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Reisen

«Es braucht keinen Mut, sondern Vertrauen»

Schon bald rollen die modernen Nomaden mit ihrem Kleinbus durch die mongolische Steppe. Noch warten sie auf das russische Visum. In ein, zwei Wochen aber geht es los durch den wilden Osten. In eine Art zweite Heimat der Autorin.

Die mongolische Steppe: Bald sieht der Blick aus ihrer rollenden Wohnung für die modernen Nomaden so aus. Copyright Martina Zürcher / Bieler Tagblatt

von Martina Zürcher

«Falls du wirklich so aussiehst wie dein Bild im Pass, dann bist du nicht fit genug, um zu reisen», sagte mir mal jemand. Es hat schon was. Ich sehe auf dem Bild aus wie eine müde Verbrecherin. Dylan macht sich in seinem Pass, grimmig und mit Kurzhaarschnitt, ganz gut als mein Kumpan. Bonny und Clyde, sozusagen. Die neuen Porträtbilder, die wir vor zwei Tagen mit starrer Miene geschossen haben, um sie dem russischen Visumsantrag beizulegen, die zählen ungefähr zur gleichen Kategorie.

«Läck Bobi» sehen wir unfreundlich aus. Wir hoffen dass sie bei Wladimir Putins Gesichtskontrolleuren durchkommen und wir in ein, zwei Wochen unsere Pässe samt russischer Einreisebewilligung zurückerhalten. Bereits im Pass drin sind unsere Visa für die Mongolei. Denn bis nach Ulan Bator und zurück wollen wir mit unserem Bus Foxy im nächsten halben Jahr rollen.

Ein Herzensprojekt

Nach mehr als zwei Jahren Busleben in Europa wird es Zeit, ein halbes Jahr etwas weiter weg zu fahren. Zumal ich in Ulan Bator seit 15 Jahren eine Art zweite Heimat gefunden habe und seither gemeinsam mit Freundinnen das Hilfswerk Bayasgalant, Kinderhilfe Mongolei, betreibe. In einer Tagesstätte und drei Kindergärten betreuen wir täglich 175 Kinder, die in schlimmsten Verhältnissen aufwachsen.

Bei Bayasgalant finden sie Nahrung, Wissensvermittlung und Geborgenheit. Ein Herzensprojekt und daher freue ich mich sehr, endlich einmal über den Landweg in die Mongolei zu reisen und noch mehr darauf, Dylan alles zu zeigen.

«Das ist aber mutig!», sagten unsere Familien, als wir damals von der Idee der Tagesstätte in der Mongolei erzählten. «Du bist mutig, ich könnte das nicht!», sagen Freundinnen, wenn sie über unser Leben im Bus sinnieren. «Wirklich? Ihr habt aber Mut!», sagen die Menschen heute, wenn wir durch Russland, die Mongolei, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan reisen wollen.

Aber ist es wirklich so mutig? Wir empfinden es überhaupt nicht so. Ich finde es zum Beispiel viel mutiger, ein Haus zu kaufen und zu wissen, dass ich danach Jahre an die Rückzahlung des Kredites gebunden wäre, also immer ein gleich grosses Einkommen bräuchte.

Und ja, ich finde es mutiger, Kinder zu kriegen und sich so mindestens 18 Jahre in die verantwortungsvolle Rolle der Elternschaft zu begeben. Was wir tun hingegen, das empfinde ich nicht als mutig, sondern als normal. Ich musste mich nie überwinden, es zu tun. Es passt, weil es das ist, was unser Herz uns sagt. Ich bin davon überzeugt, dass alle Eltern genauso empfinden, wenn es um ihre Kinder geht. Sie fühlen sich nicht mutig, Eltern zu sein, sondern sie folgten dem Entscheid ihres Herzens. Dann nämlich braucht es keinen Mut, sondern lediglich Vertrauen. Oder?

Es gibt Menschen, die sagen zu uns: «Ich möchte auch reisen gehen und die Welt sehen. Aber ich habe nicht den Mut dazu, aufzubrechen.» Da stellt sich die Frage: Haben wir den Mut nicht, etwas zu tun, weil es sich für uns nicht richtig anfühlt oder trauen wir uns nicht, unserem Herz zu folgen? Eine wichtige Frage.

«Mir ist es aber ernst»

Dylan und ich haben damals vielleicht eine halbe Stunde darüber diskutiert, ob wir künftig im Bus wohnen wollen. Und dann voller Freude die Wohnungskündigung geschrieben. Obwohl dies für beide von uns nie ein langersehnter Traum war, war da plötzlich diese Idee, die uns rein in Gedanken mit einer riesen Vorfreude erfüllte.

Genauso fühlte es sich auch mit der Gründung des Kinderhilfsprojekts in der Mongolei an. Wir sassen damals zu viert in der Weite der mongolischen Steppe und diskutierten über die Möglichkeiten, den Strassenkindern zu helfen. «Mir ist es aber ernst!», sagte Christine, meine Freundin, die die Idee zum Projekt hatte. «Uns auch!», antworteten wir anderen, damals alle zwischen 20 und 24 Jahre jung, obwohl wir uns zuvor nie ausgemalt hatten, jemals ein Hilfsprojekt aufzubauen. Es fühlte sich einfach absolut richtig an. Damals wie heute.

Entscheide mit dem Herzen anstatt nur mit dem Kopf zu treffen, fühlt sich einfach gut an. So auch unsere aktuellen Reisepläne in Richtung Osten.

Info: Die Reise kann auf Instagram und Facebook verfolgt werden: @ride2xplore. Mehr über das Hilfsprojekt gibt es auf www.bayasgalant.org

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