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Twann

Im Engel-Haus begegnen sich Alt und Jung

Für Senioren ein Zuhause, für die Bevölkerung ein Kultur- und Begegnungszentrum: Im Engel-Haus in Twann sollen sich bald Menschen aus der ganzen Region treffen und austauschen. Für Fachleute hat das Projekt Pioniercharakter. Doch noch fehlt Geld.

Im Engel-Haus entstehen neun Seniorenwohnungen auf drei Etagen sowie Räume für Kultur und Begegnung von Jung und Alt. Bild: Matthias Käser

Brigitte Jeckelmann
Im Herbst soll es losgehen. Dann ziehen Seniorinnen und Senioren in die Wohnungen im Engel-Haus, in der Mitte von Twann gelegen. Die Wohnbaugenossenschaft «Zuhause am Bielersee» wird ihr Ziel erreicht haben: Im historischen Gebäude finden betagte Menschen ein Zuhause. Elisabeth Aellen, Architektin aus Nidau, ist für den Umbau des über 400 jährigen Engel-Hauses verantwortlich. Gabrielle Wanzenried, die Finanzprofessorin aus Ligerz, und Anita Baumgartner, Stützpunktleiterin der Spitex Aare Bielersee in Twann, präsidieren die Wohnbaugenossenschaft zusammen.
Allen gemeinsam ist der Wille, «etwas Spezielles zu schaffen für die Menschen in der Region». Besonders den Älteren wollten sie mit dem Projekt ermöglichen, so lange als möglich selbstständig zu sein und in ihrer Heimat bleiben zu können. Das wird in Twann gerade für Senioren zunehmend schwierig, wenn die Kräfte nachlassen und die Beine nicht mehr so flink sind wie einst.


Etwas auf die Beine stellen
Denn in Twann gibt es in den Gemäuern des Dorfes, in den engen, mehrstöckigen Häusern nichts als «Treppen, Treppen, Treppen», sagt Anita Baumgartner. Sie sieht in ihrem Beruf als Krankenschwester tagtäglich in die Stuben der älteren Menschen am linken Bielerseeufer, und sie weiss daher genau um deren Sorgen und Nöte. «Mich hat es immer sehr berührt zu hören, wenn manche sagten, dass sie ihr zuhause halt verlassen müssen, weil sie nicht einmal mehr zu Fuss bis ins Dorf hinunterkommen», sagt sie. Auch Lifte einzubauen in den alten Winzerhäusern sei schwierig, teuer und nicht überall möglich.
Es habe sie jahrelang beschäftigt, ob es nicht möglich wäre, eine Einrichtung für ältere Menschen auf die Beine zu stellen, zumal es in der Region nichts dergleichen gibt. Die nächstgelegenen Altersheime sind in La Neuveville und in Biel. Die Seniorenwohnungen im Engel-Haus sollen diese Lücke schliessen.
Anita Baumgartner fuhr jeden Tag an dem historischen Haus vorbei, das zu zerfallen drohte. «Auf einmal hat es bei mir Klick gemacht», sagt sie. Hier könnte man doch etwas machen, habe sie gedacht. Der Rest ist schon fast Geschichte. Baumgartner trommelte Leute aus der Region zusammen – «alles Frauen», wie sie betont. Finanzexpertin Gabrielle Wanzenried fing sofort Feuer und zog mit. Vor nicht einmal vier Jahren begannen die Initiantinnen mit dem Fundraising und brachten es bis heute fertig, der notwendigen Summe von 4,6 Millionen Franken sehr nahe zu kommen. Doch noch fehlen rund 300000 Franken bis zur vollständigen Finanzierung. Spender könnten zum Beispiel auch eine Treppenstufe kaufen und sich dafür im Engel-Haus verewigen lassen.


Teilhabe und Teilgabe
Für Margrit Bohnenblust, Gemeindepräsidentin von Twann-Tüscherz, ist die Genossenschaft «ein Glücksfall». Über 30 Jahre lang habe das Haus leergestanden, «nicht mehr lange, und das Dach hätte einstürzen können», sagt sie. Nun freue sie sich darüber, «dass Leben in die Ruine einkehrt und das Haus zudem noch zu einem Treffpunkt für die Bevölkerung wird». Die Gemeinde hat die Genossenschaft mit einem Betrag von 45000 Franken unterstützt.
Auch die Zürcher Age-Stiftung hat eine namhafte Summe zum Projekt Engel-Haus beigesteuert: 300000 Franken war es den Verantwortlichen wert. Karin Weiss, Leiterin Förderbeiträge der Stiftung, nennt es «ein einzigartiges Projekt mit Pioniercharakter». Es sei ein «ausserordentliches Beispiel für eine sinnvolle Teilhabe- und Teilgabe aller Generationen».


Alt und Neu verbinden
Neun altersgerechte Wohnungen gibt es im Engel-Haus, von Einzimmer- bis zu Dreizimmerwohnungen und einen Lift. Die Räume sind grosszügig und hoch, mit grossen Fenstern mit Blick entweder auf den See oder dorfseitig. Noch ist das Haus eine Baustelle. Handwerker wuseln umher, Holzbalken liegen auf den blossen Betonböden. Die ursprünglichen Mauern sind noch teilweise sichtbar, auch die uralten Stützbalken.
Wie Architektin Elisabeth Aellen erklärt, sind sie im Originalzustand. «Die alte Bausubstanz zu erhalten, war die Auflage der kantonalen Denkmalpflege», sagt sie und nennt es «eine Herausforderung der besonderen Art», Wohnungen für Senioren in die jahrhundertealten Gemäuer zu integrieren. Neben den Wohnungen gibt es im Erdgeschoss eine Gemeinschaftsküche, in der die Bewohner zusammen kochen können, wenn sie wollen.


Spitex und Kulturräume
Die Spitex wird ihren Stützpunkt ins Engel-Haus verlegen. Ebenso gibt es Räume für die Allgemeinheit: Die Gemeindebibliothek zieht vom Schulhaus ins Engel- Haus. Darin sollen laut Gabrielle Wanzenried regelmässig Kultur- und Freizeitaktivitäten stattfinden. «Und zwar für die Menschen aus der ganzen Region». Auch im obersten Stockwerk gibt es einen Raum, in dem sich die Bewohner des Hauses mit der Bevölkerung austauschen und treffen können. Wanzenried schweben hierfür Projekte vor wie zum Beispiel Anlässe, an denen Schüler den Senioren die Neuen Medien erklären.
«Man kann aber auch einfach vorbeikommen und einen Kaffee trinken», sagt sie. So werden die Bewohner des Hauses quasi Teil des Generationenhauses, das zugleich ein Begegnungs- und Kulturzentrum für die ganze Region am linken Bielerseeufer sein soll.
Ursula Magri, eine 77-jährige Twannerin, findet dieses Konzept reizvoll, wie sie sagt. Sie wird eine der Bewohnerinnen sein, die ab nächstem Herbst eine Eineinhalbzimmerwohnung im Engel-Haus beziehen wird: «Ich freue mich sehr darauf». Dass dort regelmässig Leute ein- und ausgehen werden, gefällt ihr: «Ich kann an der Gesellschaft teilhaben, wann immer ich will.» Und wenn sie mal keine Lust habe, könne sie sich ja einfach zurückziehen. Die Wohnung im Engel-Haus vereint für sie mehrere Vorteile: «Es ist hindernisfrei, in der Dorfmitte gelegen, mit Spitex im Haus, ich kann in der Nähe meiner Kinder und Enkelkinder und in Kontakt zur Dorfbevölkerung bleiben.» Und sie habe eine Wohnung mit Blick auf den See. Kurz: «Was will ich noch mehr?»
 

Stichwörter: Twann, Engel-Haus, Senioren

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