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Veranstaltungsverbot

«Gemeindeversammlungen sind 
vor den Sommerferien kaum realistisch»

Das gesamtschweizerische Veranstaltungsverbot ist zwar vorerst bis zum 19. April befristet. Trotzdem 
ist man im Seeland auch wegen der im Mai und Juni angesetzten Rechnungsversammlungen in Sorge.

Ob die Gemeindeversammlungen zur Abnahme der Rechnung 2019 stattfinden können, ist offen. Bild: Rechnungsversammlung 2018 Aarberg
  • Dossier

Beat Kuhn

Gemäss Anordnung des Bundesrates vom Montag sind bis mindestens zum 19. April sämtliche Veranstaltungen in der Schweiz verboten – und damit auch die Gemeindeversammlungen. Die auf den 6. April angesetzte ausserordentliche Einwohnergemeindeversammlung in Meinisberg darf also definitiv nicht stattfinden. Bei dieser wäre es um die Projektgenehmigung und den Kostenanteil am Ersatz der Heizung im Oberstufenzentrum Orpund gegangen.

Aegerten hätte früh ein Problem

Es muss allerdings damit gerechnet werden, dass die jetzt verfügte «ausserordentliche Lage», der Notstand, über den 19. April hinaus verlängert werden wird. Dann wären auch die ordentlichen Frühlingsgemeindeversammlungen betroffen, die zwingend in allen Gemeinden abgehalten werden müssen, damit die Jahresrechnung 2019 abgenommen werden kann – und die auch noch weitere Traktanden umfassen können.

Am schnellsten ein Problem hätte bei einer Verlängerung der Frist Aegerten. Denn dort ist die Gemeindeversammlung schon zwei Tage danach, am 21. April, vorgesehen. Diese frühe Terminansetzung hat laut Gemeindeverwalter Uli Hess einen bestimmten Grund – beziehungsweise gleich zwei: «Wir haben zwei dringende Geschäfte zu beschliessen, die sonst für längere Zeit blockiert wären.» Der geplante Termin werde nun mal publiziert, jedoch mit dem Hinweis versehen, dass die Gemeindeversammlung abgesagt werden könnte, so Hess.

Kerzers hat seine für den 30. April geplante Rechnungsversammlung vorsorglich schon mal abgesagt. Ein Verschiebedatum ist laut Erich Hirt, Dienstchef Allgemeine Verwaltung, allerdings noch nicht bekannt. In Radelfingen sind alle öffentlichen Anlässe der Gemeinde vorsorglich bis Ende Mai abgesagt, insbesondere die Gemeindeversammlung vom 25. Mai.

Termin einstweilen belassen

Das Veranstaltungsverbot gilt auch für Parlamentsgemeinden wie Lyss, wo die nächste Sitzung des Grossen Gemeinderates am 11. Mai stattfinden soll. Dort gibt man sich optimistisch: «Aktuell gehen wir davon aus, dass auf diesen Zeitpunkt die Massnahmen wieder gelockert werden und wir die Versammlung durchführen können», glaubt Gemeindeschreiber Daniel Strub. Andernfalls müsse man diese wohl verschieben. «Dank der Tatsache, dass wir nur rund sechs Sitzungen im Jahr haben, haben wir dafür aber die nötige Flexibilität.»

Auf der Terminliste habe sie die Gemeindeversammlung zwar am 3. Juni eingetragen, hält Karin Bigler, Gemeindeschreiberin von Scheuren, fest. Sie schliesst aber nicht aus, dass die Versammlung wegen des Coronavirus verschoben werden muss. Ähnlich sieht man es in Seedorf, wo am selben Abend wie in Scheuren getagt werden soll: «Zurzeit planen wir so, wie wenn die Rechnungsversammlung normal stattfinden würde», lässt Gemeindeschreiberin Daniela Weber wissen. Doch werde man sich an die weiteren Massnahmen des Bundes anpassen.

In Brügg ist die Gemeindeversammlung für den 11. Juni geplant. «Ob sie tatsächlich an diesem Termin stattfinden wird, steht aufgrund der aktuellen Situation aber in den Sternen», so Gemeindeschreiber Beat Heuer. Am selben Abend ist der Anlass in Sutz-Lattrigen angesetzt. «Wir haben also noch etwas Zeit», so Gemeindeverwalterin Caroline Streit. Ob die Versammlung in Bellmund wie vorgesehen am 16. Juni über die Bühne geht, darüber wird laut Gemeindeschreiberin Bettina Zahnd «in nächster Zeit entschieden».

Aber auch Verschieben ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Darauf weist nicht zufällig der Gemeindeschreiber von Studen, Oliver Jäggi, hin. Denn dort ist die Gemeindeversammlung für den 15. Juni vorgesehen. Und laut Gemeindeverordnung muss die Vorjahresrechnung den Stimmberechtigten bis spätestens zum 30. Juni zur Genehmigung vorgelegt werden. «Viel später könnte die Gemeindeversammlung also nicht stattfinden», macht Jäggi klar. Und fügt an: «Wenn sich die Situation bis dahin nicht beruhigt hat, werden noch andere Gemeinden ein Problem haben.»

Kappelen schlägt Sondermodus vor

In Kappelen ist die Gemeindeversammlung vom 4. Mai auf später verschoben, «wie alle von der Einwohnergemeinde angesetzten öffentlichen Anlässe vor den Sommerferien», so Gemeindeschreiber Thomas Buchser – der es nicht ausschliesst, dass ein Teil davon völlig ausfällt. Im Auftrag des Kappeler Gemeinderates hat Buchser noch am Montag Rücksprache mit dem Regierungsstatthalteramt Seeland genommen. Es sei kaum realistisch, vor den Sommerferien Gemeindeversammlungen durchführen zu können, fasst Buchser gegenüber dem BT zusammen. Denn: «Man muss immer bedenken, dass man dadurch Risikogruppen kategorisch vom Stimmrecht ausschliessen oder einem wohl unverantwortbaren Gesundheitsrisiko aussetzen würde.»

Laut Buchser hat der Kappeler Gemeinderat angeregt, vorübergehend eine ausserordentliche Beschlussregelung anzuwenden. Denkbar sei zum Beispiel, dass eine Exekutive zur Beschlussfassung ermächtigt werde, die Beschlüsse aber mit Beschwerdemöglichkeit öffentlich publizieren müsse. «Die Bürgerrechte würden dann insofern geschützt, als schon eine einzige Beschwerde die Beschlussfassung auf diesem Wege verhindern könnte», so Buchser. Bei unbestrittenen Geschäften erlaube es diese Regelung jedoch, «trotz der Corona-Problematik die politische Regierungsarbeit bestmöglichst weiterführen zu können».

Dieses Modell solle indessen nur angewendet werden, wenn es entweder unproblematisch sei, etwa bei der Rechnungsgenehmigung, oder aber wegen der Dringlichkeit «zwingend erforderlich». Alle Geschäfte, die für den Bürger von grosser Bedeutung seien und auch verschiebbar seien, solle man hingegen verschieben. «Es ist allerdings auch zu bedenken, dass bei einem allzu langen Beschlussmoratorium infolge nicht durchführbarer Entscheide ein Stau an Geschäften entsteht, der – wenn das alles mal durch ist – ordnungsgemäss verarbeitet werden muss.»

«Nicht in erster Priorität»

Gestern sind die Berner Regierungsstatthalter mit Vertretern des kantonalen Amtes für Gemeinden und Raumordnung (AGR) zusammengekommen. Wie Thomas Gross, stellvertretender Leiter des Regierungsstatthalteramts Seeland, gegenüber dem BT erklärte, hat es sich dabei zwar nicht um eine Krisensitzung gehandelt, sondern um eine reguläre Geschäftsleitungssitzung der Regierungsstatthalter, wie sie mehrmals im Jahr stattfinde. Aufgrund der jüngsten Entwicklungen seien jedoch einige der geplanten Themen zugunsten aktueller Fragen wie etwa dem Veranstaltungsverbot zurückgestellt worden.

Gleichzeitig betonte Gross: «Sicher sind die aufgeworfenen Fragen der Gemeinden berechtigte Anliegen, sie sind aber nicht in erster Priorität zu beantworten.» Zudem gab Gross zu bedenken, dass gewisse Beschlüsse wohl Sache des Regierungsrates seien. «Ich nehme an, in ein paar Tagen werden wir mehr wissen», so Gross.

Bund: «Nur in zwingenden Fällen»

Auch der Bundesrat hat sich gestern mit der Frage der Durchführung von Gemeindeversammlungen befasst. Dabei hat er bekräftigt, dass grundsätzlich auch politische Versammlungen unter das Veranstaltungsverbot fallen. Kantone und Gemeinden hätten zwar das Recht, Ausnahmen von diesem Verbot zu bewilligen, doch sei diese Ausnahmeregelung «so restriktiv wie möglich anzuwenden». Es werde den Kantonen und Gemeinden «ausdrücklich empfohlen, politische Versammlungen nur in zwingenden Fällen zu bewilligen».

Vom Kanton wollte zu diesem Thema gestern Abend niemand Stellung nehmen. Jürg Schertenleib, stellvertretender Generalsekretär der Direktion für Inneres und Justiz, verwies einzig darauf, dass auf der Website der Regierungsstatthalterämter «eine Vorankündigung an die Gemeinden» aufgeschaltet worden sei. Darin wird den Gemeinden angekündigt, dass all ihre Fragen im Zusammenhang mit dem Coronavirus gesammelt, beantwortet und zuhanden aller Gemeinden im Kanton publiziert würden, damit nun einigermassen einheitlich gehandelt werde. Zu diesem Zweck wollen sich die Regierungsstatthalterämter, das AGR und der Verband Bernischer Gemeinden (VBG) regelmässig austauschen und nach einer gemeinsamen Antwort suchen.

Urnengang als Ausweichvariante

Ein gangbarer Weg könnte der Plan B sein, den man in Aegerten neben der möglichen Verschiebung der Gemeindeversammlung hat: «Wir prüfen, ob statt der Versammlung eine Urnenabstimmung durchgeführt werden kann», lässt Gemeindeverwalter Uli Hess wissen, der hofft, dass der Kanton für «schlaue Möglichkeiten» offen ist.

Laut Peter Blaser, ausserordentlicher Regierungsstatthalter-Stellvertreter in Biel, wird im Gemeindegesetz des Kantons Bern tatsächlich die Urnenabstimmung als Ausweichvariante zur Gemeindeversammlung genannt. Im Gesetz steht: «Kann eine Gemeindeversammlung ausnahmsweise nicht unter zumutbaren Verhältnissen durchgeführt werden, ordnet der Regierungsstatthalter auf Ersuchen des Gemeinderates oder von Amtes wegen einen Urnengang an.» Bei der Formulierung dieses Artikels hatte der Gesetzgeber zwar eher befürchtete Störungen der Versammlung oder Ä hnliches vor Augen, aber in Zeiten des Coronavirus sind primär Menschenansammlungen «nicht zumutbar».

Primär briefliche Stimmabgabe

Bleibt die Frage, ob «der Urnengang», also «der Gang an die Urne», denn corona-tauglich ist – schliesslich treffen ja auch da Menschen auf Menschen. Im Prinzip ja, meint Blaser: «Grundsätzlich ist die Durchführung von Urnenabstimmungen und -wahlen vorstellbar, etwa indem die briefliche Stimmabgabe stark propagiert wird und allenfalls mit weniger Personal als sonst ausgezählt wird, auch wenn dies Verzögerungen zur Folge hat.» Mit diesem Thema wird sich insbesondere auch die Gemeinde Grossaffoltern noch einmal befassen müssen. Sie plant nämlich für den 17. Mai eine Urnenabstimmung bezüglich der Schulorganisation.

In Gampelen ist die Gemeindeversammlung übrigens nicht wegen des Coronavirus vom 5. auf den 12. Juni verschoben worden, sondern wegen der «Langen Nacht der Kirchen» am 5. Juni, wie Gemeindeschreiberin Monika Sauter begründet. Punkto Verschieben überlässt die Kirche das Feld also nicht kampflos den viralen Mächten.

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