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Täuffelen

Im Kommandoposten laufen 
die Drähte heiss

Seit Tagen stehen Polizei, Feuerwehr, Zivilschutz und technische Dienste im Dauereinsatz. Im Gebiet Bielersee-Südwest zieht das Regionale Führungsorgan im Hintergrund die Fäden. Das Team darf nie den Überblick verlieren.

In der Zivilschutzanlage in Täuffelen werden die aktuellen Messdaten im Auge behalten. BIld: Tanja Lander

Carmen Stalder

«Wenn da jemand reinfällt, ist es unmöglich, ihn zu retten», sagt Markus Stauffer und blickt auf den Hagneckkanal. Wie eine braune Walze fliesst der Strom dahin, er umspült Bäume und reisst Schwemmholz mit sich. Bei genauerem Hinschauen zeigen sich Strudel im Wasser. «Und es wäre ebenso unmöglich, aus eigener Kraft wieder rauszukommen», fügt der Chef des Regionalen Führungsorgans (RFO) Bielersee-Südwest hinzu. Stauffer zeigt, wo er und sein Team aktuell regelmässig auf Patrouille gehen. Dabei kontrollieren sie vor Ort, wie weit der Fluss über die Ufer tritt. Sie prüfen, ob das Wasser bei der Messanzeige bei der Siselenbrücke noch die gelbe oder bereits die orangefarbene Markierung erreicht. Und sie entscheiden, ob zusätzliche Massnahmen getroffen werden müssen, um die Bevölkerung, Tiere und Infrastrukturen zu schützen.

An diesem Morgen hat sich die Hochwasserlage etwas entspannt. Die Abflussmenge im Wehr von Hagneck beträgt um die 700 Kubikmeter pro Sekunde – in den vergangenen Tagen waren es auch schon mal über 1000. Entsprechend ruhig geht es im Kommandoposten in Täuffelen zu und her. In der unterirdischen Zivilschutzanlage werden derzeit alle Hochwasser-Einsätze in der Region Bielersee-Südwest koordiniert. Aufgabe des Führungsorgans ist es, bei Katastrophen und Grossereignissen den Überblick über die Arbeit von Polizei, Feuerwehr, Zivilschutz, Sanität und technische Dienste zu behalten und die Koordination zu übernehmen.

Über die Hotline gelangen Anrufe aus der Bevölkerung und von betroffenen Gemeinden in den Kommandoposten. Die Mitglieder des Führungsorgans nehmen die Informationen auf und entscheiden, was getan werden muss: Ruft jemand an, der in seinem Haus bereits hüfttief im Wasser steht, wird sofort die Feuerwehr losgeschickt. Steckt hingegen eine Katze in einem Baum fest, darf es etwas länger dauern. Bei dieser Arbeit sei es wichtig, den Überblick zu behalten und ruhig zu bleiben, erklärt Stauffer. Schliesslich seien die Anrufenden manchmal in Panik und könnten nicht einmal mehr ihre Adresse nennen. So ähnlich dürfte es einem älteren Paar ergangen sein, das sich in seinem Haus am See plötzlich von Wasser umringt wiederfand. Hätten die beiden die Haustür geöffnet, wäre ihr Zuhause geflutet worden. Schliesslich habe das Paar mit einem Boot gerettet werden müssen, so Stauffer.

Grosses Einzugsgebiet

Im Raum neben dem Kommandoposten projiziert ein Beamer eine Karte des Seelands an die Wand. Farbige Punkte geben an, in welcher Gefahrenlage sich der jeweilige Ort befindet, eine violette Wolke markiert, wo es gerade neuen Niederschlag gibt. «Uns interessiert vor allem, was noch auf uns zukommt», sagt Stabschef Adrian Gutmann. Regnet es nämlich im Oberland oder im Einzugsgebiet von Saane und Sense, habe dies einen massiven Einfluss auf den Pegel des Bielersees. Dem RFO-Chef Stauffer dienen diese Daten als Entscheidungsgrundlage für die nächsten Schritte.

So stehen an diesem Morgen gewisse landwirtschaftliche Gebiete derart unter Wasser, dass Tiere in Gefahr sind. Die Mannschaft in der Zivilschutzanlage bereitet deshalb eine allfällige Evakuierung der Tiere vor: Wo könnten sie hingebracht werden? Wie würde der Transport organisiert? «Falls das befürchtete Szenario eintrifft, wollen wir bereit sein», sagt Marc Stähli vom Ressort Infrastrukturen. In welcher Gemeinde sich der betroffene Hof befindet, wollen die Männer nicht preisgeben – sonst fange es gleich an mit dem «Hochwassertourismus».

Die vielen Schaulustigen, die teilweise gar aus Basel oder Zürich anreisen, um das spektakuläre Hochwasser filmisch und fotografisch festzuhalten, sind Stauffer ein Dorn im Auge. Einerseits, weil die Einsatzkräfte in ihrer Arbeit behindert werden, etwa durch falsch parkierte Autos. Andererseits, weil sich manche Hobbyfotografinnen durch ihr Vorgehen selbst in Gefahr bringen und im schlimmsten Fall in einer heiklen Rettungsaktion aus dem Wasser gezogen werden müssten. «Die Kraft des Wassers wird von vielen unterschätzt», sagt Stauffer.

Risse im Damm

Zurück am Hagneckkanal, wo die Kontrollfahrt nun dem Schutzdamm entlang verläuft. Diesen hat der Kanton Bern zwischen 2011 und 2015 komplett erneuern lassen, um die Hochwassersicherheit im Grossen Moos zu verbessern. Die Investition habe sich bewährt, sagt Stauffer, denn früher wäre die Lage mit einem solch hohen Wasserstand kritisch geworden. So gab es etwa beim Hochwasser von 1999 Risse im Damm. Und das alte Wehr habe gar vibriert beim Betreten. Für die damaligen Einsatzkräfte eine nervliche Zerreissprobe. «Heute dagegen kann ich ruhig schlafen», so Stauffer.

In den nächsten Tagen sollte sich die Hochwasserlage weiter entspannen. Dennoch mahnt der Chef des Führungsorgans zur Vorsicht: Schon nur ein Gewitter könne die Situation wieder verschärfen. Zudem steht bereits die nächste Herausforderung bevor. Beginnt der Pegel des Bielersees zu sinken, beginnen die Aufräumarbeiten. Es wird allerdings noch lange dauern, bis der Wasserstand auf dem gewohnten Niveau angekommen und alles Schwemmholz verschwunden sein wird. Entsprechend wird wohl auch das Bade- und Schifffahrtsverbot nicht so schnell aufgehoben. Gleichzeitig ist für die kommende Woche hochsommerliches Wetter angesagt – eine Kombination, bei der Konflikte programmiert sind.

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