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Trinkwasser

Fachmagazin verbreitet unbestätigte Aussage als Fakt

Das umstrittene Fungizid Chlorothalonil soll als Anstrich für Wasserreservoirs verwendet worden sein. Das schreibt das Agrarfachmagazin «die Grüne». Doch stimmt das wirklich?

Symbolbild: Keystone

von Brigitte Jeckelmann
Kürzlich wurde das BT von einem Leser aus der Region per Mail auf eine Aussage im Magazin «Die Grüne» hingewiesen. «Chlorothalonil wurde sogar – und das ist kein Witz – als Anstrich für die Becken von Trinkwasserreservoirs eingesetzt», schrieb Jürg Vollmer, Chefredaktor der «Grünen».
In einem längeren Text hatte er die Risiken von synthetischen Pflanzenschutzmitteln relativiert. Der Leser hegte aber keinerlei Zweifel an der Aussage und verlangte vom BT, umgehend alle Fakten zu Chlorothalonil auf den Tisch zu legen.


Beleg fehlt
Beim Faktenchek fällt die Behauptung jedoch durch: Wie Chefredaktor Jürg Vollmer auf Anfrage schreibt, handelt es sich dabei um die mündliche Aussage eines älteren Mitarbeiters einer Wasserversorgung in der Schweiz. Schriftliche Belege gebe es keine.
Das BT hat den Schweizerischen Verein des Gas -und Wasserfachs SVGW mit Vollmers Zitat in der «Grünen» konfrontiert.
Dieser reagierte umgehend. Denn es ist nicht das erste Mal, dass diese Aussage als Fakt in der bäuerlichen Presse erscheint. Am 29. Juli letzten Jahres liess sich der Freiburger Landwirt und Unternehmer Fernand Andrey in einem Interview mit dem «Schweizerbauer» zitieren, wonach «sogar etliche Wasserreser-voirfassungen innen mit chloro-thalonilhaltiger Farbe angestrichen worden sind». Seither scheint diese Behauptung unter Landwirtinnen und Landwirten die Runde zu machen.
Laut Christos Bräunle vom SVGW habe man sich direkt an Andrey gewandt. Dieser habe aber keine Quelle für diese Aussage nennen können. Und nun erscheint dieselbe Behauptung wiederum als Fakt serviert in der «Grünen». Gemäss SVGW ist es unwahrscheinlich, dass «in der Vergangenheit biozidhaltige Beschichtungen oder Dichtungsmaterialien in Trinkwasserreservoirs eingesetzt wurden». Ein solcher Einsatz würde auch den Empfehlungen des SVGW zur guten Verfahrenspraxis widersprechen. Für die Sanierung oder die Reinigung glatter Oberflächen würden «vorwiegend mineralische Beschichtungsmaterialien eingesetzt, so wie wir das auch in unserer Richtlinie empfehlen».$


Aussage nicht mehr im Netz
Der SVGW schliesst Trinkwasserreservoirs als «Quelle» von Chlorothalonil-Metaboliten aus. Der Grund: Bei der Analyse von Wasserproben werden sowohl das Rohwasser aus den Grundwasserquellen als auch das Trinkwasser im jeweiligen Netz untersucht. «Uns sind keine Fälle bekannt, in denen nur im Trinkwasser eine Belastung mit Chlorothalonil-Metaboliten nachweisbar ist, aber keine Rückstände im Rohwasser gefunden wurden», sagt Bräunle. Will heissen: Würde sich Farbe mit Chlorothalonil auf Wasserreservoirwänden befinden, so wären die Stoffe eben nur in jenem Wasser nachgewiesen worden, das als Trinkwasser in die Haushalte gelangt. Damit konfrontiert, räumt Jürg Vollmer ein, er hätte den besagten Satz als unbestätigte mündliche Aussage deklarieren sollen. Man werde in der nächsten Printausgabe ein entsprechendes Korrigendum platzieren. Auf dem Netz wurde sie bereits entfernt.
Für den SVGW laufen die emotional geführten Diskussionen im Kontext mit der Debatte um die Rückstände von Chlorothalonil und die beiden Agrarinitiativen aus dem Ruder. Zwar seien auch die Wasserversorger zu Recht über die Zunahme unerwünschter Fremdstoffe im Rohwasser besorgt. Der SVGW fordere daher schon lange verbindliche Absenkpfade für Nährstoffverluste sowie strengere Verfahren bei der Zulassung und Beschränkungen in der Anwendung beim Einsatz von Pestiziden.
Die Trinkwasserqualität in der Schweiz ist aber aus Sicht des SVGW nach wie vor sehr hoch. Trinkwasser sei das am besten kontrollierte Lebensmittel hierzulande und die Höchstwerte für Pestizide und deren Abbauprodukte vorsorglich sehr tief angesetzt. Dennoch pocht der SVGW auf den Ressourcenschutz. Er sei dringend zu stärken.


Klage nur in der Schweiz
Derweil ist die Klage von Herstellerin Syngenta gegen das Chloro-thalonilverbot in der Schweiz nach wie vor hängig. Per Zwischenverfügung hat das Bundesverwaltungsgericht inzwischen entschieden, dass der Stoff nicht mehr als «wahrscheinlich krebserregend» bezeichnet werden darf, sondern nur noch als «möglicherweise krebserregend». Dies, weil die Muttersubstanz der Kategorie 2 zugeordnet sei und nicht, wie die Schweizer Behörden angaben, in der Kategorie 1B. Gegen das Verbot von Chlorothalonil hat der Konzern indes nur in der Schweiz geklagt. In der EU habe man den Negativentscheid nicht angefochten, schreibt die Medienstelle auf Anfrage. Denn die Studien, die Syngenta den Schweizer Behörden zu den Metaboliten eingereicht hatte und die deren Unbedenklichkeit belegten, «lagen im vorgegebenen Zeitfenster der Wirkstoffüberprüfung in der EU noch nicht vor», schreibt Sprecher Beat Werder.

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