis. «Wir überlegten uns einfach, was brauchen wir selber im Alltag. Und vor allem auch, was brauchen wir wirklich», sagt Scheurer. «Brauchen wir Bananen? Hundert verschiedene Bodylotions in verschiedenen Düften?» Frats verfolgt das Mix-Yourself-Prinzip. «Wir haben kein fertiges Müesli», so Nussbaum, «bei uns gibts einfach die Zutaten blutt.» Haferflocken, Leinsamen, getrocknete Früchte – auf was man eben gerade Lust hat. Ebenso bei der Bodylotion. Wer tatsächlich verschiedene Düfte haben will, mischt sie einfach selber in die Naturelotion.

Und Frats findet Anklang, bereits habe sich eine Stammkundschaft gebildet. Ältere Menschen freuen sich über das Lädeli, das sie an früher erinnere. «Bei uns kann man sich eben auch Zeit lassen», sagt Nussbaum. «Da gibt es keinen Einkaufsstress und man bildet einen persönlichen Kontakt zur Kundschaft. Das ist richtig toll!» Doch kommen auch viele junge Lysserinnen und Lysser. Auf Instagram posten die vier Fratsinnen Nachhaltigkeitsinputs und das aktuelle Sortiment. So holen sie auch die Internetgeneration ab. Und eigentlich würden sie noch viel mehr machen wollen im Frats. Einen Ort für Diskussionen. Kurse anbieten. Zusammen nachhaltig kochen. Einen Gemeinschaftsgarten anbauen. Für die vier ist Frats jedoch Hobby und Gratisarbeit, alle gehen ihren Berufen nach. Doch der Samen, der ist gesät und die Kreativität wächst weiter.

 

In Frats-Manier

Ein gutes Jahr vor der Eröffnung hatten die vier angefangen ihre Ideen und Wünsche zu konkretisieren und es wurde der Entschluss gefasst: Lifere, nid lafere. Die Pandemie spielte dem Quartett auch noch etwas in die Karten, «sonst hätten wir uns vielleicht nicht ganz so sehr nur darauf konzentrieren können. Wir hatten halt, wie alle, plötzlich mehr Zeit», so Nussbaum. Im Herbst 2020 ging es dann an die Feldforschung. Einen Winter lang bewirteten sie einen Märit-
stand und fragten die Menschen, was sie sich denn wünschen würden. Im Januar dann, durften sie in der pandemiebedingt vorübergehend geschlossenen «Hospitium Lounge» als Pop-Up erstmals das Lädelifeeling testen.

«Wir haben schon viel dazugelernt in der kurzen Zeit», sagt Nussbaum, «und werden sicher noch viel mehr lernen.» Im Frats liegt eine Wunschliste auf. Da könne man eintragen, was toll wäre, wenn man es dort kaufen könnte. «Wir versuchen, es dann zu organisieren», so Scheurer. Aber natürlich nur, wenn es in Frats-Manier geht. Der Name nämlich, sagt eigentlich schon alles: Fair. Regional. Achtsam. Tolerant. Simpel. Kurz: Frats.

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