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Lockerungen

Entsetzen bei Blasmusik und Chören

Während Wirte und Fitnesstrainerinnen über Erleichterungen jubeln, herrscht im nicht-professionellen Musikbereich im Seeland Katerstimmung. Der Bundesrat hat die Regeln massiv verschärft.

Das Konzert zum Thema Jukebox war einer der typischen Auftritte der Musikgesellschaft Bargen. Momentan sind Proben und Konzerte unmöglich. zvg

Theo Martin

«Viele von uns hatten während Alain Bersets Auftritt Freude – am Abend kam dann die Ernüchterung.» So wie Christof Ramseier vom Bernischen Kantonal-Gesangsverband ist es vielen Musikanten und Sängerinnen ergangen. Auch Robert Schwab, Präsident der Seeländischen Chorvereinigung, hat sich gedacht, dass es nun gut kommt. Doch es gibt keine Lockerungen. Im Gegenteil, der Schweizer Blasmusikverband beklagt sich, die Stigmatisierung und Diskriminierung der Blasmusik gehe weiter.

  Viele Musikgesellschaften haben in den vergangenen Wochen in Gruppen mit maximal fünf Personen geprobt. Neu sind in Innenräumen im Bereich der Kultur sogar 15 Personen gestattet. Allerdings muss bei Sängern und in der Blasmusik für jede Person «eine Fläche von mindestens 25 Quadratmetern zur ausschliesslichen Nutzung zur Verfügung stehen», wie es im Anhang 1 der Covid-19-Verordnung heisst. Für 15 Personen braucht es also Räumlichkeiten mit 375 Quadratmetern. «Eine normale Gemeindeturnhalle würde hier schon nicht mehr ausreichen», sagt Andy Kollegger von der Verbandsleitung des Schweizer Blasmusikverbands.

Bloss ein Verschreiber?

Er habe zunächst einen Schreibfehler vermutet, räumt Christof Ramseier ein. Seit der Musiker Armin Bachmann und der Seeländer Bandleader Matt Stämpfli die Regelung am Mittwochabend auf Facebook bekanntgemacht haben, wird dort jedoch in Hunderten von Kommentaren Entsetzen und Unverständnis geäussert.

Die 25 Quadratmeter stehen aber schwarz auf weiss in dem Papier. Unter diesen Umständen könne er mit seinen Chören nicht arbeiten, sagt Robert Schwab, Präsident der Seeländischen Chorvereinigung. Der Entscheid des Bundesrats empfindet er als «etwas und nichts».

Martin Scherer spricht sogar von «einer Verschärfung der Regeln». Der Präsident des Seeländischen Musikverbands erachtet das als Vertrauensmissbrauch. Auch er sagt, die meisten Musikvereine könnten so nicht mehr proben. Die Laienkultur müsse einmal mehr hintenanstehen – und werde jetzt noch mehr zurückgestossen.

Teures Plexiglas

Eine Ausnahme von der Regel mit den 25 Quadratmetern ist nur möglich, wenn «zwischen den einzelnen Personen wirksame Abschrankungen angebracht werden». Die damit gemeinten Plexiglaswände gehen aber für Laienmusiken ins Geld. Martin Scherer rechnet mit mehreren tausend Franken für einen Verein mit 40 Mitgliedern. Da die Regeln ständig ändern, ist offen, ob das überhaupt rentiert. Für Robert Schwab sind die Trennwände ausserdem nicht geeignet, weil Sänger und Musikantinnen einander hören müssen. In seinen Chören lerne ein Grossteil der Mitglieder die Stücke nach Gehör – was aber nicht funktioniert, wenn man sich nicht richtig versteht. 

Martin Scherer fragt sich, ob die 25-Quadratmeter-Regel bewusst gefasst wurde, oder ob da gar nicht viel überlegt wurde. Die Sonderbehandlung von Chören und Blasmusik sei umso stossender, als diese kein Risiko bedeuten, wie Messungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz gezeigt haben.

Untersuchungen übergangen

Die Tonbildung erfolgt nämlich (entgegen der Bezeichnung Blasmusik) nicht durch die ins Instrument gestossene Luft, sondern durch die mit der Lippe beim Mundstück erzeugten Schwingungen der Luft. Die Tröpfchen bleiben im Instrument als Kondenswasser zurück. Das Blasinstrument funktioniere gewissermassen als Filter, hat der Schweizerische Blasmusikverband unlängst geschrieben.

Der Arbeitshygieniker Thomas Eiche hat in Zusammenarbeit mit dem Sinfonieorchester Basel, dem Tonhalle Orchester Zürich und dem Schauspielhaus Basel Untersuchungen über Aerosole und Tröpfchen bei künstlerischen Tätigkeiten durchgeführt. Ausser bei «lautem Schreien» und «wütend lautem Sprechen» liegen alle Messwerte im sehr tiefen Bereich von rund einem Nanoliter pro Kubikmeter. Das heisst: Insbesondere bei den Blasinstrumenten, aber auch bei Chören, kann die Einhaltung der (bisherigen) Abstandsregel des BAG als ausreichende Massnahme betrachtet werden. Es besteht kein erhöhtes Risiko einer Übertragung von Covid-19.

Petition geplant

Der Schweizer Blasmusikverband will in den nächsten Tagen unter www.windband.ch eine Online-Petition aufschalten. Christof Ramseier wollte vom BAG vorgestern Präzisierungen zu den Massnahmen. Er wurde an den Kanton Bern verwiesen, der für solche Spezialauskünfte an den Sonderstab verweist.  Eine Information an die Mitgliedervereine ist erst nach entsprechender Antwort geplant. Ramseier ist sich sicher, dass ein Grossteil der Chöre unter diesen Umständen nicht proben kann.

 

 

Keine Antwort

Unter dem Titel «Stopp der Diskriminierung der Blasmusik» hat der Schweizer Blasmusikverband die Bundesbehörden informiert, dass «die Blasmusik keiner Kerze etwas tut» (siehe Haupttext).

Das Schreiben ging unter anderem an Rudolf Hauri (Kantonsärzte), Patrick Mathys (Bundesamt für Gesundheit), Martin Ackermann (Taskforce) und Lukas Engelberger (Gesundheitsdirektoren).

Gemäss Andy Kollegger hat der Schweizer Blasmusikverband von keinem der sechs Adressaten eine Antwort oder zumindest eine Eingangsbestätigung erhalten.   tm

 

 

«Unter diesen Umständen kann ich mit meinenChören nicht arbeiten.»

Robert Schwab, Präsident der Seeländischen Chorvereinigung

 

«Die jüngste Verschärfung der Regeln ist ein Missbrauch des Vertrauens.»

Martin Scherer, Präsident des Seeländischen Musikverbands

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