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Korruption

Falsche Farbe, fehlender Leichensack: Einfallsreiche Beamte

Eine Fahrt durch Südamerika braucht Nervenstärke. Vor allem im Kontakt mit Gesetzeshütern.

Für südamerikanische Polizisten bedeutet das Wort "Tourist" Zahltag. Bild: zvg
  • Dossier

Bruno Furer

Korruption, in der Schweiz meist ein Fremdwort, beschäftigt uns hier ab und an. Ob und wie weit wir uns als Touristen darauf einlassen, liegt ganz bei uns. Betroffen sind wir dabei vor allem bei Polizeikontrollen und am Zoll. Wobei klar gesagt werden muss, korrupte Beamte sind eher selten. Auch beschränkt sich dies auf einige wohlbekannte Gebiete. Ein Beispiel: Wir fahren von Salta nach Corrientes durch den Chaco von Argentinien. Die Strasse ist heute wenigstens geteert. Sie führt ohne jede Kurve über 598 Kilometer durch eine eintönige Steppenlandschaft. Einzige Abwechslung sind einige Ortschaften mit wohlklingenden Namen wie: Rio Muerto, Pampa del Inferno oder La Chiquita, Ortschaften, wo wirklich keiner wohnen möchte. Also haben wir Verständnis, wer möchte hier freiwillig als Polizist arbeiten?

Wir werden kontrolliert und der eifrige Beamte findet auch sofort eine Scheinwerferbirne, die durch die ewigen Pistenfahrten durchgebrannt ist. «Multa, 100 Dolaris», ruft er und strahlt, damit könnte er locker die 20 fälligen Raten der letzten Einkäufe bezahlen. «Ich bin aber kein Gringo -Amerikaner, sondern aus Europa», wende ich ein. «Kein Problem, ich nehme natürlich auch 100 Euro», so seine Antwort! Eifrig zückt er seinen Bussenblock und fragt nach den Papieren, die ich ihm auch sofort aushändige. Natürlich kann er die nicht lesen, ist ja alles in Deutsch und vielleicht etwas unfair von mir, ich habe ihm die Betriebsanleitung vom Autoradio ausgehändigt. «Hast du keine anderen Papiere?», fragt er etwas verwirrt. «Doch, noch jede Menge.» Ich reiche ihm die Betriebsanleitung vom Fahrzeug. Auch damit ist er komischerweise nicht zufrieden. Die sind ja richtig heikel hier draussen. Als ich auch noch eine kleine «Colaboracion» verweigere, gibt er auf. Verärgert scheucht er uns weg.

 

«Kühlschrank voll»
Knapp 100 Kilometer weiter die nächste Kontrolle, der Beamte möchte den Lastwagen auf Fleisch und Früchte kontrollieren. Tourist bedeutet normalerweise «Kühlschrank voll». Freundlich frage ich ihn: «Bist du nicht ganz dicht, wo siehst du hier im Umkreis von 300 Kilometern einen Mercado?» Natürlich in perfektem Berndeutsch und gebe Gas. Wenn er kontrollieren will, muss er sich sputen. Auto hat er keines, Telefon geht schon seit Jahren nicht mehr, seit die Leitungen als Viehzaun herhalten mussten und es ist sowieso Zeit für «Siesta», die zwischen 14 und 17 Uhr heilig ist hier in Argentinien. Wie schon erwähnt, es handelt sich hier wirklich um Einzelfälle, normalerweise laufen die Kontrollen immer korrekt ab und meist begnügt sich der Beamte mit einem kurzen Gespräch.

Ausländische Fahrzeuge sind hier eben immer noch eher selten anzutreffen. Wenn wir also irgendwo an einem Zoll auf unseren Stempel warten und hinten an der Wand ein grosses Plakat drauf aufmerksam macht, dass alle Zollformalitäten kostenlos sind, der Zöllner aber trotzdem 20 Dollar verlangt, geht dies unter: «Ich kann es ja mal versuchen!»

Dass es funktioniert, erfahren wir immer wieder, wenn wir auf «frische» Touristen stossen die sich rühmen, die von ihnen verlangte Busse, von 300 Dollar auf 150 heruntergehandelt zu haben.

Südamerikaner bezahlen keine Bussen, es gibt zurzeit in den meisten Ländern noch kein System, ausgestellte Bussen zu erfassen. Bei groben Vergehen wird das Auto eingezogen und bleibt bei der Polizei, bis ein Gericht über die Höhe der Strafe entschieden hat. Voraussetzung, der Fahrzeughalter meldet sich überhaupt beim Gericht. Die Polizeistationen entlang der Strassen sind vom Fahrrad bis zum Lastwagen oder Autobus immer gut gefüllt und die meisten stehen da schon seit Jahren. Es ist also meist günstiger und einfacher, sich gleich ein neues Fahrzeug zu kaufen.

Wir staunen auch immer wieder über den Einfallsreichtum der Beamten. Von der falschen Farbe des Autos zu hohen Stossstangen oder einem fehlenden Leichensack, der zwingend in jedem Auto mitgeführt werden muss, alles ist möglich. Natürlich ist die Sprache ein Problem, Spanisch ist da relativ kompliziert und viele Wörter führen zu Verwechslungen. «Fiambre» als Beispiel heisst sowohl Aufschnitt, als auch Leiche.

Werden wir also bei gut gefülltem Kühlschrank nach Wurstware, also Fiambre gefragt, können wir dies getrost verneinen, wir sind ja kein Leichenwagen! Gleiches gilt natürlich auch für die deutsche Sprache. Viele europäische Touristen haben vorne am Fahrzeug klar und gross «Suiza» oder «Alemania» oder «Tourista» angeschrieben und vergessen dabei, für einen südamerikanischen Polizisten bedeuten diese Wörter «Zahltag».

 

Wichtig: Improvisation
Machen wir einen Fehler, was durchaus auch vorkommt, braucht es zusätzlich zu den Nerven noch etwas Improvisationstalent. Als Beispiel in Mexiko, als ich über 300 Meter in falscher Richtung durch eine Einbahnstrasse fuhr. Was wegen fehlendem Verkehr eigentlich kein grosses Problem war, hätte die Einbahnstrasse nicht direkt vor dem Polizeiposten geendet, während die ganze Belegschaft beim Morgenrapport auf der Strasse in Habachtstellung stand. Natürlich wurden wir ausserhalb vom Dorf von zwei Polizeifahrzeugen gestoppt und mit vorgehaltener Waffe recht unfreundlich um unsere Papiere gebeten. «Von wo kommst du», die erste Frage vom Polizisten. «Aus der Schweiz.» «Was bist du von Beruf», seine weitere Frage. «Polizist», sagte ich ohne mit der Wimper zu zucken. Ohne auch nur einen Blick auf meine Papiere zu werfen gab er mir diese zurück und sagte: «Ich wünsche dir noch einen schönen Aufenthalt hier bei uns Kollege, fahr aber etwas vorsichtiger.»

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