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Treiten/Bern

«Es hat noch nie eine Frau den Falschen geküsst»

Sie wohnen zusammen, arbeiten zusammen und machen zusammen Musik. Timon und Robin Kellenberger aus Treiten sind sich fast immer einig – ausser, wenn es um Frauen geht.

Timon und Robin (rechts) Kellenberger wohnen zusammen in einer WG. Ihre Zimmer befinden sich Tür an Tür. Im März wird sich dies jedoch ändern. Matthias Käser
  • Dossier

Hannah Frei


Robin und Timon Kellenberger trifft man selten alleine an: Sie wohnen zusammen, sie arbeiten zusammen, sie haben einen gemeinsamen Freundeskreis, sie spielen zusammen in der Band Individual – und kamen am selben Tag auf die Welt. Timon und Robin sind eineiige Zwillinge, 26 Jahre alt, wuchsen in Treiten auf und leben heute in einer WG in Bern. Sie erfüllen so manche Klischees, die man sich von eineiigen Zwillingen erzählt.


Die beiden sind sich ungewöhnlich nahe. Wie viel die Gene dazu beitragen, kann Robin nicht beurteilen. Klar sei jedoch, dass ihre Gemeinsamkeiten sie zusammengeschweisst haben: Sie erlebten alles gleichzeitig, absolvierten gleichzeitig das Gymnasium Biel-Seeland mit Schwerpunkt Musik, machten beide einen Bachelor, Timon in Musik, Robin in Sportwissenschaften, und sie unterrichten heute beide in der Musikschule Kellenberger in Bern, die Schule ihrer Eltern. Beide gehören sie zur Band Individual, gemeinsam mit Joel Burkhard und Pascal Widmer. Timon musiziert zudem mit der Bieler Sängerin und Songwriterin Dana, mit der auch Robin schon Duette gesungen hat.


Dienstags treffen sich die beiden mit ihren Bandkollegen zum Proben. Manchmal bleibt ihnen Zeit für ein gemeinsames Frühstück, so am letzten Dienstag. Brot, Honig, Käse. Der Tisch ist klein, aber für die beiden reicht es allemal. Während der eine spricht, hört der anderen zu, ergänzt, stimmt zu, widerspricht nie. Würde man sie nicht sehen, könnte man im ersten Moment denken, ihre Aussagen würden aus einem Mund kommen.


Noch nie getrennt gewohnt
Bisher haben die beiden noch nie getrennt voneinander gewohnt, als Kind sogar gemeinsam in einem Zimmer. Und sie hätten sich auch noch nie daran gestört. «Mit meinem Zwilling zusammen zu leben kommt für mich am nächsten ans alleine Wohnen. Nur ist man eben nicht ganz alleine», sagt Robin. Er könne sich zurzeit nicht vorstellen, mit jemand anderem so frei leben zu können wie er es mit Timon tun kann. Genervt seien sie vom jeweils anderen nur ganz selten. Und wenn, dann nur wegen Kleinigkeiten.


Lange müssen die beiden überlegen, um zu sagen, was sie grundlegend voneinander unterscheidet. «Es sind die kleinen Dinge», sagt Timon. Die Lieblingsmusik, die Instrumentenwahl, das Interesse an Sport. Timon arbeitet im Familienunternehmen als Gitarrenlehrer, Robin unterrichtet Schlagzeug. Timon meditiert gerne, Robin geht lieber joggen. Timon besitzt nur ganz wenige Dinge, hat sein Zimmer minimalistisch eingerichtet. Robin mag es lieber gefüllter, aber aufgeräumt. «Aber das ist ja nicht das, was einen Menschen ausmacht», sagt Robin. Das seien eher oberflächliche Kategorien. Die Basis, also die Einstellung zum Leben, zur Umwelt, zum Miteinander, das sei das Wesentliche. Und in diesen Punkten sind sich beide einig. Füreinander da sein, sich austauschen, sich an den schönen Dingen orientieren, die Musik geniessen.


Ihre Beziehung zueinander sei eine andere als etwa die zu ihrem Bruder Jan. Er ist drei Jahre älter, wohnt in Zürich, arbeitet einmal pro Woche in der Musikschule der Familie. Jan sei mehr der visuelle Typ, arbeitet als Grafiker, macht Videos für ihre Band Individual. Ihn sehen sie zirka zweimal pro Monat. Dadurch sei die Beziehung zu ihm weniger intensiv, oder jedenfalls auf eine andere Art.


Verwechslung stört sie nicht
Dass die beiden ab und zu verwechselt werden, stört sie nicht. «Es wäre ja auch irgendwie frech», sagt Robin. Fast so, als würde ein Professor mit seinen Schülern schimpfen, weil sie nicht genug von seinem Fach verstehen. Auch sie selbst hätten andere Zwillinge schon einmal miteinander verwechselt. Diese Verwechslungen gehören einfach dazu, sagt Timon. Es sei immer normal gewesen, dass er den Leuten erklären musste, wer er sei und wer sein Bruder ist, und dazu die richtigen Namen nennen.

Deshalb fühle er sich heute mit beiden Namen verbunden. «Wenn jemand nach Robin ruft, höre auch ich zu und drehe mich um», sagt Timon. Auch auf der Strasse grüsse er manchmal Leute, die davon ausgehen, er sei sein Zwillingsbruder. «Nicht, dass sie noch denken, mein Bruder wäre ein Asi», sagt Timon.


In ihrer Gymer-Zeit haben sie sich damit auch gerne einen Scherz erlaubt. Die beiden waren in Parallelklassen. Timon hatte damals eine Rocker-Phase, liess sich die Haare wachsen. Eines Tages schnitt er sie ab, auf dieselbe Länge, wie sie Robin trug, und setzte sich an seiner Stelle ins Klassenzimmer. Die Mitschüler hätten zwar schon gemerkt, dass irgendwas nicht stimmen kann. Aber sie hätten einfach komisch geschaut, Timon aber nicht darauf angesprochen. In der Englisch-Lektion habe der Lehrer dann aber Verdacht geschöpft, als Timon sich plötzlich meldete – was Robin nur selten getan hatte. Timon war stark in Sprachen, Robin hingegen in Mathe.


Ob es jemals Momente gab, in denen sie sich wünschten, keine Zwillinge zu sein? «Never», sagen beide und geben sich einen Handschlag. Doch besonders im Jugendalter hätten sie sich manchmal gewünscht, mehr als Individuen gesehen zu werden, nicht im Zwillingspaket. «Es war eine Zeit der Selbstfindung», sagt Robin. Wenn sie gemeinsam aus der Schule kamen, im selben Schritt, mit derselben Körperhaltung, hätten sie sich beide manchmal gewünscht, der andere würde zumindest ein wenig anders gehen. «Ich habe dann extra kürzere Schritte gemacht, um mich abzuheben», sagt Timon. Aber dies seien Kleinigkeiten gewesen, kaum der Rede wert.


Noch nie dieselbe Frau begehrt
In einem Punkt sind sich die beiden aber bisher noch nie einig gewesen: Frauen. «Glücklicherweise», sagt Robin. Es sei noch nie vorgekommen, dass beide dieselbe Frau begehrt hätten, geschweige denn geliebt. «Und es hat auch noch nie eine den Falschen geküsst», sagt Timon. Zudem würde er es auch sofort merken, wenn Robin Interesse an derselben Frau hätte. Und dann würde man versuchen, sich von der Frau zu distanzieren und die Gefühle nicht weiter wachsen zu lassen. «Erfahrungen mit Frauen sind die wenigen Dinge, die wir nicht miteinander teilen», sagt Robin. Dem anderen davon erzählen würden sie aber schon. Zurzeit sind beide vergeben. Und die Frauen würden sich sowohl untereinander als auch mit dem jeweiligen Bruder gut verstehen. «Sie stehlen uns vielleicht manchmal ein bisschen unserer Zwillingszeit», sagt Timon. Aber das sei auch in Ordnung.


Im März wird sich das Leben der beiden jedoch ziemlich ändern. Timon zieht mit seiner Freundin zusammen, beginnt den Master in Musikpädagogik an der Hochschule Luzern. Es wird das erste Mal sein, dass die Zwillinge getrennt voneinander wohnen. «Der Gedanke daran macht mich schon ein wenig traurig», sagt Robin. Für die beiden wird dies etwas ganz Neues sein. Auch deshalb, weil sie sich dann bewusst miteinander verabreden müssen, um sich zu treffen, was sie bis heute ihr Leben lang kaum gemacht haben. Vielleicht werde es dann einen fixen Tag geben, an dem sie sich treffen und der eine beim anderen übernachtet, sagt Timon. «Und vielleicht werden wir dann jeden Abend weinend miteinander telefonieren, oder Robin?»

Er scherzt. Aber diese Aussage zeigt, wie sehr die beiden aneinander hängen – und dem sind sich die beiden auch bewusst. Es wird jedenfalls eine spannende Zeit werden. Da sind sie sich beide einig.

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