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Schüpfen

«Halb Schüpfen ist mit mir geflogen»

Seit 50 Jahren hebt Pilot Martin Walther regelmässig ab. Das Seeland reichte ihm nach ein paar Jahren aber nicht mehr, weshalb er sich zum Gletscherpiloten ausbilden liess. Er blickt zurück auf ein Leben voller Höhenflüge.

1995 lieferte Martin Walther Würste und «Ghackets» in die Berghütten und brachte die Postkarten der Touristen ins Tal. copyright/zvg

Hannah Frei


Mit dem Flugzeug auf einem Gletscher landen, einem langsam fliessenden Untergrund aus Eis und Schnee, dessen Oberfläche sich durch jede noch so kleine Temperaturschwankung sofort verändern kann. Das war es, diese Herausforderung, weshalb Martin Walther aus Schüpfen 1981 die Ausbildung zum Gletscherpiloten absolvierte. «Auch nach 37 Jahren ist jeder Flug immer noch etwas Neues für mich», sagt der heute 76-Jährige. Der Wind, die Wolken und gar die Schatten machen es für ihn jedes Mal zu etwas Besonderem. In Emotionen ausbrechen, wenn er über seine Leidenschaft spricht, das wäre nicht er. Pragmatisch, bescheiden und zurückhaltend ist der pensionierte Hobbypilot, der von allen «Tinu» genannt wird.
Einen Lieblingsgletscher hat er nicht. «Es sind alle schön», sagt er. Auffallend oft erwähnt er jedoch den Blümlisalpgletscher, als hätte dieser es ihm angetan. Es ist das Glänzen in seinen Augen, die kurzen Momente, wenn seine Mundwinkel nach oben ziehen und er verlegen lächelt, die zeigen, was das Fliegen über den Alpen für ihn bedeutet.


Dass so mancher Schweizer Gletscherpilot beim Landen im Gebirge sein Leben verlor, hat Walther nicht davon abgehalten. «Wenn man mit gesundem Menschenverstand handelt und das Wetter immer im Auge behält, ist das Gletscherfliegen nicht gefährlich.» Verletzt worden sei er nie, obwohl sein eigenes Flugzeug einmal einen Totalschaden erlitten habe.


Der Zusammenprall
Für den Schaden seines Flugzeugs sei nicht er verantwortlich gewesen, sondern ein Fluglehrer, der Walthers Gletscherflugzeug gemietet hatte. Auf dem Rosablanche-Gletscher in den Walliser Alpen sei der Fluglehrer dann bei der Landung mit einem anderen Gletscherflieger zusammengeprallt. Glücklicherweise wurde der Fluglehrer nur leicht verletzt. Das Flugzeug aber, habe sich nicht vom Unfall erholt.
Fliegen gelernt hat Walther genau vor 50 Jahren auf dem damaligen Flugfeld Biel-Bözingen, und ist gleichzeitig auch der Motorfluggruppe Seeland beigetreten. Obwohl Walther das Fliegen über dem Seeland gemocht hat, wurde ihm dies nach einigen Jahren zu langweilig. Und so entschloss er sich 1981, die Zusatzausbildung zum Gletscherpiloten zu absolvieren.


Der Maschinenmechaniker war damals als Lastwagenchauffeur tätig. Und immer, wenn er ein wenig Geld übrig hatte, habe er eine Flugstunde gebucht, für 80 Franken. Und auch die Flugzeugmiete sei nicht gerade günstig gewesen. Deshalb hat er nach seiner Ausbildung auch oft Passagiere mitgenommen, die dafür bezahlt haben. «Halb Schüpfen ist mit mir geflogen», sagt Walther. 1983 hat er sich gar noch zum Fluglehrer für Gletscherpiloten ausbildenlassen und sich ein eigenes Flugzeug gekauft, vom bekannten Gletscherpiloten Ty Rufer. Eine Piper-Super-Cub war es, die dann aber durch den erwähnten Unfall zerstört wurde. Heute mietet er für seine Ausflüge ein Gletscherflugzeug bei der Fluggruppe.


Gletscherflugzeuge unterscheiden sich von aussen nur leicht von normalen Kleinflugzeugen, nämlich anhand der Skiaufsätze unter den Rädern. Was die beiden Flugzeugtypen aber grundlegend unterscheidet, ist die Leistung. Ein Gletscherflugzeug muss in kurzer Zeit landen und starten können, also bremsen und beschleunigen, weshalb diese fast doppelt so viele Pferdestärken haben. «Meines hatte 160 PS», sagt Walther stolz – also etwa so viel, wie der erste Renault Clio Sport.


Die Gefahr: Gletscherspalten
Die grösste Gefahr beim Gletscherfliegen sind laut Walther die Gletscherspalten. Denn diese seien meist schwer zu erkennen, sogar von oben. «Und wenn man auf dem Gletscher gelandet ist, hat man keine Chance mehr, die zwei bis drei Meter grossen Spalten zu entdecken.» Wenn man auf dem Boden aufsetzt, habe man meist nur 100 Meter bis man das Flugzeug wieder wenden muss, um ganz anhalten zu können. Parkiert werde das Flugzeug immer schräg zum Hang. Und Landen könne man auf dem Gletscher nur bergauf. «Man muss einfach alles umgekehrt machen, als beim normalen Start auf Beton oder Gras», sagt er. Um beispielsweise auf dem Flugfeld Biel-Kappelen zu landen, muss man bremsen. Beim Gletscherfliegen hingegen müsse man beim Landen Vollgas geben. «Denn sonst kommt man mit dem Flugzeug nicht den Berg hoch», sagt Walther.


Als Walther mit dem Gletscherfliegen begonnen hat, waren die kleinen Propellerflieger oft das einzige Mittel, um die abgelegenen Alpregionen zu erreichen. So waren Gletscherpiloten bis in die 90er-Jahre für die Bergung und den Transport von schwer verletzten oder toten Berggängern zuständig. Walther war zwar nie als Rettungskraft im Einsatz, aber auch er flog nicht immer nur zum Spass. Manchmal belieferte er auch die Alphütten oberhalb der Gletscher, hauptsächlich mit Hackfleisch, Würsten oder Schnaps.


Sein schlimmster «Unfall», wenn man es denn so nennen möchte, sei ihm bei einer solchen Aktion passiert: «20 Liter Schnaps hätte ich in eine Alphütte bringen sollen.» Um zu verhindern, dass der grosse Behälter auf dem Weg nach oben durch den Druckunterschied zerspringt, habe er vor dem Aufstieg den Draht um den Korken entfernt. Kurz bevor er auf dem Gletscher landete, sei der Korken dann gesprungen. «Und mein Passagier erhielt eine Schnaps-Dusche», sagt Walther. Auch sei ihm einmal ein Sack mit Bratwürsten runter auf das Eis gefallen. «Allzu tragisch war dies aber nicht.» Denn er denkt, dass sich Bergsteiger daran erfreuen konnten und so einen gratis «Znacht» erhielten. Auf dem Eis blieben die Würste auch sicherlich über längere Zeit frisch.


Die Spielwiese schmilzt dahin
Wie sonst kaum ein anderer konnte Walther in den letzten Jahrzehnten den Rückgang der Gletscher von oben beobachten. «Früher musste ich auf der Blüemlisalp noch nicht so weit hinuntergehen, um die Hütte zu erreichen», sagt er. Bei der Konkordiahütte oberhalb des Aletschgletschers beispielsweise konnte man früher direkt vom Gletscher in die Alphütte spazieren, heute muss man zuerst über eine Leiter nach oben klettern.


Durch das Abschmelzen der Gletscher wird das Landegebiet für Walther immer kleiner und gefährlicher. Aber der Gletscherpilot lässt sich davon nicht abhalten, auch mit 76 Jahren noch weiter zu machen. «Jetzt muss ich mich halt auf die hoch gelegenen Gletscher beschränken.» Er hofft jedoch, dass sich das Klima irgendwann wieder ändern wird, sodass auch zukünftig noch Flugbegeisterte das Abenteuer Gletscherfliegen erleben können.

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