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Yukon

Elchbraten und Karibusteak statt Rehschnitzel und Hirschpfeffer

Das Coronavirus hat Christine Mäders Ferienpläne über den Haufen geworfen. Da sie nun die Wildsaison in der Schweiz verpasst, tröstet sie sich zuhause im Yukon mit kanadischem Wild – gejagt und zubereitet von kundigen Freunden.

Bild: zvg
  • Dossier

Christine Mäder

Hätte nicht das Coronavirus unser Leben im 2020 so gänzlich umgekrempelt, wäre ich heute vor einer Woche in die Schweiz geflogen und könnte jetzt wieder mal prickelnden Sauser, heisse Marroni und Wildspezialitäten wie Rehschnitzel, Hirschpfeffer und Wildschweinrücken geniessen. Doch leider wurde nichts aus meinen Ferienplänen.

 

Jagen für den Eigenbedarf

Anders als in der Schweiz steht in den Restaurants im Yukon kein «echtes» Wild auf der Speisekarte. Auch in den Läden ist das Angebot auf Bison und Wapitihirsch von Zuchtfarmen beschränkt. Aber praktisch alle Nicht-Vegetarier hier haben Bezugsquellen für Elchfleisch, wenn sie nicht selber auf die Pirsch gehen. So haben mich meine Nachbarn Dave und Colleen kürzlich mit Karibusteaks und gehacktem Elchfleisch beglückt.

Und mein Chef James, der sein Wild selber räuchert, bringt öfters mal feine Kostproben ins Büro. Leider war er dieses Jahr bei der Karibujagd nicht erfolgreich: «Ich habe nur weibliche Tiere mit Jungen gesehen, und diese dürfen nicht erlegt werden», erläutert er. James hofft nun, dass ihm vor Saisonende am 31. Oktober stattdessen ein Elchbulle über den Weg läuft. Wie er es in seiner Jugendzeit in Nova Scotia von indianischen Jägern gelernt hat, wird er ausser den Eingeweiden alles vom Tier mit nach Hause nehmen: «Nase und Zunge gelten bei First Nations als Delikatessen und so verschenke ich diese ebenso wie das Fell und das Hirn, welches zum geschmeidig machen des Leders verwendet wird, sowie die Hufe, die zu Werkzeugen verarbeitet werden.»

 

Zusätzliche Hände sind willkommen

Meine lieben Freunde Elfie und Markus Lenzin, die acht Monate im Jahr weit abgelegen in der Wildnis an einem See leben, hatten diesen Herbst Jagdglück, während Elfies ebenfalls im Yukon lebende Schwester Birgit und Schwager Gunter gerade zu Besuch waren. «Wir haben mit dem Fernglas am gegenüberliegenden Seeufer einen jungen Elchbullen erspäht, sind hinübergepaddelt, warteten, bis er sich wieder zeigte, dann habe ich ihn vom Kanu aus erlegt. Das Gelände dort ist sehr steil und unwegsam. Wir mussten mit der Kettensäge einen Weg freimachen und den Elch aus dem Gestrüpp schneiden», erzählt mir Markus während unseres wöchentlichen Anrufs über Skype via Satellitenempfang.

Die zusätzlichen vier Hände der beiden Besucher waren eine willkommene Hilfe beim Transportieren, und nach achttägigem Abhängen des Fleisches dann auch beim Zerlegen. Die vier Beine, der Hals und zwei Rückenstücke ergaben ausgebeint rund 90 Kilo Fleisch. «Zu viert brauchten wir gut zweieinhalb Stunden, bis alles im Kanu untergebracht war. Kopf, Eingeweide und Fell liessen wir an Ort und Stelle, doch es dauerte nicht lange, bis sich Raben, Adler und schliesslich ein Grizzly an den Fleischabfällen gütlich taten, wie wir von unserem Blockhaus aus mit dem Fernglas beobachten konnten», sagt der 1992 in den Yukon ausgewanderte Zürcher. Marder, Wiesel und Vielfrass sind weitere Tiere, die dazu beitragen, dass nach einigen Monaten an der Stelle, wo der Elch sein Leben liess, höchstens noch ein paar Haare zu sehen sein werden.

 

Lieber mit der Kamera auf Jagd

«Letztes Jahr war ich wochenlang unterwegs, ohne einen Elchbullen in Sichtweite zu bekommen», erinnert sich Markus, der Wildtiere eigentlich viel lieber beobachtet oder fotografiert. «Es braucht für mich extrem viel Überwindung, ein Tier zu töten», gesteht er und fügt hinzu, es sei ein sehr intensives Gefühl, vor dem erlegten Wild zu stehen: «Es stimmt mich traurig, aber ich bin auch sehr dankbar, dass dieser junge Bulle uns nun für lange Zeit Nahrung gibt.» Er achtete auch diesmal darauf, den Elch mit einem guten Blattschuss zu treffen. «So hat das Tier keinen Stress, was sonst die Qualität des Fleisches beeinträchtigen kann.»

Da es in der Wildnis bei Lenzins keine elektrische Stromversorgung gibt und die Solaranlage für die Tiefkühltruhe nicht ausreicht, muss das von der Metzgerstochter Elfie sorgfältig portionierte und abgepackte Elchfleisch mithilfe des benzinbetriebenen Generators gefroren werden. In den Wintermonaten mit Temperaturen bis minus 45 Grad Celsius ist die Frischhaltung dann kein Problem. Elfie hat zudem unter der Küche einen sogenannten Rübenkeller, wo frisches Gemüse und Obst lange haltbar bleiben. «Wir haben sicher für zwei Jahre Fleisch», schätzt die ausgezeichnete Köchin, die nun ihren Mann mit Steaks, Filets, Braten, Siedfleisch, Gehacktem und Stew verwöhnen kann. Mein Lebenspartner Kim und ich freuen uns schon jetzt auf Elfies Elchbraten im nächsten Frühling, wenn Lenzins wieder bei uns zu Gast sein werden!

 

Ein ganzer Elch für 20 Dollar

Wer in unserem Territorium jagen will, muss die Regeln kennen und eine Lizenz erwerben. Nicht-indigene Yukoner müssen für diese bloss 10 Dollar pro Jahr berappen. Für Senioren ab 65, hiesige First Nations und Inuit ist sie ebenso gratis wie die Bewilligungen, die sonst für jedes Grosswild, das erlegt werden will, weitere 10 Dollar kosten. Vor allem für die ältere Generation der in den kleineren Gemeinden oder im Busch lebenden Ureinwohner ist Grosswild (Elch, Karibu, Bison, Bergschaf) und Kleinwild (Schneehase, Moor- und Schneehuhn) nach wie vor ein wesentlicher Bestandteil ihrer Ernährung.

Für Nicht-Yukoner, die nur in Begleitung eines lizenzierten einheimischen Führers jagen dürfen, sind die Gebühren richtigerweise ein Vielfaches höher. «Immer noch viel zu billig», meint Markus, der gut verstehen kann, dass verschiedene First Nations es gar nicht gerne sehen, wenn auswärtige, mit allen Schikanen ausgestattete Jäger auf ihren Stammesgebieten die Wildbestände dezimieren und so die Selbstversorgung der Ortsansässigen gefährden.

 

Strengere Bestimmungen in der Schweiz

Offenbar wird davon ausgegangen, dass reifere Erwachsene im Yukon wissen, wie man sich auf der Jagd richtig verhält und wie Wildbret zu verwerten ist, müssen doch nur die nach April 1987 Geborenen einen kostenlosen Online-Kurs mit anschliessender Prüfung machen. Kinder zwischen 11 und 15 dürfen bloss in Begleitung von Erwachsenen jagen; ab 16 gilt Eigenverantwortung. Etwas einfacher als in der Schweiz, wo ein Mindestalter von 18 Jahren, gründliche Schiessausbildung und -training Voraussetzung sind und ein Jagdpatent erst nach Bestehen einer kantonalen Fähigkeitsprüfung, die Wissen über Natur und Wildtiere sowie Gesetzesbestimmungen testet, ausgestellt wird.

Info: Christine Mäder, in Biel geboren und aufgewachsen, war von 1977 bis 1993 Journalistin und Redaktorin beim «Bieler Tagblatt». 1996 wanderte sie in den spärlich besiedelten 
Yukon aus, wo sie heute in Whitehorse als 
Administrative Assistentin in der Finanzabteilung von Parks Canada tätig ist.

 

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