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«Ich bin mir vorgekommen wie ein Whiskeyschmuggler in Amerika»

Vor vier Jahren hat Eric Meyer die Bierbrauerei Dear Beer in Lyss gegründet. Dem 42-jährigen Familienvater aus Diessbach gefällt es, dass an diesem Ort die unterschiedlichsten Menschen aufeinandertreffen.

"Ich scheitere immer wieder dara, einen fixen Tagesablauf einzuhalten": Eric Meyer in seiner Brauerein. Bild: Peter Samuel Jaggi
  • Dossier

Aufgezeichnet: Sarah Grandjean

In meine Brauerei kommen Menschen aus den verschiedensten sozialen Schichten: Es kommt vor, dass ein Berufsoffizier im "Vierfrucht-Pyjama" neben einem Punk im Schottenrock und mit Irokesenschnitt Bier trinkt. Hin und wieder kauft sogar die pensionierte Kindergärtnerin meines Sohnes hier ein. das gefällt mir. Bier ist etwas, was die Menschen verbindet.

Das letzte Jahr war schwierig, weil Festivals wie die Biertage Solothurn und die grossen Aufträge, zum Beispiel Weihnachtsgeschenke für Firmen, weggefallen sind. Auch die Gastronomie und die Getränkehändler haben viel bescheidener eingekauft. Hatten sie zuvor eine ganze Palette Bier bestellt, waren es plötzlich nur noch sechs Kisten. Zu Beginn des Lockdowns haben wir einen Heimlieferdienst gestartet. Innerhalb von 24 Stunden waren wir ausverkauft, innerhalb von 48 Stunden hatten wir alles ausgeliefert.

Das Schöne daran ist, dass wir trotz sozialer Distanz näher an unsere Kundinnen und Kunden herangekommen sind. Normalerweise stammten rund zehn Prozent der Bestellungen von Privatkunden, im letzten Jahr waren es sechsmal so viel. Da war viel Solidarität zu spüren. Wir sind den Menschen dankbar, die uns auf diese Weise unterstützt haben. So haben wir uns bis zum Sommer durchgehangelt. Bei meinem ersten Lieferdienst im März bin ich jeweils kaum mehr weggekommen, weil die Leute so viel Redebedarf hatten. Manchmal bin ich noch um 2 Uhr mit dem Auto voll Bier durch das menschenleere Seeland gefahren. Da bin ich mir vorgekommen wie ein Whiskeyschmuggler in Amerika.

Die meisten Bestellungen kamen aus der Region. Aber wir haben auch ein paar treue Kunden im Aargau und in Luzern. Manchmal arbeitet Lukas Bürgi in seiner Freizeit hier mit, er ist Co-Pilot bei der Swiss. Als er im Frühling nicht fliegen konnte, hat er für seine Pilotenkollegen eine Liefertour organisiert. Da sind wir bis nach Winterthur und ins Zürcher Oberland gefahren.

Ab dem Sommer waren Heimlieferungen weniger gefragt. Im Herbst habe ich aus finanziellen Gründen wieder begonnen, Teilzeit auf meinem Job als Informatikingenieur zu arbeiten. Dann kam zum Glück das Weihnachtsgeschäft, das gut gelaufen ist.

Bier hat mich als Jugendlicher angefangen zu interessieren. Damals war es einfach ein Ausgangsgetränk, da hat natürlich auch die Menge begeistert. Vor elf Jahren war ich in Amerika, um Angewandte Kunst zu studieren. Dort habe ich die erste Craft-Beer-Welle miterlebt und fühlte mich betrogen von den hiesigen Bieren. Die Schweiz steckte damals noch in Kinderschuhen, was das Brauen interessanter Biere angeht. Die meisten Brauereien haben einfach deutsche Biere produziert. Die Vielfalt, wie wir sie heute kennen, ist erst ab 2010 entstanden. Ich habe dann einen Braukurs gemacht, da hat mich die Materie gepackt und ich habe zuhause angefangen zu experimentieren. Bei Festen ist mein selbst gemachtes Bier gut angekommen – wobei Freibier natürlich immer das beste Bier der Welt ist.

Vor vier Jahren habe ich zusammen mit Yanik Botta Dear Beer gegründet. Die Idee war, hobbymässig ein- bis zweimal im Monat zu brauen. Im ersten Jahr haben wir ‹süferli› gestartet und dann viermal mehr produziert als ursprünglich geplant, das waren rund 10 000 Liter. Dass ich irgendwann eine grosse Brauerei haben würde, von der ich leben kann, hätte ich damals nie gedacht.

Im zweiten Jahr hat Yanik Botta entschieden, nicht mehr an der Front mitzuarbeiten. Es gab zwischen uns ein unternehmerisches Ungleichgewicht. Ich konnte mehr Zeit in die Brauerei stecken als er, da ich daneben selbstständig gearbeitet habe. Ausserdem war ich tiefer in der Biermaterie. Eine Zeit lang hat er weiterhin die Buchhaltung gemacht, vor eineinhalb Jahren ist er ganz ausgestiegen.

Im dritten Jahr hat meine Frau Andrea angefangen, mich im Verkauf zu unterstützen. Das lief so gut, dass ich mich entschieden habe, meinen Job zu kündigen und 2020 ganz auf die Brauerei zu setzen. Im Rückblick war das gut, denn sonst wären die Lieferdienste nicht möglich gewesen. Nun bin ich gespannt, was dieses Jahr bringen wird. Was wird passieren, wenn Feste wieder möglich sind, wenn man im Restaurant auch mal länger sitzen bleibt und noch ein zweites und drittes Bier trinkt? Das wird entscheiden, wie es für uns weitergeht. Mein Ziel ist ein regionaler Familienbetrieb, von dem ich und meine Familie leben können.

Unter der Woche bin ich praktisch jeden Tag hier, wenn ich nicht gerade am Liefern bin. Ich scheitere immer wieder daran, einen fixen Tagesablauf einzuhalten. Im Moment ist es schwierig, überhaupt etwas zu planen, alles ist sehr kurzfristig geworden. Die Kunden bestellen nach Bedarf, manchmal nur ein paar Flaschen, weil sie ja nicht wissen, ob sie vielleicht in der nächsten Woche schon wieder schliessen müssen. Fest einplanen muss ich hingegen die Produktionstage. Den Sud zu machen dauert etwa zehn Stunden, das Abfüllen in Flaschen einen halben Tag. Durchschnittlich braucht das Bier 14 Tage, bis es verkauft werden kann.

Das Schöne am letzten Jahr war, dass ich kreativ sein konnte. Ich habe 30 neue Biere gebraut. Mein Highlight ist das White Stout, ein helles Bier, das wie ein dunkles schmeckt. Ich habe das gemacht, weil ich gemerkt habe, dass fast niemand dunkles Bier mag, aber praktisch alle Kaffee mögen. Deshalb habe ich die Röstaromen nicht durch das Malz, sondern durch die Kaffeebohne reingebracht. Das ist supergut angekommen. Ausserdem habe ich ein Bier mit Gin, Koriander und Orangenschalen gebraut, und ich habe das allererste Bier, das ich je gemacht habe, überarbeitet und neu gebraut.

Ich trinke meine eigenen Biere gerne, oft aber auch zur Qualitätskontrolle. Sonst trinke ich häufig ‹fremde› Biere. Unter den Brauereien schenkt man einander viel, und wenn ich etwas in einen Bierladen liefere und mich dort ein Bier anlacht, dann kaufe ich mir das. Ich selbst habe kein Lieblingsbier. Es kommt immer darauf an, zu welchem Gericht und in welcher Situation ich es trinke. An einem heissen Sommertag kann auch mal ein leichtes, gelungenes Lager gegen den Durst das Beste sein.

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