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«Ich würde früher durchgreifen»

Nach sechs Jahren im Lysser Gemeinderat wurde Jürg Michel (SVP) abgewählt. Er spricht über Fahrende, die Rolle der Verwaltung und sagt, was er rückblickend anders machen würde. Der Politik kehrt der 70-Jährige aber noch nicht den Rücken.

Rechnete damit, abgewählt zu werden: Jürg Michel in der DLC-Garage in Lyss. Bild: Matthias Käser
Interview: Sarah Grandjean
 
Jürg Michel, Sie sind 2015 kurzfristig für Werner Arn in den Gemeinderat nachgerückt. Sie haben das Ressort Sicherheit und Liegenschaften übernommen, nicht eben das beliebteste Ressort …
 
Jürg Michel: … für mich schon.
 
Warum?
 
Weil man etwas für die Bevölkerung machen kann. In dem Ressort sind die Einwohnerkontrolle, der Friedhof, das Gemeindepolizeiwesen und das Gewerbe drin. Diese Themen waren mir nah.
 
Wie war für Sie die Anfangszeit im Gemeinderat?
 
Da ich praktisch von einem Tag auf den anderen nachgerückt bin, war ich unvorbereitet. Ich wurde ins kalte Wasser geworfen. Aber die anderen Gemeinderäte haben mich stets unterstützt – im Gegensatz zur Verwaltung. Die war nicht glücklich darüber, dass ich in den Gemeinderat gekommen bin. 
 
Drei Mitglieder der Abteilung Sicherheit und Liegenschaften haben innerhalb kürzester Zeit gekündigt.
 
Es war keine schöne Zeit, aber ich bin hart im Nehmen. Ich bin offen und sage die Dinge gerade heraus. Das ist manchmal verletzend. Aber ich kann sie nicht in mich hineinfressen. Hingegen spreche ich zu selten an, wenn jemand sehr gut ist. Ja, diesen Vorwurf kann man mir machen.
 
Waren Sie zu direkt?
 
Nur, wo es zum Wohle der Gemeinde war. Ich sehe die Verwaltung als Dienstleister für die Bevölkerung. Wer nach Lyss oder von Lyss wegzieht, hat keine Wahl: Der muss sich auf der Gemeindeschreiberei an- oder abmelden. Dann hat er das Recht, zuvorkommend und kompetent bedient zu werden.
 
Wenn Sie zurückblicken: Welches Projekt hat Ihnen während dieser sechs Jahre besonders Freude bereitet?
 
Da gibt es mehrere. Zum Beispiel die Sanierung des Friedhofs: Wir haben einen Teil des alten Friedhofs aufgehoben und zu günstigen Bedingungen eine wunderschöne neue Anlage gemacht. Der Feuerwehr hat man einen Rahmenkredit gesprochen, der ihr Handlungsspielraum gab. Ich finde gut, dass man die Digitalisierung moderat eingeführt hat, damit auch die älteren Semester damit klar kommen. So kann man heute sowohl mit dem Papier als auch mit dem Handy auf die Verwaltung kommen. Ich hatte aber auch an kleinen Dingen Freude. Wenn aus der Bevölkerung positive Rückmeldungen kamen. Oder wenn sich Mitarbeitende der Verwaltung bei mir bedankt und mir das Gefühl gegeben haben: Wir sind froh, dass wir dich haben. 
 
Was war die grösste Herausforderung?
 
Die Abteilungsleitung. Ich habe die falschen Leute ausgewählt, als es darum ging, die Stelle neu zu besetzen. Ich habe mich auf externe Beratungen verlassen statt auf mein Bauchgefühl. Glücklicherweise ist nun die Abteilung seit einem halben Jahr personell top besetzt.
 
Was würden Sie heute anders machen?
 
Ich würde früher durchgreifen und dafür in Kauf nehmen, dass es einen personellen Eklat gibt. Als ich begonnen habe, wurde ich gefragt, ob ich jetzt bohren, laden und sprengen wolle. Das wollte ich nicht, da hat bei mir die soziale Ader durchgeschlagen. Aber rückblickend denke ich, dass es vielleicht besser gewesen wäre.
 
Im Sommer 2016 haben Sie mit der Aussage «Wenn man die Fahrenden nicht vom Sehen her erkennt, dann spätestens mit der Nase» für Aufsehen gesorgt. Sie wurden mehrmals angezeigt.
 
Ich hatte fünf Anzeigen am Hals, musste wegen Rassismus zur Einvernahme und wurde von den Medien als Sensation hingestellt. Die Geschichte ging bis in den «Sonntagsblick». Als das Verfahren nach zwei Jahren eingestellt wurde, kam aber praktisch nichts mehr in der Zeitung.
 
Sie fühlten sich unfair behandelt?
 
Ja. Ich stand moralisch mit dem Rücken zur Wand. Ich sage übrigens heute noch Zigeuner, denn man hat ihnen nie anders gesagt. Aber ich bin kein Rassist. Wir hatten diese Leute mehrmals in Lyss und ich habe mit ihnen verhandelt. Ich habe sie respektiert als Personen. Aber ich habe ihnen auch gesagt: Ihr müsst euch an unsere Gesetze halten wie alle anderen auch. Mir sind der Mensch und die Sache wichtig, Farbe und Herkunft spielen mir keine Rolle. Nebenbei bemerkt bin ich seit über 30 Jahren Freiwillige Beistandsperson für die Kesb und schaue zu Menschen, denen es weniger gut geht.
 
Und wie stehen Sie heute zu Ihrer Aussage?
 
Sie wurde aus dem Zusammenhang gerissen. Weil ich bei der SVP bin, hiess es, ich mache Nazi-Vergleiche. Aber ich war mehrmals auf diesen Plätzen, und wenn diese Leute ihre Geschäfte auf dem Boden verrichten, stinkt es fürchterlich. Ich habe aber nicht gesagt, es stinke, ich habe gesagt, man erkenne sie mit der Nase. 
 
Kritisiert wurden Sie von Parlamentsmitgliedern auch, weil es so lange gedauert habe, bis der Sport in der Behördenstruktur verankert war.
 
Das ist eine Tatsache, und ich will die Schuld nicht von mir weisen. Ich habe mich vor dem Parlament entschuldigt. Aber das hängt auch mit der Abteilungsleitung zusammen. Die erste, die ich hatte, hat nichts gemacht, und die neue war nicht in der Lage dazu. Deshalb zog sich das hin.
 
Sie sind als Gemeinderat immer wieder angeeckt. War das belastend?
 
Nur, wenn die Leute hinter meinem Rücken über mich hergezogen sind. Hingegen liebe ich es, wenn mir jemand offen sagt, wenn er ein Problem hat. Man muss nicht immer gleicher Meinung sein. Aber man muss einander sagen, was man denkt.
 
Bei den Wahlen im September haben Sie nicht nur für den Gemeinderat, sondern auch für den Grossen Gemeinderat kandidiert. Sie haben also damit gerechnet, dass Sie als Gemeinderat abgewählt werden könnten.
 
Ich habe mich immer im Interesse der Partei zur Verfügung gestellt, auch heuer wieder. Nun hat die SVP aber nur einen Sitz im Gemeinderat. Ich wollte nicht fürs Gemeindepräsidium kandidieren, was mein Kollege Patrick Häni hingegen getan hat. Dadurch hatte er eine ganz andere Publizität als ich. Also musste ich eine Abwahl in Kauf nehmen. Es wäre ja eine Sensation gewesen, wenn die SVP einen zweiten Sitz geholt hätte.
 
Tat es trotzdem weh, abgewählt zu werden?
 
So was schmerzt sehr. Das verdaut man nicht innerhalb einer Woche. Ich hoffe aber, dass man mir das nicht angemerkt hat. 
 
In den Grossen Gemeinderat wurden Sie aber gewählt. War für Sie klar, dass Sie dieses Mandat annehmen würden?
 
Leute aus den eigenen Reihen sagen mir, ich sei jetzt alt genug und solle den Jungen Platz machen. Aber ich bin angetreten, und ich bin gewählt worden. Dann fühle ich mich den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet. Ich fände es schwach, wenn ich es jetzt hinschmeissen würde. 
 
Und freuen Sie sich darauf?
 
Ich freue mich, dass ich noch eine Weile in den Geschäften involviert sein kann. Ich werde mich aber zurückhalten müssen, denn ich will nicht die Exekutive angreifen – ausser, sie baut Mist. Ich will zu den Geschäften schauen und den Jungen in der Fraktion meine Erfahrungen weitergeben.
 
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Zur Person
 
Jürg Michel ist 70 Jahre alt.
In Schüpfen aufgewachsen, lebt er heute in Lyss.
Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und zwei Enkelinnen.
In der Firma DLC (Garage und Reinigungssysteme) ist er Verwaltungsratspräsident. 
Von 1987 bis 1999 sass er für die FDP im Grossen Gemeinderat Lyss, den er 1990 präsidierte, und von 2001 bis 2006 im Grossen Rat.
Seit August 2015 sitzt er für die SVP im Gemeinderat. Anfang Jahr wechselt er ins Parlament.
Michel ist OK-Präsident der Lysspo und war Leiter der Bieler Messe.
In seiner Freizeit fährt er Heissluftballon und Motorrad.  sg

 

Stichwörter: Jürg Michel, Gemeinderat, Lyss, SVP

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