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«Einzige strahlungsfreie Oase im Seeland»

5G in Oberwil ist Geschichte. Die Swisscom ist vom Vertrag zurückgetreten. Grund für den «Kassensturz», im Dorf zu drehen. Die Sendung wird heute Abend um 21.05 Uhr ausgestrahlt.

Kein 5G in Oberwil: Heinrich Tännler (links) und Heinz Hugi mit den Plänen an der Stelle am Barweg 1, wo die 5G-Antenne hätte zu stehen kommen sollen. Yann Staffelbach

von Brigitte Jeckelmann
Ein Flyer in den Briefkästen der Oberwilerinnen und Oberwiler setzt den Schlusspunkt hinter eine langwierige Geschichte: «Die Swisscom tritt ohne Kostenfolge für die Gemeinde vom Vertrag zurück», heisst es darin. Die Profile für die geplante 5G-Antenne am Barweg seien abgebaut worden, die Vereinbarung beidseitig unterzeichnet. So ist das Thema 5G in Oberwil Geschichte – einmal mehr. Denn zuvor hatten die Einwohner bereits zweimal ein Antennenbauprojekt gebodigt. Der Kampf der Widerstandsbewegung «Interessengemeinschaft keine Antenne in Oberwil» hat mit einem Sieg geendet. Es bleibt, wie es immer war: Schlechter Mobilfunkempfang, sagen die einen, stimmt nicht, ist die Ansicht der andern.
 Fakt ist: In ganz Oberwil steht keine einzige Mobilfunkantenne. Ist Oberwil ein rückständiges Dorf, das sich gegen den Fortschritt stemmt? Vizegemeindepräsident Heinrich Tännler dreht den Spiess um: «Man kann es auch so sehen: Oberwil ist somit die einzige strahlungsfreie Oase im ganzen Seeland.» Marianne Hubschmid-Zbinden gehört zu den Gründungsmitgliedern des Widerstands. Sie kann Tännler nur beipflichten: Während Gemeinden sonst immer mit modernster Infrastruktur werben, «kann Oberwil dafür mit einem unberührten Naturparadies punkten». Marianne Hubschmid-Zbinden, auf der Seite der Gewinnerinnen, ist hochzufrieden: Im Nachhinein komme es ihr vor wie ein Kampf von David – die IG in Oberwil – gegen den Riesen Goliath – die Swisscom. Heinrich Tännler dagegen sagt, er sei froh, habe man das Volk entscheiden lassen, ob es eine Antenne wolle oder nicht.


Gemeinsam geschafft
Rückblickend sind sowohl Tännler als auch Hubschmid-Zbinden einer Meinung: Volk und Gemeinderat haben es letztlich gemeinsam geschafft, auf demokratischem Weg eine Lösung zu finden. Was ist passiert? 29. November vor zwei Jahren, um 20 Uhr im Saal des Gemeindehauses. Diesen Abend wird Heinrich Tännler wohl noch lange in Erinnerung bleiben. Er sitzt mit seinen vier Kolleginnen und Kollegen des Oberwiler Gemeinderats an einem langen Tisch. Ebenso lang sind die Gesichter des Gremiums. Was da gerade abgeht, macht sie fassungslos. 85 Einwohnerinnen und Einwohner sind gekommen, um an der Gemeindeversammlung über das Reizthema 5G zu debattieren.
Das sind 12 Prozent aller Stimmbeteiligten des Dorfes. Die Stimmung ist angeheizt. Die Swisscom will eine Antenne im Dorf stellen, auf Gemeindegebiet, gleich gegenüber dem Schulhaus, in unmittelbarer Nähe des Kindergartens und dicht neben dem Sportplatz. Geht gar nicht, sagt die «Interessengemeinschaft keine Antenne in Oberwil». Sie hat Unterschriften gesammelt, mehrere hundert. Die Unterschreibenden fordern: Keine gefährlichen Strahlen im Dorf. Man denke an die Kinder, die Natur, die Bienen. Der Gemeinderat dagegen war der Ansicht, er tue Gutes, der schlechte Mobilfunkempfang im Dorf ist legendär. Denn Einwohnerinnen waren an den Gemeinderat gelangt: «Tut endlich was.»


Der Gemeinderat spurt, stellt der Swisscom ein Gelände zur Verfügung, schliesst einen Vertrag ab. Jedoch, wie Marianne Hubschmid-Zbinden bemängelt, «im Alleingang, ohne Information an die Bevölkerung, eines Tages standen die Profile».
Sie klagt den Gemeinderat an der Versammlung an: «Ihr habt der Swisscom für ein Trinkgeld die Seele unseres Dorfes verkauft.» Das habe wehgetan, erinnert sich Heinrich Tännler. Die Mobilfunkgegner wollten die Antenne mit allen Mitteln verhindern. Notfalls sollten die Stimmbürger das – tadellose – Budget kippen. Dieses Misstrauen habe ihn tief getroffen, sagt Tännler. Doch so weit kommt es dann doch nicht. Das Stimmvolk akzeptiert das Budget. Und man beschliesst, über 5G im Dorf eine Konsultativabstimmung durchzuführen. Diese findet ein Jahr später statt.
Am 30. November 2020 legen 62 Prozent aller Stimmbeteiligten in Oberwil ihren Stimmzettel ein. Mit einem knappen Vorsprung von 19 Stimmen lehnt das Volk die Antenne ab. Das bedeutet: Viele Oberwilerinnen und Oberwiler hätten gerne 5G im Dorf gehabt.
Schnitt. Szenenwechsel. Im April 2021 macht sich ein Team des «Kassensturz» auf nach Oberwil. Die Kunde vom erfolgreichen Widerstand ist bis nach Zürich gedrungen. Kassensturz-Redaktorin Marianne Kägi befragt Marianne Hubschmid-Zbinden, will wissen, wie die Interessengemeinschaft zum Ziel gekommen ist. Und sie spricht mit Heinrich Tännler und Heinz Hugi, dem Gemeindepräsidenten.


Wer hat recht?
Anlass für die Kassensturz-Sendung über 5G: Der Bundesrat hat kürzlich die Strahlenschutzverordnung geändert und eine neue Strahlen-Messmethode für 5G-Antennen eingeführt. Die Grenzwerte würden dabei nicht gelockert, sagt das Bundesamt für Umwelt (Bafu). Kritiker widersprechen und stellen die Messmethode in Frage. Denn das Misstrauen gegen die neue Technologie ist gross. Der Vizedirektor des Bafu wird heute Abend im «Kassensturz» live im Studio zur Kritik Stellung nehmen. Der Beitrag aus Oberwil soll einen Eindruck davon vermitteln, was die Gegnerinnen und Gegner umtreibt. Mobilfunk im Dorf? Kommt nicht in Frage. Warum denn nicht? Marianne Hubschmid-Zbinden sagt, man wolle keine Mobilfunkantenne im Dorf, weil die Abdeckung aus ihrer Sicht genügend und die neue Technologie zu unsicher sei. Ja, es gebe einen Punkt, ein Funkloch. Doch das könne auch am Anbieter liegen.
Heinrich Tännler gibt zu bedenken, dass neben der Feuerwehr auch der Ambulanz ohne lückenlose Mobilfunkabdeckung der Einsatz im Notfall in Oberwil erschwert werde. Wer hat recht?


Angst vor neuer Technologie
Wenn Marianne Hubschmid-Zbinden heute an den Abend des 29. November 2019 zurückdenkt und über ihre heftigen Worte reflektiert, kommt sie zum Schluss: «Es hat diese Klarheit gebraucht.» Denn ohne diese direkten Worte wären dem Gemeinderat die Dringlichkeit, die Anliegen und Ängste der Bevölkerung nicht so richtig bewusst geworden. Das Thema 5G habe die Menschen beschäftigt. Die neue Technologie mache Angst, weil so vieles noch unklar sei. Werden die Grenzwerte nun eingehalten oder nicht? Wie wirken sich die neuen adaptiven Antennen auf die Gesundheit aus?
Marianne Hubschmid-Zbinden rechnet es dem Gemeinderat «hoch an», dass dieser sich in die Verhandlung mit der Swisscom gestürzt hat. Es zeige, dass der Volkswille respektiert werde. Der Gemeinderat wäre im Recht gewesen, auch die Swisscom hätte auf dem Vertrag beharren können.
Doch das Unternehmen gibt sich grosszügig. Auf Anfrage heisst es: «Swisscom respektiert den Volkswillen und ist deshalb vom Vertrag zurückgetreten.»
Info: «Kassensturz» mit einemBeitrag aus Oberwil heute auf SRF1 um 21.05 Uhr.

Stichwörter: 5G, Mobilfunk, Oberwil

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