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Twann

Im Wein haben sie ihr Glück gefunden

Die Luzerner Roman Thürig und Manuel Schneiter hatten genug von der Arbeit am Bürotisch. Aus einer Bieridee heraus haben sie ein Rebgut in Twann übernommen und das Stadt- gegen das Dorfleben eingetauscht.

Roman Thürig und Manuel Schneiter (rechts) geniessen die Narrenfreiheit, die ihnen ihr eigener Weinbaubetrieb ermöglicht. Matthias Käser

von Carmen Stalder

«Das ist ja wahnsinnig schön hier», dachte sich Manuel Schneiter, als er zum ersten Mal in Twann aus dem Zug stieg. «Der schmeckt ja richtig gut», befand Roman Thürig, als er erstmals von einem Bielerseewein kostete. Nun sitzen die gebürtigen Luzerner in einem Weinkeller in Twann. «Domaine Bonnet du Fou», auf Deutsch Narrenkappe, steht draussen auf einem Schild. Es ist nicht irgendein Weinkeller – seit Anfang Jahr ist es ihr eigener.

Hierher gebracht haben sie der Wunsch nach einem Neustart, ein paar Zufälle und eine Bieridee. Die beiden räumen ein, dass sie bis vor Kurzem nicht allzu viel über die Region gewusst haben. In der Zentralschweiz kenne man den Bielersee nicht, und auch der hiesige Wein geniesse nicht den besten Ruf. Diese Vorstellung haben sie längst revidiert.

Der 35-jährige Schneiter ist gelernter Polymechaniker, hat mehrere Jahre auf dem Beruf und später in einem Büro gearbeitet. Sein persönliches Glück fand er dabei nicht. «Ich hatte Mühe mit den Hierarchien und den sinnlosen Sitzungen. Ich wollte raus aus diesem Hamsterrad.» Seinem zwei Jahre jüngeren Bürokollegen Thürig ging es ähnlich. Nach der kaufmännischen Lehre und einigen Jahren am Schreibtisch absolvierte er deshalb das Wirtepatent und träumte vom eigenen Restaurant. Doch auch die Gastronomie erwies sich nicht als sein Weg.


Verbindlicher Handschlag

Bei einem Bier diskutierten die Kollegen darüber, was sie mit einer Million Franken anstellen würden. «Ein Weingut kaufen», sagte Thürig. Aus einer Bierlaune wurde Ernst – zwar nicht mit der Million, aber immerhin mit dem eigenen Wein. Per Handschlag vereinbarten sie Folgendes: Wenn Schneiter eine Winzerlehre findet, steigt Thürig ebenfalls ein. Wenn schon, wollten sie ihren Plan gemeinsam umsetzen. Blöd nur, dass zu jenem Zeitpunkt im Juni bereits alle Lehrstellen besetzt waren.

Nach unzähligen Telefonaten mit Winzerinnen und Winzern aus der ganzen Schweiz klappte es doch noch. Schneiter ergatterte eine Stelle bei Anne-Claire Schott in Twann. In den folgenden drei Jahren lernte Manuel Schneiter nicht nur das Handwerk eines Rebbauers von Grund auf kennen, sondern auch die Menschen, die in Twann und Ligerz arbeiten.

Eine von ihnen war Ursula Angelrath, 62 Jahre alt und auf der Suche nach einem Nachfolger für ihr Rebgut. Schneiter und Thürig mussten nicht lange überlegen, obwohl sie eher an bekanntere Weinbauregionen gedacht hatten. Doch sie verliebten sich in die Weinregion am Bielersee und in die Idee, an einem Ort anzufangen, der ihnen alle Freiheiten lässt und an dem sie für Überraschungen sorgen können.


Erfahrene Helferin

Seit Januar sind die beiden offizielle Pächter des Weinbaubetriebs mit seinen 2,2 Hektaren Reben. Obwohl nur Schneiter eine Winzerlehre absolviert hat, packt Thürig genauso mit an, getreu dem Motto «learning by doing». Geht es darum, eine Excel-Tabelle auszufüllen, ist das klar eine Arbeit für den Kaufmann; ist der Mäher kaputt, holt der Mechaniker den Werkzeugkoffer hervor.

Unterstützung erhalten sie von Ursula Angelrath, die bis zu ihrer Pensionierung im Betrieb mithilft. Sie habe nicht auf einen Schlag aufhören wollen, sagt sie zu diesem Arrangement. Mit der Übergabe an das junge Duo ist sie überaus zufrieden: «Es war meine oberste Priorität, dass der Betrieb weiterbesteht», sagt sie, die das Rebgut bereits in vierter Generation geführt hat. Als sie Manuel Schneiter während seiner Lehre kennenlernte, habe sie die Gelegenheit ergreifen wollen, ihn als Nachfolger zu gewinnen – «wenn mir schon jemand über den Weg läuft, der passt».


Spitze Bemerkungen

In den nächsten Jahren wollen Thürig und Schneiter viel ausprobieren und dabei nicht nach Lehrbuch, sondern nach Intuition arbeiten. Ihr Betrieb befindet sich derzeit in Umstellung auf Bio. Allerdings ist auch im biologischen Rebbau eine Behandlung der Pflanzen mit Kupfer und Schwefel nötig, um sie vor Krankheiten zu schützen. Für die beiden Neuwinzer ist dies zwar der richtige Weg, aber noch nicht die perfekte Lösung. Im Hinblick darauf, dass sie diese Arbeit noch während Jahren machen müssen, tragen sie während dem Spritzen Schutzanzug und Maske. Dies habe bei Spaziergängern auf dem Rebenweg zu einigen spitzen Bemerkungen geführt. Das müsse ja extrem giftig sein, bekamen sie etwa zu hören. Dabei sei die Giftigkeit nicht am Schutz abzulesen, betonen die beiden. «Diesbezüglich sollten die Menschen viel besser sensibilisiert werden», sagt Schneiter.

Sowieso zogen die Neuzuzüger im Winzerdorf einige Aufmerksamkeit auf sich. Schliesslich kommt es nicht oft vor, dass zwei Auswärtige einen traditionsreichen Familienbetrieb übernehmen. «Hier wird alles von irgendwelchen Augen gesehen», sagt Schneiter lachend. Doch das Stadtleben haben sie gerne gegen das beschauliche Dorfleben eingetauscht. Die Arbeit in den Reben ist zwar streng, der Lohn bisher klein. Existenzielle Ängste plagen sie dennoch nicht, man lebe bescheiden. Zudem hat bisher keiner von ihnen eine Familie zu versorgen.

«Für mich ist es das Schönste, wenn ich am Freitagabend eine Flasche Wein aufmachen und dann früh ins Bett gehen kann. Ich habe keine Angst mehr, etwas zu verpassen», sagt Thürig. Schneiter ergänzt, dass er vom Alltag derart erfüllt sei, dass er abends gar kein Programm mehr nötig habe. Es scheint ganz so, als hätten sie in den Reben von Twann ihr Glück gefunden.

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