Sie sind hier

Abo

Blasmusik

«Ich finde Blasmusik eben supercool. Fast cooler als alles andere»

Der 29-jährige Seeländer Musiker und Komponist Cedric Fuhrer hat mit dem Stück «Parnassius Apollo» den Kompositionswettbewerb für das diesjährige Bernische Kantonal-Musikfest in Thun gewonnen. Zum Stück inspirierte ihn sein Nebenjob am Papiliorama Kerzers. Auch seine Begeisterung für Bergsteiger Ueli Steck hat er in Klänge umgewandelt.

Cedric Fuhrer hat andauernd Musik im Kopf. Für eine neue Komposition erstellt er am Klavier erste Skizzen. Bild: Susanne Goldschmid

Interview: Andrea Butorin

Cedric Fuhrer, wie entsteht neue Musik?
Cedric Fuhrer:Musik entsteht eigentlich andauernd. Ständig kommen mir Ideen für Melodien. Ich singe sie in mein Mobiltelefon oder halte sie in meinem Notizbuch fest, das ich meistens bei mir habe. Aber bis daraus ein Stück entsteht, dauert es länger. Erst setze ich mich ans Klavier und erstelle Skizzen, und daraus entsteht vereinfacht gesagt ein Stück. Was aber neue Musik betrifft:Das ist schwierig. Man kann fast nichts Neues mehr erfinden. Alles wurde schon einmal geschrieben, jedes Instrument schon einmal eingesetzt. Gerade in der Blasmusik sind die Möglichkeiten aufgrund der Besetzung ein Stück weit limitiert. Man muss also einen Weg finden, damit die Musiker und Zuhörer weder denken:«Nicht schon wieder so etwas!», noch:«Jesses Gott, das kann man nicht hören». Ich will modern sein, aber nicht so, dass es niemand mehr spielen und hören will.

In den Partituren Ihrer Kompositionen beschreiben Sie jeweils, was Sie sich unter dem Stück vorstellen. Ihr neuestes Werk «Parnassius Apollo» handelt vom bedrohten Apollofalter. Erst fliegt er majestätisch in den Alpen umher, dann leidet er unter der Sonne und der Dürre;plötzlich brennt es, Alp und Wald kommen zu Schaden. Doch der Falter überlebt, es kommt zum Happy End. Wieso ist es für Sie wichtig, zum Musikstück eine Geschichte zu liefern?
Nicht jedes Stück braucht eine Geschichte. Ein Aufgabenstück ist für die Musikantinnen und Musikanten einfacher nachzuvollziehen, wenn eine Geschichte dahintersteckt (so wird das Pflichtstück bei Musikwettbewerben genannt, das alle Vereine derselben Stärkeklasse spielen;im Gegensatz zum Selbstwahlstück, die Red.).

Nach der «Lepidoptera-Suite» ist «Parnassius Apollo» schon das zweite Stück, das Sie Schmetterlingen widmen. Woher kommt Ihre Passion für die Insekten?
Das liegt an meinem Nebenjob als Zoopädagoge im Papiliorama in Kerzers. Vor meiner Sekundarlehrerausbildung absolvierte ich das Grundstudium in Biologie. Eine Musikkollegin vermittelte mir die Stelle, die eine Schnittstelle zwischen Biologie und Pädagogik darstellt. Ich wollte schon lange mal ein Stück über Schmetterlinge machen:Es gibt einerseits grosse, schwerfällige, andererseits die kleinen, filigranen, das lässt sich gut in Musik umsetzen.

Wie passiert diese Umsetzung genau?
Erst mal bilde ich die Struktur des Stücks, ähnlich einem Architekten, der einen Plan zeichnet. Ich halte fest, was ins Stück gehört, was sein Ziel ist und wie es aufgebaut ist. Bei «Parnassius Apollo» gibt es ein viertaktiges Motiv, dass sich durch das ganze Stück hindurch zieht, mal offensichtlich, mal versteckt. Am Anfang klingt es majestätisch, dann wechselt die Stimmung, es wird gefährlich, ehe es sich wieder auflöst.

Die Musiker müssen bei «Parnassius Apollo» einige Geräusche wie Feuer oder Wind imitieren. Experimentiert!», schreiben Sie in der Partitur. Zudem geben Sie keine genauen Tempoangaben an. Fürchten Sie nicht, diese Offenheit könnte die Vereine überfordern, Angst auslösen, es «falsch» zu machen?
Die Effekte sind ausreichend präzise beschrieben, und doch bleibt noch genügend Spielraum, damit es nicht wie ein Diktat klingt. Was Tempoangaben angeht:Ich finde, die sollten nicht sakrosankt sein. Es gibt Juroren, die es kritisieren, wenn das Tempo nicht exakt eingehalten wird. Dabei kann es Sinn machen, eine Passage langsamer oder schneller zu spielen, als es der Komponist vorgibt. Kommt hinzu:Gerade in der 4. Klasse gibt es schon Bands, die Tempo 144 vielleicht nicht hinbekommen. Es sollte deshalb kein Totschlagkriterium sein.

Ein weiteres neues Stück von Ihnen heisst «Beyond all summits» und wurde für Brass Bands komponiert. Darin äussern Sie Ihre Bewunderung für Ueli Steck. Was fasziniert Sie am verstorbenen Extrembergsteiger?
Ich würde sehr gern mal auf einen Berg raufkraxeln, doch ich habe Höhenangst. Sieht man Bilder von Steck beim Klettern, dann denkt man sich:«Jesses Gott, wie kann der bloss!» Dabei hat er seine Touren jeweils akribisch und zum Teil jahrelang geplant und vorbereitet. Er sagte, er sei eigentlich ein ängstlicher Mensch und brauche die Vorbereitung, um die Angst abzulegen. Das ist faszinierend.

Darf man das, das Leben und Sterben eines Menschen vertonen, der vor relativ kurzer Zeit noch unter uns weilte?
Das habe ich mich auch gefragt. Man hört im Stück seinen Herzschlag, das hat etwas Makaberes. Aber ich denke, mich aus den richtigen Gründen dafür entschieden zu haben, das Stück zu schreiben. Obwohl klar war, dass er einen Hochrisikoberuf ausübt, hat mich sein Absturz schockiert. Ich bewunderte ihn und trauerte, ohne ihn gekannt zu haben. Der Vorteil der Musik ist:Ich schreibe keine Biografie, sondern bleibe vage und persönlich gefärbt. Somit kann mir niemand etwas vorwerfen.

Bild: Susanne Goldschmid


Welche Komponisten inspirieren Sie?
Meine Lieblingskomponisten in der Blasmusik sind Thomas Doss, Philip Wilby, Edward Gregson oder Simon Dobson. Aber für mich ist es wichtig, den Horizont offen zu behalten. Ich höre beispielsweise auch gern Funk oder World Music, afrikanische Chöre zum Beispiel.

Sie selbst haben sich als Komponist bereits einen Namen gemacht, gewinnen Preise und kommen bei Wettbewerben zum Zug. Wie klingt ein typischer Fuhrer?
Ich habe schon einen gewissen Stil. Es gibt Elemente, die überall drin sind, ohne das vorher geplant zu haben. Sehr wilde, atonale Sachen mache ich nicht. Aber Cluster-Akkorde, also Tonschichtungen anstelle von normalen Dreiklängen, finde ich extrem cool.

Also Akkorde mit Störenfrieden drin.
Genau. Und da ich vom Schlagzeug her komme, ist bei mir vieles sehr rhythmisch;die schnellen Teile müssen grooven. Wenn ein Stück keinen Puls mehr hat, wird es sehr schwierig zum Zuhören. Eigentlich müssten aber die Zuhörer sagen, wie ein typischer Fuhrer klingt. Aber vermutlich habe ich dafür noch etwas gar wenig komponiert.

Was ist das für ein Gefühl, das eigene Stück zum ersten Mal zu hören?
Eigentlich ein schönes, allerdings muss ich mich stets dazu zwingen, das Hirn abzuschalten. Am Anfang bin ich sehr angespannt und denke dauernd, wo ich was hätte anders schreiben sollen. Auch die Reaktionen der Zuhörer nehme ich gespannt wahr. Aber an einem Wettbewerb, wo mehrere Bands nacheinander das Stück spielen, entspanne ich mich spätestens ab der fünften Band und geniesse es.

Es gibt zahlreiche Schweizer Blasmusik-Komponisten. Ist der Markt dafür nicht etwas zu klein?
Ja und nein. Früher war ein Stück ein Hit, wenn es sich 1000 Mal verkauft hatte. Heute ist das bei 100 Verkäufen der Fall. Dank der modernen Kompositionsprogramme schreibt schnell mal jemand ein Stück. Aber bei der qualitativ hochwertigen Musik ist der Markt immer noch relativ klein. Doch leider kommen oft die gleichen Komponisten zum Zug. Will eine Band ein Stück komponieren lassen, dann denken sie zuerst an die bekannten Schweizer Komponisten wie Mario Bürki. Die Wettbewerbe, bei denen ich Preisträger wurde, helfen mir deshalb enorm. Vielleicht denken die Bands nun auch mal an den Fuhrer.

Sie waren einst der jüngste Dirigent eines Blasmusikvereins im Seeland. Mit welchen Gefühlen standen Sie damals zum ersten Mal vor der Musikgesellschaft Ins-Mörigen?
Beim Probedirigieren war ich unendlich nervös, ich bin fast ohnmächtig geworden. So nervös war ich noch nie in meinem Leben und werde es wohl auch nie mehr sein. Ich hatte ja keine Ahnung vom Dirigieren. Zwar hatte ich vorher viele Dirigenten beobachtet und auch schon Registerproben geleitet, aber dafür braucht man abgesehen vom Taktschlagen nicht viele Fähigkeiten. Zum Glück hatten wir damals erst das Gespräch und dann das Probedirigieren. Da ich mich beim Sprechen relativ wohl fühlte, konnte ich etwas runterfahren.

Weshalb wollten Sie denn überhaupt Dirigent werden?
Als Schlagzeuger betrachtete ich meine Möglichkeiten, mich musikalisch einzubringen, als begrenzt. Manchmal, wenn die Band einen Choral oder ein langsames Stück ohne viel Schlagzeug spielte, wäre ich auch gern Teil davon gewesen. Und so ist Dirigent zu werden der naheliegendste Schritt:Man kann selbst bestimmen, wie etwas zu spielen und zu interpretieren ist. Mein Bruder Marc, der die Musikgesellschaft Wasen dirigiert, hat mich dazu motiviert. Als mich unabhängig davon auch noch der Schlagzeuger und Dirigent Stefan Kurzo darauf ansprach und mir empfahl, mich bei der frei werdenden Stelle bei der Musikgesellschaft Ins-Mörigen zu bewerben, sah ich das als Zeichen und reichte die Bewerbung ein. Heute denke ich:Ich war blauäugig. Keine Ahnung, was mir damals das Selbstvertrauen gegeben hat.

Inzwischen sind Sie nicht mehr der Jüngste im Seeland, zudem gibt es eine ganze Reihe junger Berufskollegen. Was macht diesen Beruf so attraktiv?
Für Musikstudenten ist es praktisch, so Geld zu verdienen, weil man abends arbeiten kann. Und vielleicht sahen die anderen Vereine, dass es mit einem Jungen funktioniert; dass einer nicht 30 Jahre Erfahrung braucht, um ein guter Dirigent zu sein. Ein Junger bringt neue Inputs und ist oft auch sehr gut musikalisch ausgebildet. Ich bin jedenfalls immer noch sehr dankbar, dass ich diese Chance erhalten habe. Das hat mein Leben im positiven Sinn ziemlich auf den Kopf gestellt.

Weshalb künden Sie Ihr Engagement bei Ins-Mörigen nach acht Jahren?
Ich bin etwas paranoid und habe Angst, den richtigen Zeitpunkt zu verpassen. Lieber gehe ich, wenn das alle schade finden und es auch mich reut. Ich versuche ständig, mich neu zu erfinden, aber nach einer gewissen Zeit wird das schwierig. Das Engagement bei Buckten behalte ich, und derzeit bewerbe ich mich wieder auf freie Stellen, habe aber keinen Stress und warte auf eine günstige Gelegenheit.

Ihr Bruder Marc Fuhrer ist wie erwähnt Dirigent, und Ihrem Grossvater Hermann haben Sie zum 80. Geburtstag den Marsch «Le Porte-drapeau», also «der Fähnrich» gewidmet. Ihre musikalische Laufbahn war also quasi vorbestimmt?
Es war vor allem mein Bruder, der mich zur Musik brachte. Ich spielte ein Instrument, weil auch er eins spielte. Er spielte Es-Horn bei der Musikgesellschaft Detligen, und als diese einen Schlagzeuger suchten, stiess ich dazu.

Als Schlagzeuger haben Sie es in eine Höchstklasse-Band geschafft. Spielen Sie heute nicht mehr?
Ich würde gern wieder spielen, aber zeitlich ist es fast unmöglich. Spielen ist das eine, aber das Üben ... Höchstklasse werde ich sicher nicht mehr spielen. Wenn schon, dann in einer Band, für die ich nicht allzu viel üben müsste.

Apropos Band:Viele Schlagzeuger spielen lieber in einer Band, weil sie das cooler finden als Blasmusik.
Nun, ich finde Blasmusik eben supercool. Fast cooler als alles andere. Zudem war ich nie ein moderner Schlagzeuger, der am Set sass. Da lagen nicht meine Stärken, sondern in der Orchester-Perkussion. Und die gibts eben nicht in einer Band.

Welche Ziele haben Sie als Komponist?
Ich habe noch viele Ideen, die ich umsetzen möchte. Schön wäre, mal am europäischen Brass Band Contest oder an einem Höchstklasse-Wettbewerb eine Auftragskomposition zu erhalten. Oder etwas Grösseres zu schreiben, zum Beispiel ein Stück, das 40 Minuten dauert. Oder wenn ein Stück von mir in der Royal Albert Hall in London gespielt würde.

Der Blasmusik werden Sie also treu bleiben?
Auf jeden Fall. Klar träumt jeder Komponist davon, mal etwas für ein Symphonieorchester zu schreiben. Das habe ich schon gemacht, aber bislang bloss für die Schublade. Kammermusik wäre auch interessant. Aber meine Hauptrichtung wird die Blasmusik bleiben. Da komme ich her.

***

Zur Person
Cedric Fuhrer ist 29 Jahre alt. Er stammt aus Detligen und lebt mit seiner Frau in Kallnach.
Als Schlagzeuger spielte er in der Musikgesellschaft Detligen und schaffte es 2006 in die Nationale Jugend Brass Band sowie in die Oberaargauer Brass Band (Höchstklasse).
Im Rahmen der Ausbildung zum Sekundarschullehrer besuchte er Dirigierunterricht. Es folgten Kurse und Workshops bei namhaftenDirigentinnen und Dirigenten.
2011 übernahm er 21-jährig die Direktion der Musikgesellschaft Ins-Mörigen, die er dieses Jahr abgeben wird. Er leitet zudem den Musikverein Buckten (BL)sowie das Spiel TerReg 2 der Schweizer Militärmusik.
Mit seinen Kompositionen «At Africa’s Edge», «Mastermind 2.0» und «Lepidoptera-Suite» wurde er bei diversen Kompositionswettbewerben ausgezeichnet.
Sein neuestes Werk «Parnassius Apollo» wurde als Wettbewerbstück für das Bernische Kantonal-Musikfest in Thun vom Juni sowie für das Walliser und Genfer Kantonale in der 4. Klasse Harmonie und Brass Band in Auftrag gegeben.

Nachrichten zu Seeland »