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Sommerserie

Feuer, Fenchel und Fernweh

Velofahrer können via Warmshowers kostenlos bei Gleichgesinnten auf der ganzen Welt übernachten. Eine Kostprobe bietet eine Fahrradtour zu Flurina und Samuel Bürki nach Nods.

Im Garten hinter dem Haus fühlt man sich als Gast sofort willkommen. Bild: Matthias Käser
  • Dossier

Sarah Grandjean

Ich weiss über Flurina und Samuel Bürki nur, dass sie zwei kleine Kinder haben, im Dörfchen Nods im Berner Jura wohnen und eine zweijährige Veloreise durch ganz Amerika gemacht haben. Und dass ich heute in ihrem Garten zelten darf.

Ich packe Zelt, Schlafsack und Mätteli auf mein Fahrrad und radle am Seeufer entlang nach Twann, wo ich mich an den Aufstieg auf das Plateau de Diesse mache. Obwohl ich irgendwo im Wald unterhalb von Prêles auf einen Wanderweg gerate und mich verfahre, erreiche ich nach zwei Stunden mein Ziel.

Zuhause in der ehemaligen Bäckerei

Flurina und Samuel sind wie ich Mitglied im Übernachtungsverzeichnis Warmshowers (siehe Infobox). Zusammen mit dem vierjährigen Candide und der eineinhalbjährigen Séphora wohnen sie in der ehemaligen Bäckerei von Nods. Das dreigeschossige Haus ist weiss-blau gestrichen und 90 Jahre alt. Vom Wohnzimmer aus geht ein grosses Fenster zur Strasse, das früher das Schaufenster der Bäckerei war. Im Keller steht noch immer der Brotofen, der vor langer Zeit mit Holz und später mit Gas beheizt wurde. Unter dem Dach hat das Paar eine Wohnung mit Schlafzimmer und Bad eingerichtet, die es über eine Buchungsplattform vermietet. Wenn man den grossen Garten hinter dem Haus betritt, würde man nicht vermuten, dass die Familie erst seit Weihnachten hier wohnt.

Dort herrscht reges Treiben: Candide und Séphora klettern zusammen mit ihrer Cousine Norane und dem Nachbarsmädchen im dachlosen Hühnerhaus herum, das Samuel und Flurina gerade bauen. Zwischen zwei Obstbäumen ist eine Hängematte gespannt und an einer Wäschespinne wehen Kleider. Im Gemüsegarten wachsen Salat, Zucchetti und Mais. Samuel spricht Französisch, Flurina Deutsch. Der kleine Candide antwortet in der entsprechenden Sprache und Séphora strahlt uns wortlos an.

Flurina stellt eine Flasche mit Apfelsaft auf den Tisch und wedelt die Wespen weg. Samuel erzählt, dass er nie damit gerechnet hätte, ein Haus zu kaufen. Er wirkt noch heute überrascht, dass es so gekommen ist. Die beiden haben sich Häuser zwischen Biel und Neuenburg angeschaut, und so kam eines zum anderen. Das Haus habe Potenzial, man könne viel daraus machen, sagt Samuel. Und es biete Platz für viele Menschen, das sei ihnen wichtig. Dass das Paar Gesellschaft schätzt, ist spürbar: Man fühlt sich hier sofort willkommen.

Zwei Jahre mit dem Velo unterwegs

Zum Abendessen wird über dem Feuer grilliert: Poulet, Fisch, Mais, Fenchel und Zucchetti aus dem Garten. Wir essen draussen am Biertisch. Nachdem die jüngeren Kinder zu Bett gegangen sind und ich mein Zelt aufgebaut habe, setzen wir uns mit Norane ans Feuer. Samuel und Flurina erzählen von ihrer Reise und von Begegnungen, die sie berührt haben.

Vor sieben Jahren haben sie sich aufgemacht, Amerika von Nord nach Süd zu durchqueren. Ursprünglich wollten sie eine Reise zu Fuss machen. Dann ist Samuel zufällig auf einen Artikel gestossen über jemanden, der mit dem Fahrrad von Alaska nach Argentinien gefahren ist. Das wollten sie auch erleben. Sie haben Job und Wohnung gekündigt, den Rucksack gegen ein Velo mit Fahrradtaschen eingetauscht und sich nach einer Probetour um den Thuner- und den Brienzersee ins Abenteuer gestürzt. Wie lange sie weg sein würden und was sie erwarten würde, wussten sie nicht. Schliesslich waren sie zwei Jahre lang unterwegs und haben 25000 Kilometer zurückgelegt.

Sie erinnern sich zum Beispiel an eine Warmshowers-Übernachtung in Mexiko bei einer Krankenschwester. Flurina wurde krank und fiel ihn Ohnmacht. Die Frau hat sofort reagiert und sie ins Krankenhaus gebracht – durch einen Hintereingang. «Es war schön, wie sie sich um uns gekümmert hat.» In Kanada haben sie in der Villa bei einem wohlhabenden Schweizer übernachtet, der je ein Drittel des Jahres in Kanada, in der Schweiz und in Israel lebt. Er hatte einen Helikopter vor dem Haus stehen, kam ihnen aber ganz unkompliziert in Latzhosen aus dem Garten entgegen. Da war auch ein spanischer Priester, den sie in Peru getroffen haben. «Er hat uns so herzlich empfangen, als hätte er auf uns gewartet», erzählt Samuel. Am nächsten Tag hätte er eine Messe halten sollen. Es ist ihm aber gelungen, eine Stellvertretung zu finden, sodass er das Paar ein Stück begleiten konnte. Die US-Amerikaner seien unkompliziert, so Flurina. Wenn sie nicht zuhause waren, hätten sie oft die Schlüssel hinterlegt oder haben ihnen für eine Nacht ihr leer stehendes Ferienhaus angeboten. Sie habe auf dieser Reise gelernt, nach Hilfe zu fragen, sagt Flurina. Auch wenn es manchmal Überwindung brauchte. Denn die allermeisten Menschen seien hilfsbereit und unangenehme Begegnungen hätten sie bloss selten erlebt.

Das Schöne an Warmshowers ist, dass man für kurze Zeit Teil des Alltags von jemand anders sein kann. Man sieht, wie andere Menschen leben. Und auch wenn man völlig unterschiedlich ist, so gibt es doch immer eine Gemeinsamkeit: das Velofahren. Irgendwann, sagt Flurina, wurde sie aber müde, immer und immer wieder das Gleiche zu erzählen. Und sie hatte Heimweh. So ging es nach zwei Jahren zurück ins Seeland.

In Nods ist es inzwischen kühl geworden. Ich schlüpfe in mein Zelt und schlafe zu den viertelstündigen Glockenschlägen der Dorfkirche ein. Und freue mich auf die herrliche Fahrt über das Plateau de Diesse und die lange Abfahrt nach Biel, die mir am nächsten Morgen bevorstehen.

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Zelten bei Bürkis

Komfort:     * *
Erlebnis:     * * * *
Lage:         * * * *
Erreichbarkeit:     * * * * *
Preis/Leistung:     * * * * *

Link: www.buerkis.com

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Was ist Warmshowers

Warmshowers ist ein Übernachtungsverzeichnis von und für Reisende, die mit dem Fahrrad unterwegs sind. Der Gastgeber bietet kostenlos eine Dusche und einen Schlafplatz. Sei dies ein Gästebett in der Wohnung oder eine Ecke zum Zelten im Garten. Es ist jedem selbst überlassen, ob er zusätzlich Abendessen und Frühstück anbietet. Wer mitmachen will, erstellt auf der Website der Organisation ein Konto. Online kann man nach Gastgeberinnen suchen. Warmshowers zählt weltweit über 150000 Mitglieder, rund 100000 davon sind aktiv. Am meisten Menschen machen in Europa mit, gefolgt von Nordamerika.

Link: www.warmshowers.org

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