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Seedorf

«Ich weiss nie, wie der Tag anfängt 
und wie er aufhört»

Die Seedorferin Beatrice Simon (BDP) ist seit zehn Jahren Finanzdirektorin des Kantons Bern. Was sie als Hauptgrund 
für die Untervertretung der Frauen in Kaderfunktionen sieht und warum der Lockdown für ihren Alltag auch sein Gutes hatte.

Copyright: Raphael Schaefer / Bieler Tagblatt
  • Dossier

Aufgezeichnet: Beat Kuhn

In die Politik gekommen bin ich wie die Jungfrau zum Kind: Ich wurde von der SVP angefragt, ob ich mich für den Gemeinderat zur Verfügung stellen würde, sie bräuchten noch eine Frau. Nach acht Jahren als Mitglied und sieben Jahren als Präsidentin des Gemeinderates wurde ich 2010 in den Regierungsrat gewählt. Finanzdirektorin wurde ich, weil nur diese Direktion frei war - aber heute soll keiner versuchen, sie mir wegzunehmen! Statt der 14 Millionen Franken in Seedorf hatte ich auf einen Schlag 12 Milliarden Franken Budget.

Die Finanzdirektion redet in allen Direktionen mit, weil es für alles Geld braucht. Darum machen wir pro Jahr etwa 1000 Mitberichte für die anderen Direktionen. Wie viel Geld wofür ausgegeben werden darf, legt aber immer der Gesamtregierungsrat fest, teils sogar der Grosse Rat. Vor den Grossratssessionen muss man die traktandierten Geschäfte vorbereiten und dann natürlich auch im Rat präsent sein. Weiter muss ich Fachreferate bei Organisationen halten. Und wenn man Regierungspräsidentin ist, kommen noch ganz viele Repräsentationspflichten hinzu.

Intensiv ist die Vorbereitung auf die jeweils 60 bis 70 Traktanden an der wöchentlichen Regierungsratssitzung vom Mittwoch. Dafür betreibe ich jeweils am Wochenende davor Aktenstudium. Parteipolitik spielt an den Sitzungen keine allzu grosse Rolle, denn wir müssen Sachprobleme lösen. Wenn 
ein Mäuschen anwesend wäre, würde es nicht auf Anhieb erkennen können, wer welcher Partei angehört. Ausser am Mittwoch weiss ich eigentlich nie, wie der Tag anfängt und wie er aufhört – das macht das Amt spannend. Anfangs habe ich die Arbeitszeit aufgeschrieben und kam auf 70 Stunden. Seither will ich es gar nicht mehr 
so genau wissen.

Für die Umstellung auf Homeoffice und Telefonkonferenzen kam es uns 
in der Finanzdirektion zugute, dass wir schon länger darauf hingearbeitet hatten, dies technisch möglich zu machen. Insgesamt haben über 10 000 Mitarbeitende der kantonalen Verwaltung innert einer Woche auf Homeoffice umstellen können.

Ein Journalist sagte mir einmal, ich würde wie ein Dieselmotor wirken, sei wahrscheinlich jemand, der sich nie aufrege. Aber das täuscht. Ich rege mich sehr wohl manchmal auf. Aber wenn man sich aufregt, hat man selten gute Ideen. Man sollte versuchen, diese Energie umzulenken, wie beim Judo. Ich pflege solche Herausforderungen auch als Trainingseinheiten zu bezeichnen.

Dünnhäutig darf man in meinem Job nicht sein. Aber wenn meine Töchter für ein Verhalten von mir kritisiert 
werden, wie es geschehen ist, kann ich 
unangenehm werden. Unsere Töchter hatten es eh nicht immer leicht: Der Vater Lehrer und die Mutter Gemeindepräsidentin … Heute sind sie aber stolz auf mich. Seit Kurzem habe ich eine Enkelin. Ich habe für sie allerdings nicht so viel Zeit, wie ich möchte. Ich habe überhaupt für wenig ausserhalb meines Amtes Zeit. Im Lockdown 
wurde mir bewusst, dass meine Agenda stark von Anlässen bestimmt wird, an denen ich etwa eine Rede halten muss. Das fiel alles weg, und plötzlich hatte ich mehr Zeit.

An den Wochenenden besuche ich oft volkstümliche Anlässe wie Musik- oder Schwingfeste. Das ist für mich kein Muss, sondern Erholung. Ich finde, dass das Volk Anrecht darauf hat, Regierungsmitglieder zu treffen. Ich werde an den Anlässen dann jeweils schon als Regierungsrätin wahrgenommen. Aber die Hemmschwelle, mich auch mal auf ein ernsteres Thema anzusprechen, ist tiefer als sonst, insbesondere, wenn ich auch noch meine Tracht trage. Politiker haben ja keinen guten Ruf, etwa weil sie Wahlversprechen oft nicht halten. Ich selbst habe darum gar nie Wahlversprechen abgegeben, denn kein Politiker kann allein entscheiden. Ich bekomme aber auch viel Lob und werde als Politikerin zum Anfassen gesehen.

Ganz wichtig ist mir Respekt: Jeder soll andere so behandeln, wie er selbst behandelt werde möchte. Wenn das fehlt, bin ich empfindlich und kann deutlich werden. Ich finde, früher ist man in der Politik respektvoller miteinander umgegangen. Ich erhalte sogar Briefe mit persönlichen Beleidigungen, die sehr oft anonym sind. Unser Haus wurde auch schon mit einem Hakenkreuz besprayt.

Ich hätte gerne mehr Frauen im 
Kader, aber es melden sich kaum welche. Frauen trauen sich oft zu wenig zu. Vielleicht liegt das auch in den Genen: Meinen Töchtern habe ich immer gepredigt, sie müssten mutig sein. Die eine der beiden fühlte sich einmal von einer ausgeschriebenen Stelle angesprochen, bewarb sich dann aber doch nicht, weil sie nicht alle verlangten 
Voraussetzungen erfüllte. Da fand ich, ich habe als Vorbild versagt.

Wenn man als Frau in einer Führungsposition durchgreift, heisst es schnell: «Die hat Haare auf den Zähnen.» Aber wenn man in angespannten Situationen nichts unternimmt, wird 
es nicht besser. Man kommt aber nicht schneller zum Ziel, wenn man laut wird. Mit meinem Führungsstil versuche ich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Entscheiden einzubeziehen.

Wichtig ist mir in der Politik ausserdem, dass Humor Platz hat. Nicht dass ich die Politik nicht ernstnehmen würde, aber nach meiner Erfahrung findet man eher Lösungen, wenn zwischendurch auch mal gelacht wird. Lachen tut einem gut. Und das Leben ist einfacher, wenn man auch mal ein Lächeln auf den Lippen hat.

 

Beliebtestes Mitglied 
des Regierungsrates

  • Am 21. Dezember 1960 als Stadtkind in Bern geboren, wie sie sagt, absolvierte Beatrice Simon-Jungi das KV und arbeitete in den unterschiedlichsten Branchen und Betrieben, vom Handel über Innenarchitektur bis zum Gerüstbau. Durch die Heirat mit Helmut Simon kam sie 1982 in ihre heutige Wohngemeinde Seedorf, wo ihr Mann auch Lehrer ist. Die beiden Töchter sind 32 und 29 Jahre alt. Vor einem Jahr ist sie erstmals Grossmutter 
geworden.
  • 1995 wurde Beatrice Simon für die SVP in den Gemeinderat gewählt, 2003 als erste Frau ins Gemeindepräsidium. 2006 erfolgte ihre Wahl in den Grossen Rat. 2008 wählte die SVP sie zur Vizefraktionspräsidentin. Im selben Jahr wechselte sie aber in die neugegründete BDP, deren Kantonalpräsidentin sie wurde. 2010 wurde sie in die Berner Regierung gewählt, wo sie die Finanzdirektion übernahm. 2014 und 2018
ist sie je mit der höchsten Stimmenzahl wiedergewählt worden. bk

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