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Mein Montag

Er fährt mit dem Boot zur Arbeit

Der gebürtige Österreicher Peter Schalli ist stellvertretender Gastgeber auf der St. Petersinsel. Die Hektik in der Hochsaison macht ihm nichts aus – schliesslich kann er sich in seinem Schlauchboot von den langen Tagen erholen.

Der 29-jährige Peter Schalli wollte eigentlich nur während einer Saison auf der St. Petersinsel arbeiten. Diesen Plan hat er längst über Bord geworfen. Bild: cst
  • Dossier

Aufgezeichnet: Carmen Stalder

«Während 15 Monaten habe ich hier auf der St. Petersinsel gewohnt, mittlerweile habe ich eine Wohnung in Twann. Seither fahre ich zwischen 8 und 10 Uhr mit meinem Schlauchboot rüber auf die Insel. Das dauert je nach Wellengang zwischen 12 und 15 Minuten. Es ist ein Privileg, mit dem Schlauchboot zur Arbeit fahren zu können, dafür bin ich sehr dankbar.

Auf der Insel angekommen, gehe ich runter ins Büro. Als stellvertretender Gastgeber bin ich zuständig für die ganze Gastronomie. Ich bereite den Tagesablauf vor, teile die Leute ein, schaue, welche Veranstaltungen anstehen. Ich verwalte auch die Finanzen und erledige die Stundenkontrollen. Am Mittag wechsle ich ins operative Geschäft. Ich bin gerne draussen bei den Gästen, stehe gerne unter Strom. Da gehe ich komplett auf. Bei der Essensausgabe schaue ich, dass die Qualität stimmt, und koordiniere den Service, sodass keine Hektik entsteht.

Tourismus und Gastronomie sind meine Passion, mir macht das extrem viel Spass. Ich habe klassisch gelernt, in der Hotelfachschule vom Koch zum Kellner und Rezeptionisten, später habe ich ein Studium absolviert. Dieses Jahr beginne ich noch eine Ausbildung im Marketing. Mein Ziel ist es, CEO zu werden, darauf arbeite ich hin.

Derzeit sind wir dabei, den Betrieb umzustrukturieren. Wir wollen eine bessere kulinarische Linie erreichen. Bei uns ist alles frisch und aus der Region, wir arbeiten komplett ohne Tiefkühlprodukte und verwenden keine Knorr-Gewürze, nicht einmal Aromat – obwohl das die Schweizer lieben. Die Vision ist, dass wir in drei bis fünf Jahren zu einem Gastronomietempel werden. Man muss schliesslich ambitioniert sein. Das Tagesgeschäft soll aber weiterhin familienfreundlich bleiben. Von den Zanderknusperli über das Inselplättli bis zum Hummer soll es alles geben.

Wir haben keine fixe Klientel. 70 Prozent der Gäste sind Schweizer, 30 Prozent kommen aus dem Ausland. Von der Familie mit fünf, sechs Kindern bis zum Jachtbesitzer mit 13 Hotels, so jemanden hatten wir auch schon hier, soll jeder angesprochen werden.

Die Arbeit macht Spass, weil jeden Tag etwas anderes los ist. Wir haben extrem viele Veranstaltungen: In der Hochsaison sind es zwischen 15 und 30 Bankette pro Woche, darunter auch viele Hochzeiten. An einem Tag haben wir zum Beispiel am Mittag eine Beerdigung mit 130 Leuten, bei der es geräucherte Forelle mit Salat gibt. Abends folgt dann ein Galadinner. Einmal hatten wir Leute aus Tansania, die ein 7-Gang-Menü bestellt haben – die wollten nur das Feinste vom Feinen.

Im Sommer nehmen wir uns keine Ferien, von März bis Oktober arbeiten wir durch. Im November sind dann drei bis vier Wochen Urlaub angesagt. In dieser Zeit wird alles geputzt und eingelagert. Und im Dezember beginnt schon wieder die Planung für die neue Saison.
Es war ein kompletter Zufall, dass ich im Frühling 2018 auf der Insel gelandet bin. Ich habe damals im Graubünden gearbeitet. Dann hat sich die Gastgeberin Franziska Immer bei mir gemeldet und mir ein Jobangebot gemacht. Eigentlich wollte ich dann nur für eine Saison bleiben. Aber jetzt ist es irgendwie dazu gekommen, dass ich komplett ausgewandert bin und mir hier eine Wohnung genommen habe. Das war eigentlich überhaupt nicht geplant. Ich fühle mich einfach so heimelig, weil mich die Umgebung an früher erinnert. Ich bin bei Salzburg auf dem Land aufgewachsen.

Auf der Insel geblieben bin ich aus mehreren Gründen: Es ist ein toller Betrieb und die Beziehung zu den Vorgesetzten stimmt komplett. Dazu kommt die Herausforderung, die sich mir hier bietet. Weiter gefallen mir die Natur und die Ruhe. Hier auf der Insel habe ich einfach ein viel besseres Lebensgefühl. Ich bin wirklich extrem naturverbunden, ich liebe auch Tiere. Ein weiterer Grund, warum ich geblieben bin, ist die Liebe: Bei der Arbeit habe ich meine Partnerin kennengelernt.

Während der ersten Saison, als ich hier gewohnt habe, habe ich die Insel kaum verlassen, auch nicht in der Freizeit. Andere wollen unbedingt runter, wenn sie nach zwei, drei Wochen Arbeiten frei haben. Ich dagegen brauche keine Stadt, ich habe dann einfach das Wasser genossen, mich an die Sonne gelegt. Oder im Winter waren wir Eisschwimmen.

Das längste Stück, das ich ohne Unterbruch auf der Insel blieb, waren fünf Wochen. Ich bekam nie den Inselkoller, im Gegenteil: Ich habe es geliebt. Nach einem langen Tag kann man die Seele baumeln lassen. In der Hochsaison arbeiten wir mindestens 10 Stunden, 17 Stunden, wenn eine Hochzeit ansteht.

85 Prozent des gastronomischen Personals sind Fachkräfte, darauf legen wir grossen Wert. Bei uns arbeiten Schweizer, Österreicher, Deutsche und Portugiesen. Wir sagen immer, wenn jeder von sich selbst denkt, er ist der Beste in dem, was er macht, dann hast du ein gutes Team. Wir haben um die 40 Mitarbeiter, davon leben 20 bis 25 hier. Über den Hotelzimmern hat es zwei lange Flure mit Einzelzimmern für die Angestellten. Im Team herrscht eine gute Stimmung. Wir essen zusammen, nach der Arbeit sitzen wir am See. Manchmal gehen wir auch noch um Mitternacht schwimmen. Im Sommer sind wir wie eine Familie. Ich bin auch nur deswegen von der Insel weggezogen, weil ich weiss, dass das hier ein mehrjähriges Projekt ist und ich etwas mehr Privatsphäre wollte.

Mein Rückzugsort befindet sich jetzt in Twann. Oder ich fahre gerne mit dem Schlauchboot vor die Insel, lege mich hin, schaue die Natur an und höre Musik. Das ist für mich Abschalten.»

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