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Eisenbahn

Er läuft tagelang den Schienen entlang

Der Bürener Fredy von Burg kontrolliert als Streckenwärter die Bahngeleise auf Mängel – zu Fuss und von blossem Auge. Denn die Maschinen sind hier weniger effizient als der Mensch.

Fredy von Burg bei der Arbeit: Zu Fuss kontrolliert er den Zustand der Gleise. Bild: Beat Mathys

Regina Schneeberger

Die Sonne scheint, unter den Sohlen knirscht der Schotter. Der Spaziergang von Wiler nach Utzenstorf ist alles andere als beschwerlich – das Gelände ist flach, die Strecke ohne grosse Anstrengung bewältigbar. Und doch pocht das Herz schon nach wenigen Minuten wie wild. Immer wieder wandert der Blick hektisch nach hinten und vorne. Kommt wirklich kein Zug?

Statt gemächlich der Emme entlang marschieren wir nämlich zwischen den Eisenbahngleisen. Hier, wo die Züge mit rund 80 Kilometer pro Stunde vorbeibrausen. Die anfängliche Furcht verflüchtigt sich aber schnell. Dank fachkundigem Begleiter. Fredy von Burg, freundliches Gesicht, ruhige Stimme, plaudert unbeschwert.

Seit zwölf Jahren ist er als Streckenwärter für die BLS unterwegs. Er wandert tagelang den Eisenbahnschienen entlang, ist im ganzen Emmental unterwegs, im Solothurnischen und hin und wieder im Oberaargau. Dabei hat er den Zustand der Schienen stets im Auge. Auch den Fahrplan? «Den kenne ich genau», sagt er und reagiert auf den besorgten Blick mit einem Lächeln.

Wenn der Zug den Weg kreuzt

Er verlässt sich aber nicht nur auf den Fahrplan. Denn dort seien nicht alle Güterzüge vermerkt. «Augen und Ohren sind am wichtigsten», betont der 46-Jährige. Nicht nur, um die herannahenden Züge wahrzunehmen, sondern auch, um die Signale richtig zu deuten. Hier etwa habe es viele Bahnübergänge. «Sind die Barrieren oben, weiss ich, dass nicht gleich ein Zug kommt.» Natürlich kreuzen sich die Wege der Bahn und des Streckenwärters regelmässig. «Es gibt jedoch überall Ausweichmöglichkeiten», sagt er. Kurze Zeit später machen wir davon Gebrauch, wechseln auf den Gehsteig neben dem Trassee, haben so längst genug Abstand zu den vorbeirasenden Waggons. Und doch schlägt das Herz auf einmal wieder schneller.

Wo Fredy von Burg marschieren muss, gibt das Bundesamt für Verkehr vor. Die Regelmässigkeit, in der es eine Strecke zu kontrollieren gilt, hängt von der Frequenz der Züge ab – je mehr die Gleise befahren sind, desto regelmässiger müssen sie überprüft werden. Hier, zwischen Wiler und Utzenstorf, geht Fredy von Burg alle zwei Wochen entlang. Immer mit anderem Fokus. Einmal konzentriert er sich auf die Bahnschwellen, einmal auf die Kunstbauten wie Brücken, einmal auf die Gleise. Letztere nimmt er nun unter die Lupe. Hat es einen Riss im Eisen, ist eine Stelle verbogen oder eine Schraube locker, muss er sein Tablet zücken.

Notruf nach Spiez

Heute zeigt er den Ablauf lediglich vor, zu bemängeln gab es bisher nichts. Er wählt einen Schadensfall an, definiert die betroffene Schiene und den Streckenabschnitt. Wenige Klicks und schon würde die Meldung bei der Zentrale in Spiez eintreffen. Bei den nächsten Unterhaltsarbeiten werden die Mängel dann behoben. Manchmal heisst es aber auch sofort reagieren: etwa wenn an einer heiklen Stelle ein Stück Gleis rausgebrochen ist oder sich ein Tier auf den Schienen befindet. Ersteres sei bei ihm in all den Jahren lediglich zweimal vorgekommen, Letzteres zum Glück noch nie, sagt von Burg. Sind die Schienen nicht mehr befahrbar, erfolgt ein Notruf und das Spiezer Stellwerk leitet die Züge augenblicklich um.

So viel Action gibt es an diesem Tag aber nicht. Nach einiger Zeit bleibt Fredy von Burg dann doch kurz stehen. Er zeigt auf eine Delle in der Schiene. Markiert ist die Stelle mit einem weissen Strich. Das habe bereits der Messzug erfasst, so von Burg. Diese Fahrzeuge nehmen die Mängel beispielsweise mit Ultraschall auf. Zweimal im Jahr sind sie auf dem Netz der BLS unterwegs.

Mensch statt Maschine

Doch weshalb setzt man nicht nur noch auf Messzüge? Diese würden nur Daten der Schiene und des Fahrdrahts aufnehmen, heisst es seitens der BLS-Medienstelle. «Die Streckenwärter achten bei ihrer Kontrolle hingegen auf die gesamte Umgebung, so zum Beispiel auf den Zustand von Kunstbauten.» 20 Streckenwärter sind bei der BLS im Einsatz.

Auch für die SBB sind Streckenwärter unterwegs: 60 Angestellte gehen dieser Aufgabe nach. Insgesamt gebe es über 200 Beobachtungspunkte, die es bei der Fahrbahninspektion zu beurteilen gelte, schreibt die Medienstelle der SBB. Diese könnten mit Technologien nicht vollständig erfasst werden, deshalb brauche es den Menschen weiterhin. Und: «Aktuell sind die Kosten der maschinellen Inspektion höher.» Denn die Entwicklung der sogenannten Diagnosefahrzeuge sei sehr aufwendig.

15 Kilometer am Tag

Mittlerweile geht das Schienenwandern doch etwas in die Beine. Ohne Misstritt über Schwellen und Schotter zu laufen, ist nicht ganz ohne. Fredy von Burg ist sich das viele Gehen hingegen gewohnt. Rund zwei Tage die Woche ist er als Streckenwärter unterwegs, legt im Schnitt täglich 15 Kilometer zurück. Auch sonst kann er selten die Beine hochlagern. Mit seiner Familie führt er in Büren an der Aare einen Landwirtschaftsbetrieb. Abends geht es immer noch in den Stall oder aufs Feld. Mit dem «Hündli» spazieren gehen müsse seine Frau dann aber jeweils allein. Wandern in den Bergen sei ebenfalls nichts für ihn. «Laufen muss für mich eine Funktion haben», sagt er und lacht.

Dass er als Streckenwärter meist allein unterwegs ist, stört ihn nicht. So könne er sich am besten konzentrieren. Und links und rechts der Schienen gebe es immer etwas zu entdecken. An einem Ort wächst eine Wohnsiedlung aus dem Boden, an einem anderen spriesst das Getreide aus der Erde.

«Ist die Lehrtochter dabei?»

Auch das Soziale kommt nicht zu kurz, wie sich wenig später zeigt. Ein älterer Mann winkt ihm von seinem Garten aus zu. «Haben Sie heute eine Lehrtochter dabei?», ruft er. «Nein nein, jemand von der Zeitung», entgegnet von Burg. Die beiden schwatzen kurz.

Weiter gehts. Nach einer guten Stunde erreichen wir den Bahnhof in Utzenstorf – pünktlich zur Mittagszeit. Für Fredy von Burg geht es nun mit dem Zug zurück nach Wiler. Pause macht er im dortigen Bahnhofsrestaurant, die Wirtsleute seien freundlich, das Essen gut. Das Laufen macht auch den Profi hungrig.

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