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Kappelen

Grenzwert um das 22-fache überschritten

In neun von zehn Trinkwasserproben fand die «Rundschau» zu viel von dem Pestizid Chlorothalonil. Kappelen liegt mit einem Höchstwert von 2,2 Mikrogramm an der Spitze. Der Beitrag wird heute Abend ausgestrahlt.

Symbolbild: Pixabay

Georg Humbel und
Brigitte Jeckelmann

Die «Rundschau» des Schweizer Fernsehens hat im Mittelland zehn Trinkwasserproben auf Rückstände des Pestizids Chlorothalonil untersuchen lassen. Resultat: Bei neun von zehn Proben liegen die gemessenen Rückstände über dem gesetzlichen Grenzwert von 0,1 Mikrogramm. Am stärksten belastet war das Trinkwasser der Seeländer Gemeinde Kappelen. Die Probe überschritt den Grenzwert gleich um das 22-fache: 2,2 Mikrogramm pro Liter hat das beauftragte Labor gemessen. Getestet wurde Wasser direkt ab Wasserhahn. So, wie es die Konsumentinnen und Konsumenten täglich trinken.

Ein Schweizer Labor hat die Proben auf die zwei häufigsten Abbauprodukte R417888 und R471811 des Pestizids Chlorothalonil untersucht. Neben Kappelen war das Wasser auch in Neuendorf (SO) und in Hendschiken (AG) besonders stark belastet. Auch in Lyss hat die «Rundschau» Trinkwasser untersucht. Dort war nur der Metabolit R471811 erhöht, der zweite befand sich unterhalb des Grenzbereichs.

Gesundheit nicht in Gefahr

«Das ist ein sehr hoher Wert», sagt der Schaffhauser Kantonschemiker Kurt Seiler zum Kappeler Wasser. Der Wert müsse runterkommen, «aber so schnell werden wir diese Abbauprodukte wohl nicht mehr los». Seiler gilt als der beste Kenner der Chlorothalonil-Problematik. Er betont aber auch: «Es besteht keine Gesundheitsgefährdung. Dieses Wasser kann man bedenkenlos trinken.» Trotzdem sei es wichtig, nun dafür zu sorgen, dass so etwas nicht mehr passieren könne. Denn laut Kurt Seiler verlangt das Lebensmittelrecht qualitativ gutes und gesundes Trinkwasser.

Wenig aussagekräftig

Dass seine Gemeinde die Rangliste der «Rundschau»-Stichprobe anführt, bringt Kappelens Gemeindepräsident Hans-Martin Oetiker (parteilos) nicht aus der Fassung. Auch die Gemeinde lasse regelmässig Messungen sowohl im Quell- als auch im Hahnenwasser in den Haushalten durchführen, sagt Oetiker. Dabei sei der Streubereich riesig. Er reiche von leicht erhöhten Werten bis weit über die erlaubte Grenze hinaus und sei jedesmal wieder anders. Oetiker führt dies einerseits auf die «noch jungen Messmethoden» zurück. Andererseits gebe es auch Schwankungen durch Niederschläge. Er verweist auf den Stichprobencharakter der Messungen der «Rundschau». Ein Wert in einem Teil des verzweigten Netzes sei wenig aussagekräftig. Das Thema Chlorothalonil sei zudem ein Problem des Gemüse produzierenden Landes Schweiz. Kappelen sei exemplarisch, da es mitten im Seeland liegt.

Anschluss bei Aarberg

Die «Rundschau» hat die Messungen Ende Januar durchgeführt. Seither bezieht Kappelen nach Oetikers Angaben einen Teil seines Trinkwassers via Leitungsanschluss von der Wasserversorgung Aarberg. Doch da auch diese Quellen teilweise mit Chlorothalonil belastet seien, habe das die Situation nicht wesentlich verbessert. Zudem könne Aarberg nicht von heute auf morgen ganz Kappelen mit Wasser versorgen. «Wir hatten auf die Schnelle aber keine Alternative parat», sagt der Gemeindepräsident, «auf andere Quellen können wir nicht ausweichen, weil wir nur eine einzige haben». Deshalb habe man Kontakt mit der Seeländischen Wasserversorgung in Worben aufgenommen, obwohl auch diese in der Trockenperiode im April eine belastete Fassung wieder in Betrieb nehmen musste (das BT berichtete).

Eigenes Wasser ist wichtig

Für den Kredit für die Anschlüsse habe das Volk bereits seine Zustimmung gegeben. Doch noch müssten die Stimmbürger die Rahmenbedingungen absegnen. An der Gemeindeversammlung im Frühsommer habe man diese Abstimmung durchführen wollen. Aber wegen der Pandemie fiel diese ins Wasser. Bei einem Ja des Volkes bedeute das wohl, dass man die Fassung in Kappelen stilllegen würde.

Ein heikles und emotionales Thema. Oetiker weiss: Der politische Druck, das eigene Wasser behalten zu wollen, ist stark. Denn nicht wenige Bürgerinnen und Bürger seien der Ansicht: Lieber belastetes Wasser trinken, als kein eigenes haben. Für Oetiker ist aber klar: «Wir setzen alles daran, unseren Einwohnern einwandfreies Trinkwasser anzubieten.» Die Stimmung im Dorf habe wegen der Pestizidproblematik im Wasser bisher nicht gelitten, sagt er. Seit das Thema in aller Munde ist, habe die Gemeinde lediglich vier Anfragen von besorgten Bürgern beantwortet.

Erregt womöglich Krebs

Der Stoff Chlorothalonil gilt als «möglicherweise krebserregend». Deshalb hat der Bund das Pestizid auf den 1. Januar 2020 verboten. Syngenta hat beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde gegen das Verbot eingereicht. Laut Syngenta ist Chlorothalonil «weit weniger krebserregend» als zum Beispiel Sonnenlicht, Alkohol oder rotes Fleisch. Das Verbot des Pestizides sei «nicht nachvollziehbar» und deshalb sei auch der Grenzwert von 0,1 Mikrogramm für die Abbauprodukte im Trinkwasser zu streng. Die im Wasser gemessenen Zerfallsprodukte hätten «keine negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt», so Syngenta.

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