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Aareschwimmer

Er hat noch keinen einzigen Fisch gesehen

Mit der Unterstützung eines zehnköpfigen Teams durchschwimmt Kevin Wälchli die Aare von ihrer Quelle bis in den Rhein. Am Sonntag hat er den Bielersee durchquert. Aber eigentlich findet der 28-Jährige Schwimmen langweilig.

Nach gut vier Stunden im Wasser macht Kevin Wälchi Pause in Ipsach. Bild: Matthias Käser

Sarah Grandjean

Sonntag, 9 Uhr morgens, über dem Jura hängen Wolken, das Wasser des Bielersees ist trüb. Mitten auf dem See legt Kevin Wälchli eine Pause ein. Mit hochgeschobener Schwimmbrille treibt er im Wasser, begleitet von einem Kajakfahrer sowie einer Gruppe Freunden und Freundinnen in zwei Motorbooten. «Ich kann fast nicht mehr», sagt er. Er habe Magenkrämpfe, an diesem Morgen sei es ihm zum ersten Mal schwergefallen, ins Wasser zu steigen. Gestartet ist er zwei Stunden zuvor in Hagneck. Allerdings sieht der 28-jährige Solothurner nicht so aus, als würde er aufgeben wollen. Bald lacht er wieder: «Danke dem, der die Wellen abgestellt hat». Und er schwimmt weiter, in Richtung Ipsach.

Wälchli hat sich zum Ziel gesetzt, innerhalb von zwei Wochen die Aare von der Quelle bis zur Rheinmündung hinunterzuschwimmen (das BT berichtete). Gestartet ist er am 3. Juli beim Unteraargletscher, wo die Aare «klein und härzig» entspringt. Bis nach Brienz ist er gelaufen, die Aareschlucht hat er wegen der starken Strömung ausgelassen. Er ist durch den Brienzer-, Thuner- und Wohlensee geschwommen und hat am Sonntag mit dem Bielersee den letzten See in Angriffe genommen. Darüber ist er froh.

Die Seen seien anstrengend, weil es keine Strömung gibt. Mehr zu schaffen mache ihm jedoch das Mentale. Während sich in der Aare die Umgebung ständig verändere und er durch die Strömung schneller vorwärtskomme, sei in den Seen alles statisch. «Wenn man aufschaut, sieht es immer gleich aus». Und unter Wasser sei bis auf etwas Seegras praktisch nichts zu erkennen – nach einer Woche hat er noch keinen einzigen Fisch gesehen.

Selbstgespräche unter Wasser

Wälchli schwimmt mit regelmässigen Zügen neben dem Kajak her, das ihm die Richtung vorgibt. Die Motorboote überholen ihn, fallen zurück, holen wieder auf. Wälchli hat eigens für das «Projekt Aare» kraulen gelernt. Zwar habe er sich immer wohlgefühlt im Wasser, aber er sei noch nie eine längere Strecke geschwommen, sagt er später. Und wie gefällt es ihm? «Schwimmen ist nicht mein Sport, es ist mir zu langweilig». Er lacht. Aber er hat sich bewusst eine Herausforderung ausgesucht. Soweit er wisse, habe noch nie jemand die Aare durchschwommen. Und es müsse ja nicht immer alles einfach sein. Die Aare zu schützen sei schliesslich auch nicht einfach. Manchmal brauche es einen gewissen Effort, um etwas zu erreichen.

Er versuche beim Schwimmen in eine Art Trance zu kommen, aber meist gelinge ihm das nicht für lange Zeit. Stattdessen rede er mit sich selbst. «Ich bin froh, dass mir bei diesen Diskussionen niemand zuhört», lacht er. Er nehme die Gedanken, wie sie grad kommen, studiere an Vergangenem rum, plane neue Projekte. Er versuche, nicht an einem Gedanken festzuhalten, das brauche zu viel Energie.

Seine Lieblingsetappe bisher sei jene von Thun nach Bern gewesen. Wegen der starken Strömung ist er einen Tag später als geplant in Thun ins Wasser gestiegen – und hat dafür gleich zwei Etappen an einem Tag gemeistert, bis an den Wohlensee insgesamt 56 Kilometer. «Unglaublich streng» sei es gewesen. «Jeder Muskel, jede Sehne war angespannt.» Seine Freunde haben zur Sicherheit zwei professionelle Rafting-Guides engagiert, die die Truppe begleitet haben. Wälchli selbst trug eine Schwimmweste und stieg nur an der Stelle ins Boot, an der sie die Uttigenschwelle passiert haben. Die Etappe sei zwar ein Risiko gewesen, aber Angst habe er keine gehabt.

Geld für kranke Kinder

Auf die Idee für das «Projekt Aare» ist Wälchli gekommen, weil er als Servicetechniker beruflich rund um die Welt unterwegs ist. Dabei sei ihm aufgefallen, wie schmutzig Flüsse an vielen Orten seien. Er will darauf aufmerksam machen, wie wertvoll ein sauberer Fluss ist. «Mir war immer wichtig, dass nicht ich im Mittelpunkt stehe», so Wälchli. «Es soll um die Aare gehen». Bei dem Vorhaben unterstützt ihn ein Team aus zehn Freunden, sie alle haben dafür zwei Wochen Ferien genommen. Sie begleiten und motivieren ihn, kümmern sich ums Essen und Übernachtungen auf Camping, Bauernhof oder im Schulhaus, fahren am Vortag die jeweils nächste Etappe ab und dokumentieren das ganze Projekt auf der Website.

Es geht den Freunden aber nicht nur ums Abenteuer, sie wollen auch Geld fürs Allani Kinderhospiz Bern sammeln, das 2022 eröffnet werden soll. Das Hospiz soll Platz für sechs bis acht schwerkranke Kinder und ihre Familien bieten. Die Kinder sollen dort Zeit verbringen und sterben können. Wie es dazu gekommen ist, dass sie für diesen Verein Spenden sammeln, sei einem «wunderbaren Zufall» geschuldet, so Wächli. Eines der Vereinsmitglieder hatte eine Wohnung im selben Ferienhaus wie seine Freundin und er. Die beiden haben einander von ihrem jeweiligen Projekt erzählt und entschieden, sie zu verbinden.

Zurück an den Bielersee: Nach über vier Stunden erreichen Wälchli und seine Begleiter Ipsach. Sie werden begrüsst von weiteren Teammitgliedern, von Freunden und Familie. Die Hälfte der Tagesetappe ist nun geschafft – und ebenso die Hälfte der gesamten Strecke. Heute schwimmt Wälchli von seiner Heimat Solothurn nach Aarwangen, und wenn alles läuft wie geplant, wird er am Samstag nach 288 Kilometern in Koblenz aus der Aare steigen. Und vielleicht lässt sich unterwegs ja sogar noch ein Fisch blicken.

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